Gendern: Wo Kämpfe um Sprache heute ausgetragen werden

    25 Jahre Rechtschreibreform:Sprache: Der heutige Zankapfel heißt Gendern

    Houben Luisa
    von Luisa Houben
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    Als 1998 die Rechtschreibreform in Kraft trat, gab es viel Empörung. 25 Jahre später wird wieder um die deutsche Orthografie gestritten. Diesmal geht es ums Gendern.

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    Vor 25 Jahren - nach der vergangenen Rechtschreibreform - ging es im Kampf um die deutsche Sprache noch um Wörter wie "Schifffahrt" oder "Majonäse". Heute ist das Schlachtfeld ein anderes: das Gendern
    In Sachen Rechtschreibreform sieht Sabine Krome, Geschäftsführerin Rat für deutsche Rechtschreibung, nur noch wenig Reibungspunkte. "Die Rechtschreibreform ist voll angekommen bei den Lesenden und Schreibenden", lautet ihr Fazit. Dazu kämen nur noch selten Anfragen.

    Monatlich 200 Anfragen zum Gendern

    Der Rat für deutsche Rechtschreibung beobachtet die Entwicklung des Sprachgebrauchs seit 2004 und aktualisiert daraufhin das amtliche Regelwerk. Dieses gilt für Schulen und Behörden. Die meisten Zuschriften erhalte der Rat heutzutage zu Fragen rund ums Gendern. Im Monat seien es rund 200, berichtet Geschäftsführerin Krome.
    Es geht um Sternchen, Doppelpunkt oder Unterstrich, die verwendet werden, um alle Geschlechter in einer Personengruppe anzusprechen, wie zum Beispiel in "Schüler:innen". Es ist der Versuch, weiblich, männlich und nicht-binär gelesene Personen gleichermaßen anzusprechen, sie sichtbar zu machen in der Schrift.
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    Hasserfüllte Nachrichten an Rat für Rechtschreibung

    Ein Teil der Anfragen seien praktische Fragen dazu, wie es gelingen kann, alle anzusprechen und korrekt zu schreiben. Ein anderer Teil sei Kritik an den Gender-Zeichen, ihre Verwendung sei inkonsequent und kompliziert. Manche der Nachrichten seien sehr beleidigend, gar hasserfüllt, berichtet Krome.
    Dabei ist die Haltung des Rates klar: Er ist gegen die Aufnahme von Zeichen im Wortinneren. Im Juli beschlossen die Mitglieder dazu einen Ergänzungspassus in das amtliche Regelwerk aufzunehmen, in dem es heißt:

    Diese Wortbinnenzeichen gehören nicht zum Kernbestand der deutschen Orthografie. (...) Ihre Setzung kann in verschiedenen Fällen zu grammatischen Folgeproblemen führen, die noch nicht geklärt sind.

    Rat für deutsche Rechtschreibung

    Sprachpolitische Frage

    Die Diskussion ums Gendern, sei wie die Rechtschreibreform eine Umbruchsituation, sagt Sabine Krome. Lesende und Schreibenden seien mit etwas Neuem konfrontiert. "Das ist eine normale menschliche Reaktion, dass man erst mal vielleicht etwas Widerstand einer Sache entgegenbringt." Beim Gendern aber ginge es um mehr:

    Diesmal wird eine sprachpolitische Frage auf die Orthografie verlagert.

    Sabine Krome, Geschäftsführerin Rat für deutsche Rechtschreibung

    Der Rat hat verschiedene Argumente gegen die Aufnahme der Gender-Zeichen. Es sei zum Beispiel Rücksicht zu nehmen auf Menschen mit geringer Literalität, die nur einfache Texte lesen und schreiben können. Aber auch die Übersetzbarkeit von Texten in andere Sprachen würde durch die diskutierten Zeichen erschwert.
    Gleichzeitig vertritt der Rat "die Auffassung, dass allen Menschen mit geschlechtergerechter Sprache begegnet werden soll und sie sensibel angesprochen werden sollen."
    Krieg der Sternchen - Doku über Debatte um gendergerechte Sprache:

    Linguistin schlägt "Kann-Regel" vor

    Die aktuellen Regeln erfüllen diesen Anspruch nicht, kritisiert Renata Szczepaniak, Professorin für Historische Sprachwissenschaft des Deutschen an der Universität Leipzig.

    Die jüngste Positionierung bietet keine normgerechte Lösung für eine geschlechtergerechte Ansprache, also keine normengerechte Lösung für Personenbezeichnung.

    Renata Szczepaniak, Linguistin Uni Leipzig

    Sie schlägt eine "Kann-Regel" vor. Eine Regel, die nicht befolgt werden muss, aber kann. Es gäbe im Regelwerk viele Kann-Regeln, zum Beispiel bei der Kommasetzung. Es wäre eine Möglichkeit, "Schüler*innen" als korrekt anzuerkennen.
    Dem Argument des Rates für deutsche Rechtschreibung, aus der Verwendung der Zeichen ergäben sich grammatikalische Folgeprobleme, setzt sie entgegen: "Diese grammatischen Folgeprobleme gibt es aber auch schon bei der im Amtlichen Regelwerk erfassten Verkürzungsform mit Schräg- und Bindestrich wie in Käufer/-innen (ähnlich wie Ein-/Ausgang). Dies als Grund für die Nicht-Aufnahme einer geschlechtergerechten Form aufzuführen, ist inkonsequent."

    Philologenverband plädiert für Einheitlichkeit

    Die Realität beim Gendern sieht aktuell so aus: In Niedersachsen ermutigte die Kultusministerin Lehrkräfte zum Gendern, in Schleswig-Holstein empfahl die Ministerin gemäß den Regelungen des deutschen Rechtschreibrates nicht mit Sternchen oder Unterstrich zu gendern.
    Das verwirrt viele - daher fordert die Vorsitzende des Philologenverbands, Susanne Lin-Klitzing, eine einheitliche Regel. "Die Lesbarkeit, Verständlichkeit, die Lehr- und Lernbarkeit der deutschen Standardsprache in allen deutschen Schulen im In- und Ausland ebenso wie die grammatische Richtigkeit sind durch die Einführung solcher Sonderzeichen nicht erfüllt." Sie hofft, dass die Kultusministerkonferenz der Empfehlung des Rates folgt.
    Ob der Rat der deutschen Rechtschreibung seine Haltung zu Gender-Zeichen nicht doch noch ändert, bleibt offen. Sicher ist, die Mitglieder werden sich damit weiter beschäftigen müssen. Die gesellschaftliche Debatte wird sie dazu zwingen.
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