Ex-Lehramtsstudenten: Warum ich kein Lehrer mehr sein wollte

    Ex-Lehramtsstudenten berichten:"Warum ich kein Lehrer mehr sein wollte"

    |

    Etliche Lehrkräfte gehen in den nächsten Jahren in Rente, bereits jetzt fehlt der Nachwuchs. Was hält junge Menschen vom Schuldienst ab – trotz begonnenem Lehramtsstudium?

    Lehrerin liest der Klasse etwas vor
    Fünf ehemalige Lehrer-Anwärter berichten, warum sie sich gegen die Schullaufbahn entschieden haben (Symbolbild)
    Quelle: dpa

    Mehr als 12.000 Lehrerstellen sind schon heute bundesweit unbesetzt. In den kommenden Jahren wird sich der Lehrermangel weiter verschärfen, warnt unter anderem die Bildungsgewerkschaft GEW.
    Fünf Frauen und Männer in ihren Zwanzigern berichten im Gespräch mit ZDFheute von ihren Erkenntnissen im Lehramtsstudium, die zur Folge hatten, dass sie heute etwas anderes machen, als in der Schule zu unterrichten. Ein Protokoll.

    Alex, 26, Logopädie-Ausbildung

    "Was machst du hier eigentlich? Diese Frage habe ich mir gestellt, als ich im Praktikum vor rund 20 lauten Erstklässlern in die Hände geklatscht habe. Eine Methode, um die Aufmerksamkeit der Schüler zu bekommen - doch gebracht hat es nichts. Niemand wurde ruhig, niemand schaute mich an. Also bis auf ein Mädchen, das dann auch klatschte. Im Studium wurden wir nicht auf solche Situationen vorbereitet. Wie man mit Kindern umgeht, sollte ich von Arbeitsblättern lernen. Das gefiel mir nicht.
    Es gab für mich aber nicht den einen Punkt, wegen dem ich mich entschieden habe, mit dem Lehramt nicht weiterzumachen. Das ist schleichend gekommen, ich habe mich einfach zunehmend unwohl gefühlt mit der Perspektive, vor großen Klassen zu stehen und den Kindern nicht gerecht werden zu können. Weil mir im Bachelor of Education nur noch eine Hausarbeit und die Bachelorarbeit fehlten, zog ich das Studium aber noch durch. Den Master machte ich nicht mehr, stattdessen wechselte ich 2020 in die Ausbildung zur Logopädin und bin nun bald fertig.
    Mir gefällt an der Logopädie generell gut, dass man meistens eins zu eins arbeitet und wirklich auf den Patienten eingehen kann. Das Lehramt ist für mich keine Option mehr. Wenn ich heute zurückdenke, war es für mich kurz nach dem Abi einfach die sicherste Option - da wusste ich ungefähr, was ich zu erwarten habe."

    Paul, 29, Projektmanager

    "Besser zu sein als meine Lehrer: Mit diesem Anspruch bin ich vor über zehn Jahren ins Lehramtsstudium gestartet. Ich hatte auch wirklich Pech mit ihnen - zumindest in meinen Augen. Vermutlich dachten sie aber auch das gleiche über mich, denn ich hatte damals wirklich gar nichts für die Schule gemacht. Als ich im Bachelor für das Gymnasiallehramt drei Praktika an Schulen absolvierte, kamen mir die ersten Zweifel an meinem Berufswunsch.
    Ich konzentrierte mich lieber auf die Schüler, die freiwillig mitarbeiteten. Das geht aber nicht, als Lehrer musst du hinterher sein. Ein schlechter Lehrer zu werden - das kam für mich nicht in Frage. Ich hatte viele generelle Zweifel, sah mich nicht in der Lage, den Unterricht mit 30 15-Jährigen zu kontrollieren. Im Studium sprachen wir nie darüber, was man machen kann, wenn Schüler nicht mitmachen wollen.
    Obwohl ich unzufrieden war, studierte ich drei Jahre lang auf Lehramt. In der Zeit arbeitete ich auch viel im Bereich meines Fachs Geographie. Stadtentwicklung und Bürgerbeteiligung: Darin entdeckte ich Themen, die mich noch viel mehr interessierten, als man sie im Unterricht vertiefen kann. Ich wechselte dann in den Bachelor of Science in Geographie und machte im Anschluss noch einen Master in Stadtentwicklung.
    Heute arbeite ich als Projektmanager und überlege für Städte und Kommunen, wie sich Bürger einbringen können. Das gefällt mir sehr gut. In die Lehre zu gehen, kann ich mir aber schon noch vorstellen: Dann aber an der Uni, wo sich die Studierenden wirklich für das Fach begeistern."
    Auf dem Bild ist eine Ukrainische Lehrerin zu sehen, die an eine Tafel schreibt.
    Geflüchtete Lehrerinnen und Lehrer sollen die Lücken an Schulen schließen: Sachsens Kultusminister bietet Pädagogen aus der Ukraine unter bestimmten Voraussetzungen unbefristete Arbeitsverträge an. 21.03.2023 | 1:46 min

