Dauer-Online: Social Media Suchtverhalten bei Jugendlichen

    Social Media und Mental Health:Dauer-Online: Suchtverhalten bei Jugendlichen

    von Julia Ludolf
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    Immer mehr Jugendliche zeigen Suchtverhalten bei der Nutzung von Social Media, mit teilweise schweren psychischen Folgen. Wann wird die Nutzung krankhaft und was können Eltern tun?

    Frau schaut in ihr Handy
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    Social Media-Plattformen wie Instagram, TikTok und Co. finden sich mittlerweile auf fast jedem Smartphone eines Jugendlichen. Vielen fällt es schwer, sich vom Bildschirm zu lösen - und gerade Jugendliche sind besonders empfänglich für Reize und Inhalte, die sie über Social Media erreichen. Das beobachtet auch Kinder- und Jugendpsychotherapeut Dr. Ulrich Müller.

    Grundsätzlich ist die Pubertät verbunden mit der Suche nach Anerkennung außerhalb der Familie. An der Stelle spielen die sozialen Medien eine wichtige Rolle, weil sie für die Identitätsbildung immer bedeutsamer werden.

    Dr. Ulrich Müller, Jugendpsychotherapeut

    Die Pubertät ist geprägt von körperlichen Veränderungen, die Jugendlichen Angst machen können. In dieser Phase suchen sie vermehrt nach Orientierung, die sie in sozialen Netzwerken finden - in ihren Peergroups und bei angesagten Influencern.

    Instagram und Co. verzerren die Realität

    Die Fotos und Videos auf den Plattformen sind jedoch oft durch Filter oder Bildbearbeitungsprogramme verändert, mit teils fatalen Folgen für das Selbstbild jugendlicher Nutzer*innen. "Das kann zu erheblichen Irritationen beim Verständnis des eigenen Körpers führen", so Müller.
    Soziale Medien sind ohnehin häufig so konzipiert, dass sie Nutzer*innen abhängig machen: Hirnforscher haben herausgefunden, dass ein "‘Social Media‘-Like" das Belohnungszentrum im Gehirn aktiviert. Dabei wird Dopamin ausgeschüttet, Glücksgefühle werden ausgelöst. Das sorgt dafür, dass Nutzer*innen immer wieder Inhalte teilen, um Zustimmung und Anerkennung zu erhalten.

    "Social Media"-Suchtpotenzial während Corona gestiegen

    Seit der Corona-Krise erleben Ärzte immer häufiger in sich gekehrte Kinder und depressive Jugendliche - und daneben hilflose Eltern. Das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) kommt in einer Untersuchung im Auftrag der Krankenkasse DAK zu dem Schluss, dass bei mehr als vier Prozent der 10- bis 17-Jährigen in Deutschland ein sogenanntes pathologisches Nutzungsverhalten vorliegt.
    Die Zahl der Betroffenen mit Suchtverhalten bei der Nutzung von "Social Media”-Plattformen wie TikTok, Snapchat, WhatsApp oder Instagram stieg im Studienzeitraum (September 2019 bis Juni 2021) von 171.000 vor auf 246.000.
     Die 17-jährige Hasti sieht sich in der Innenkamera ihres Handys an und schminkt sich dabei die Lippen. Das Handy ist an einem Ringlicht befestigt und auf einem Tisch befinden sich mehrere Make-up-Pinsel.
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    Die Folgen eines krankhaften "Social Media"-Konsums

    Der ärztliche Leiter am Deutschen Zentrum für Suchtfragen des Kinder- und Jugendalters am UKE Hamburg, Rainer Thomasius, warnt vor den Auswirkungen durch die Vernachlässigung von Aktivitäten, Familie, Freunden und eines verschobenen Tag-Nacht-Rhythmus.
    "Da persönliche, familiäre und schulische Ziele in den Hintergrund treten, werden alterstypische Entwicklungsaufgaben nicht angemessen gelöst. Ein Stillstand in der psychosozialen Reifung ist die Folge", sagt Thomasius.

    Ab wann sollten Eltern intervenieren?

    Eine krankhafte Nutzung sehen die Experten, wenn bei Betroffenen ein Kontrollverlust, eine "Priorisierung gegenüber anderen Aktivitäten" und eine "Fortsetzung der Nutzung trotz negativer Konsequenzen" zu beobachten ist. Daraus können signifikante Beeinträchtigungen in persönlichen, sozialen und schulisch-beruflichen Lebensbereichen resultieren. Pathologische "Social Media"-Nutzer chatten der DZSKJ-Studie zufolge vier oder mehr Stunden am Tag.

    Wie können Eltern ihre Kinder schützen?

    Die Gemeinsame Suchtkommission kinder- und jugendpsychiatrischer Fachverbände empfiehlt, dass Kinder bis zum Schulbeginn nur analog lernen und spielen sollten und nicht mit Hilfe digitaler Medien. Ein eigenes Smartphone sollte vor der fünften Klasse tabu sein und die Nutzung danach sollten Eltern steuern und beaufsichtigen.

    Erst Corona, nun Energiekrise
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    Experten fordern zudem eine Art Frühwarnsystem: Eine Möglichkeit könnte sein, eine zusätzliche ärztliche Früherkennung für Kinder im besonders gefährdeten Alter einzuführen.
    Auch Eltern müssten verstärkt auf die Probleme bei der Mediennutzung hingewiesen werden, empfiehlt der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte, Thomas Fischbach. Sie sollten Kinder und Jugendliche beim Gebrauch von Smartphone und dem PC begleiten, Regeln setzen und dann "altersgerecht nachjustieren".
    Quelle: Mit Material von dpa und KNA

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