Wer demonstriert heute noch auf Ostermärschen?

    Interview

    Friedensbewegung:Wer geht heute noch auf die Ostermärsche?

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    Zehntausende Demonstrierende nehmen bundesweit an Ostermärschen teil. In den 80ern waren es Hunderttausende. Warum jetzt weit weniger kommen, erklärt Friedensforscherin Schröder.

    Ostermarsch in Chemnitz
    Ostermarsch in Chemnitz
    Quelle: Imago

    ZDFheute: Welche Bedeutung haben die Ostermärsche heute und wie zeitgemäß sind sie noch?
    Ursula Schröder: Die Ostermärsche haben seit Ende des Kalten Kriegs massiv an Bedeutung verloren. Anders als die Ostermärsche der 60er-Jahre, wo das Thema wirklich groß war, wo die Friedensbewegung später in den 70er-, 80er-Jahren auch sehr viel Widerhall auf der Straße fand.
    Die Ostermarschierer sind heute ein sehr kleiner Teil der Bevölkerung, die radikale Forderungen aufwerfen, die keine Mehrheit hinter sich gewinnen können.

    Prof. Dr. Ursula Schröder
    Quelle: Imago

    ... ist seit 2017 Wissenschaftliche Direktorin des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg. Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Entstehung und der Wandel staatlicher und überstaatlicher Friedens- und Sicherheitsordnungen in Europa und darüber hinaus.

    ZDFheute: Und welchen Einfluss haben die Märsche noch?
    Schröder: Die Ostermärsche haben vergleichsweise wenig Einfluss auf das politische Geschäft, weil es sich bei den Ostermärschen und den Aufrufen dazu um wirklich radikale Forderungen handelt.

    Das sind keine Mehrheitsmeinungen, sondern sie decken eher eine Nische aus der alten Friedensbewegung ab.

    Ursula Schröder, Friedensforscherin

    ZDFheute: Welche Gruppen und Organisationen stehen normalerweise dahinter?
    Schröder: Es gibt nicht den einen Ostermarsch, die Ostermarschbewegung ist dezentral organisiert. Das heißt, die einzelnen Aufrufe sind sehr unterschiedlich, sehr heterogen. Und die Personen, die mitmarschieren, können auch sehr unterschiedlich sein.
    ZDFheute: Hat sich die Struktur der Demonstrierenden verändert?
    Schröder: Die Leute, die auf Ostermärschen mitlaufen, sind eher ältere Menschen. Das Mobilisierungspotenzial der Ostermärsche für eine jüngere Generation, für die Leute, die auch für Fridays for Future auf die Straße gegangen sind, sehr gering. Die Mobilisierung ist eher analog, eher älter und spricht nicht so sehr die jüngeren Generationen an.
    ZDFheute: Was unterscheidet die Ostermärsche von den Friedensdemonstationen von Sahra Wagenknecht und anderen?
    Schröder: Die Ostermärsche sind eine alte Tradition der deutschen Friedensbewegung. Es ist immer ein vollkommen anderes Klientel gewesen als das klassische Klientel der Linken, der Wagenknecht-Demonstration.
    Demonstranten tragen Plakate und Flaggen mit Friedenssymbolen.
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    Es kann jetzt dazu kommen, dass diese Klientele sich überschneiden in den Ostermärschen. Die Forderungen überschneiden sich in der Tat teilweise.
    Ja, da ist eine Ablehnung der Nato dabei. Eine Ablehnung der Vereinigten Staaten ist dabei. Aber es gibt auch Unterschiede.

    Die großen Organisationen der Friedensbewegung, die es noch gibt und die auch die Ostermärsche organisieren, grenzen sich teilweise stark von rechts ab.

    Ursula Schröder, Friedensforscherin

    Das war bei Wagenknecht nicht der Fall.
    ZDFheute: Besteht auch die Gefahr, dass die Ostermärsche unterwandert oder instrumentalisiert werden von Gruppen, die die demokratische Ordnung ablehnen?
    Schröder: Die Gefahr, dass die Ostermärsche durch Querdenker oder rechte Gruppierungen unterlaufen werden können, ist da. Das passiert auch in einigen Städten Deutschlands zurzeit.
    Und es gibt natürlich Instrumentalisierungspotenzial bei den Ostermärschen in diesem Jahr, weil die Forderungen, "die Waffen nieder", Waffenstillstände, "Frieden schaffen, ohne Waffen" auch Forderungen sind, die teilweise aus dem rechten Spektrum instrumentalisiert worden sind.
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    Den Krieg irgendwie beenden - am besten ohne Waffen, so das Credo auf den Ostermärschen der Friedensbewegung.05.04.2023 | 2:35 min
    ZDFheute: Die Bundeszentrale für politische Bildung formuliert es so: "Diskutiert wird nun insbesondere die Haltung zum Krieg: Sind Waffenlieferungen an die Ukraine vereinbar mit der Überzeugung, dass Konflikte gewaltlos gelöst werden müssen?" - Wie schwierig ist dieses Spannungsfeld und sind da selbst die Teilnehmer der Demos geteilter Meinung?
    Schröder: Die Friedensbewegung und auch die Ostermärsche sind immer schon heterogen gewesen und nie einer Meinung. Es wird dort sehr unterschiedliche Positionen geben. Eine Vielzahl wird aber unter dem Banner des "Frieden schaffen, ohne Waffen - Verhandlungen jetzt" laufen.
    Und das ist eine radikale Nischenposition, die es sehr schwer haben wird, sich heute zu behaupten. Die Frage der Waffenlieferungen kann inzwischen relativ klar so beantwortet werden, dass es notwendig sein wird, die Ukraine auch weiterhin militärisch zu unterstützen, um der Ukraine ihr Existenzrecht und ihr Selbstverteidigungsrecht geben zu können.
    Das Interview führten Steffen Wachs und Markus Wolsiffer.

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