    Hanna*, 25, Kauffrau für Büromanagement

    *Name von der Redaktion geändert
    "Für mich stand immer fest: Was ich einmal anfange, bringe ich auch zu Ende. Dementsprechend war ich mir auch sehr sicher in meiner Entscheidung, Lehrerin zu werden. Ich hatte vor Beginn des Studiums ein Freiwilliges Soziales Jahr in einer Nachmittagsbetreuung für Grundschüler gemacht und zwei Orientierungspraktika absolviert. Nach einigen Semestern im Studium für das Lehramt an Haupt- und Realschulen fing ich dann aber an, an meinem Glaubenssatz zu zweifeln.
    Es begann damit, dass mir meine Uni ein Betriebspraktikum im nicht-pädagogischen Bereich vorschrieb. Ich bewarb mich auf einen Platz in einer Gärtnerei und lernte vom Verkauf bis zum Lager verschiedenste Bereiche kennen. So landete ich dann auch im Büro. Den Überblick bewahren, Rechnungen schreiben, Zahlungseingänge wie -ausgänge kontrollieren: Ich merkte, dass diese konzentrierte Arbeit genau mein Ding ist. Auch wenn ich Mathelehrerin geworden wäre, fand ich einfach noch einmal mehr Spaß an der Arbeit mit Zahlen als am Unterrichten.
    Zu der Zeit haderte ich sehr mit mir. An die Uni wollte ich aber nicht zurück und bewarb mich für die Ausbildung zur Kauffrau für Büromanagement. Weil ich im öffentlichen Dienst bin, habe ich auch hier einen sicheren Beruf - und doch mehr Flexibilität, wenn ich zum Beispiel umziehen möchte oder durch die Möglichkeit der Gleitzeit. Dafür habe ich auch gerne Vorteile wie die Ferien aufgegeben. Meine Familie war erst sehr stolz, dass ich als Erste studiere. Aber für mich war es genau die richtige Entscheidung, das sieht nun auch jeder."
    Auf dem Bild ist ein Quereinsteiger-Lehrer im Unterricht zu sehen.
    Kaum Nachwuchs und ausgebrannte Lehrkräfte - Quereinsteiger sollen helfen, aber ihnen fehlen meist die pädagogischen Fachkenntnisse.18.03.2023 | 4:47 min

    Matthias, 29, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Uni

    "Warum waren wir so blöd und sind nicht ins Referendariat mit Aussicht auf eine Verbeamtung und eine feste Stelle? Darüber mache ich mit Kollegen an der Uni oft Witze. Statt für den zweijährigen praktischen Teil der Ausbildung, habe ich mich nach acht Semestern Studium für das Lehramt an Gymnasien nämlich für die Promotion und im Anschluss für eine Stelle als Postdoc entschieden. Als ich mit 23 Jahren mit dem Studium fertig war, fühlte ich mich einfach zu jung, um in der Oberstufe zu unterrichten. Einen Doktor in der Fachdidaktik der Biologie und dann an die Schule - das war der Plan.
    Das wissenschaftliche Arbeiten machte mir aber ziemlich Spaß, wir erforschten etwa, wie sich Besuche im Zoo auf die Naturverbundenheit der Schüler auswirken. Ich blieb, heute halte ich Lehrveranstaltungen, die ich selbst vor zehn Jahren als Student besucht hatte. Wer Lehrämtler unterrichtet, sollte schon ein paar Jahre selbst unterrichtet haben: Diese Forderung kann ich nachvollziehen. Wir haben auch einige ehemalige Lehrer.
    Meine Hauptaufgabe ist es aber, biologisches Fachwissen zu vermitteln, daher finde ich es ok, dass ich die Schule nur aus einem früheren Nebenjob und Praktika kenne. Und unsere Forschung soll Lehrkräften einmal helfen. Falls ich keine der wenigen unbefristeten Stellen an der Uni bekomme: Vielleicht entscheide ich mich dann aber doch noch für den Schuldienst."

    Katharina, 25, Doktorandin

    "'Studier doch Lehramt, Lehrer braucht man immer'. Damit redeten mir meine Eltern immer wieder ins Gewissen, als ich nach dem Abi meine Lieblingsschulfächer Französisch und Geschichte studieren wollte. In welchem Feld ich aber genau damit arbeiten könnte außer in der Schule, wusste ich nicht. Es wurde also ein Bachelor mit der Option Lehramt.
    Dass ich einfach nicht die Persönlichkeit war, die pubertierende Schüler miterzieht - das wurde mir aber schon im ersten Semester in der Bildungswissenschaft klar. Jeden Tag vor einer Klasse stehen? Ich bin dann schnell in den klassischen Bachelor of Arts gewechselt. Trotzdem beruhigt es mich auch sechs Jahre später als Geschichtsdoktorandin noch, Fächer studiert zu haben, mit denen ich auch einmal unterrichten könnte.
    Denn ob es klappt, dass ich im Museumsbereich oder im Verlagswesen eine Stelle finde, weiß ich noch nicht. Wenn ich Angst habe zu scheitern bei der Jobsuche, beruhige ich mich mit den Worten meiner Eltern: 'Lehrer braucht man immer'."
    Die Gespräche führte ZDFheute-Redakteurin Laura Roban.

    Mehr zum Thema Lehrermangel