Abtreibung: Ärzte fehlen und Hürden sind hoch

    Fehlende Ärzte, strenge Regeln:Hohe Hürden für Schwangerschaftsabbrüche

    von Maria Leidinger
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    Viele Frauen in Deutschland, die einen Schwangerschaftsabbruch benötigen, fühlen sich hilflos und überfordert - trotz Beratungsangeboten. Denn oftmals fehlt es an Ärzten.

    Schwangerschaftsabbrüche
    Diplom-Psychologin Nicola Völckel leitet eine Beratungsstelle für Schwangerschaftskonflikte und erklärt, wo Betroffene Hilfe bekommen.09.02.2023 | 8:59 min
    Schwangerschaftsabbrüche sind weiterhin ein Tabuthema. Dabei herrscht Notstand in Deutschland - die Zahl der Ärztinnen und Ärzte sowie Kliniken, die Abbrüche durchführen, ist innerhalb der vergangenen zwei Jahrzehnte stark gesunken. Während es im Jahr 2003 noch 2.030 ärztliche Einrichtungen gab, die Abtreibungen vorgenommen und gemeldet haben, waren es im dritten Quartal 2022 nur noch 1.106.
    Hinzu kommt, dass sich Betroffene auf dem Weg zu einem Schwangerschaftsabbruch oft allein gelassen fühlen. So wie Julia (46). Sie hatte schon zwei Kinder, als sie ungewollt schwanger wurde. Ihr Mann und sie hatten keinen festen Job, Julia war nervlich extrem belastet. Sich gegen das Kind zu entscheiden, war für sie ein schwerer Prozess, in dem sie sich kaum zu helfen wusste. Sie kritisiert, dass ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland mit vielen Hürden verbunden ist:

    Der Zwang, Bescheinigungen und Bestätigungen einzuholen, eine bestimmte formale Kette einzuhalten, da fühlt man sich schon sehr gegängelt und auch hinterfragt, weil man sehr vielen fremden Personen Einblick in das eigene Innerste geben muss.

    Julia

    Unter diesen Umständen ist ein Schwangerschaftsabbruch möglich:



    Schwangerschaftskonfliktberatung soll unterstützen

    Nicola Völckel weiß um die vielen Hürden, die ungewollt Schwangere überwinden müssen. Als Leiterin einer AWO-Beratungsstelle steht sie diesen Frauen zur Seite. "Es ist tatsächlich vorgeschrieben, dass man für das ungeborene Leben berät. So heißt es im Gesetz", erklärt Nicola Völckel. "Aber die Beratung ist auch ergebnisoffen".
    Beratungsstellen, die ihren Auftrag ernst nehmen, so die Diplom-Psychologin, würden also nach jedem Gespräch einen Beratungsschein ausstellen.

    Selbst wenn eine Frau uns gar nichts erzählen möchte oder ganz wenig reden würde, kriegt sie den Beratungsschein.

    Nicola Völckel, Leiterin der Essener AWO-Beratungsstelle

    Das sei bei Beratungsstellen der AWO, aber auch bei Pro Familia oder den evangelischen Beratungsstellen der Fall. Lediglich katholische Beratungsstellen, so erklärt sie, dürfen generell keine Beratungsscheine ausfüllen.
    Trotz der gesetzlichen Regelungen ist es Nicola Völckel wichtig zu betonen, wie Beratungsgespräche im Idealfall ablaufen sollten:

    Nie passiert das, dass Frauen Vorwürfe kriegen oder sich rechtfertigen müssen. Das ist nicht der Sinn.

    Nicola Völckel, Leiterin der Essener AWO-Beratungsstelle

    Während Abtreibungen in Deutschland möglich sind, wurde in den USA das landesweite Grundrecht dafür aufgehoben. Tausende Frauen protestierten:

    Weniger Ärzte führen Schwangerschaftsabbrüche durch

    In einer Beratung, erklärt die Psychologin, wird auch bei der Suche nach einem Arzt oder einer Ärztin unterstützt. Doch innerhalb der vorgeschriebenen zwölf Wochen Praxen oder Kliniken zu finden, welche den Schwangerschaftsabbruch ermöglichen, wird in Deutschland von Jahr zu Jahr schwieriger.
    Das Angebot hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast halbiert - obwohl im letzten Jahr das Werbeverbot von Schwangerschaftsabbrüchen gekippt wurde. Barbara Wittel von Pro Familia erklärt:

    In der heutigen Ausbildung ist es nicht mehr so verankert wie früher. Das führt dazu, dass junge Ärzt*innen sich damit gar nicht mehr befassen, auch nicht mehr vertraut sind damit.

    Barbara Wittel, pro familia

    Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) reagiert darauf mit dem Plan, Schwangerschaftsabbrüche in die Arzt-Ausbildung aufzunehmen.
    Abtreibungen je 10.000 Frauen
    ZDFheute Infografik
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    Belästigung vor Abtreibungskliniken

    Weitere Gründe: ein genereller Nachwuchsmangel und eine voranschreitende Tabuisierung des Themas. Kundgebungen vor Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, gibt es immer häufiger.
    Die Politik will jetzt dagegen vorgehen, erklärt Psychologin und AWO-Beratungsstellenleiterin Nicola Völckel: "Die Koalition hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, gesetzliche Regelungen zu schaffen, sodass eben diese Gehsteig-Belästigungen nicht mehr möglich sein sollen."
    Vorstellbar wären sogenannte Bannkreise um Beratungsstellen und Praxen, in denen Kundgebungen untersagt werden würden.

    Abtreibungen in den Niederlanden

    Auch Julia hat lange keine Ärztin oder Arzt gefunden, die oder der einen Schwangerschaftsabbruch bei ihr durchführt:

    Man bekommt dann gesagt: "In den nächsten Wochen haben wir keine Termine frei". Oder: "Das geht jetzt so schnell nicht" und man hat ja eben diesen zeitlichen Druck.

    Julia

    Viele Frauen in ähnlichen Situationen weichen deshalb in die Niederlande aus. Dort ist das Angebot größer, zudem bleibt der Abbruch bis zur 24. Schwangerschaftswoche straffrei. Die niederländische Frauenärztin Gabie Raven schildert, dass viele der Frauen, die zu ihr in die Praxis kämen, in ihrer Schwangerschaft schon zu weit fortgeschritten seien für einen Abbruch in Deutschland.

    Die sind nicht so weit, weil sie so lange gezögert haben, die können keinen Arzt finden.

    Gabie Raven, Gynäkologin

    Die Gynäkologin hat die Situation in Deutschland erkannt und neben ihren Angeboten in den Niederlanden auch eine Praxis in Deutschland aufgemacht. Doch ob Raven deutsche Frauen in den Niederlanden oder in Deutschland betreut, die Reaktionen seien ähnlich:

    Deutsche Frauen sind immer sehr dankbar und sehr froh, dass wir nett zu ihnen sind. Dass wir ihnen keine Vorwürfe machen und dass sie behandelt werden können.

    Gabie Raven, Gynäkologin

    Wie oft wird in Deutschland abgetrieben - und warum? Ein Überblick in Grafiken:

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