Umstrittene Lithiumproduktion in Chile

    Lithiumproduktion in Chile:Der umstrittene Abbau des weißen Goldes

    ZDF-Korrespondent Christoph Röckerath
    von Christoph Röckerath
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    Ein weißes, geruchloses Pulver bewegt die Welt - Lithiumkarbonat ist der Grundstoff moderner Akkus. Sein Abbau in der Atacama-Wüste sorgt für Konflikte.

    Das weiße, geruchlose Pulver, das federleicht in der Hand zerfällt, wirkt so unspektakulär, dass es schwer fällt zu glauben, wie sehr es die Welt bewegt - im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Lithiumkarbonat ist der Grundstoff der modernen Akkus, die vom Smartphone bis zum Elektroauto immer mehr unseren Alltag antreiben.
    Wir stehen in einer riesigen Lagerhalle in Antofagasta im Norden Chiles, am Pazifik, vor einem der 500-Kilo-Säcke, in denen das Lithium nach China verschifft wird. Um uns herum kreisen Gabelstapler, wie in einem Ballett. Der Näherungssensor, den jeder Besucher am Handgelenk tragen muss, vibriert ununterbrochen. Stolz führt uns ein Team des chilenischen Konzerns SQM, einem der weltgrößten Lithiumproduzenten, durch die Raffinerie. Täglich werden hier rund 440 Tonnen Lithiumkarbonat hergestellt. Das Geschäft boomt und bringt Chile viel Geld. Die Raffinerie ist eine einzige Baustelle, sie wächst immer weiter.

    Riesige Becken mit Sole in der Wüste

    Der Weg des begehrten Leichtmetalls beginnt im sogenannten Lithiumdreieck zwischen Chile, Argentinien und Bolivien, unter dessen Salzebenen die größten Vorkommen der Welt vermutet werden. Rund 200 Kilometer weiter östlich, im Salar de Atacama, am Fuße der Anden, schlummern unzählige Tonnen Lithium unter der Salzkruste, gelöst in konzentriertem Salzwasser, der Sole.
    Arbeiter gehen in Schutzanzügen und mit Masken durch die Anlage zur Herstellung von Lithiumkarbonat des chilenischen Unternehmens SQM.
    In einer Raffinerie wird Lithiumkarbonat verarbeitet, das aus den Salzseen in der Atacama-Wüste abgebaut wird.
    Quelle: dpa

    SQM pumpt sie an die Oberfläche und verteilt sie auf riesige, rechteckige Pools, wo sie der Sonne ausgesetzt ist. Über Monate verdunstet das enthaltene Wasser. Nach und nach setzen sich unterschiedliche Mineralien ab, entsprechend ändert sich die Farbe der Becken. Von hellblau über grün bis gelb-orange.
    Die Sole durchläuft mehrere dieser Pools, bis am Ende die Lithiumkonzentration so hoch ist, dass sie per Tanklaster zur Raffinerie gebracht wird, wo in einem geschlossenen System die beiden Endprodukte, Lithiumhydroxid und Lithiumkarbonat, gewonnen werden.

    Produktion benötigt Massen an Frischwasser - in der Wüste

    "Der Salar de Atacama hat zwei große Vorteile", sagt Osvaldo Yañez, Innovationsmanager der Mine: "Zum einen ist die Lithiumkonzentration in der hiesigen Sole die höchste der Welt, zum anderen bietet der Salar die besten Voraussetzungen für den Gewinnungs-Prozess." Gemeint ist die gnadenlos brennende Sonne und die Tatsache, dass es hier so selten regnet.
    Genau das ruft auch die Kritiker auf den Plan. Das Metall, das der Welt mehr Nachhaltigkeit bringen soll, bereitet Umweltschützern dort, wo es herkommt, wachsende Sorge. Um Lithium zu gewinnen, braucht es neben der Sole auch viel Frischwasser - und das ausgerechnet in der Wüste.

    Indigene schauen mit Zorn auf Lithium-Mine

    Cristián Espíndola gehört zum indigenen Volk der Licanatay, die seit mehr als 1.500 Jahren die Quebradas, die fruchtbaren Flusstäler oberhalb der Atacama-Wüste besiedeln. Wasser steht im Zentrum ihrer Existenz. Voller Zorn schaut der studierte Geograph auf die Mine unten im Salar und brummt:

    Sie werden ein Heiligtum aus Abfall hinterlassen.

    Cristián Espíndola vom indigenen Volk der Licanatay

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    Wasser wird immer knapper

    Direkt am Fuß eines prähistorischen Friedhofs, unterhalb gewaltiger Felswände mit Reliefs, die Lamas und andere Tiere zeigen, eine Gegend, in die sich nie Touristen verirren, betreiben sie seit Jahrhunderten Landwirtschaft. Dazu verwenden sie ein ebenso altes wie bewährtes Bewässerungssystem, das sich direkt aus dem Wasser der Anden speist. Durch verschiedene Kanäle, die mit Steinen und Leinentüchern abgedichtet werden, leiten sie das Quellwasser über die Felder. Kleine Flächen fruchtbaren Grüns inmitten einer lebensfeindlichen Landschaft.
    In den letzten Jahren ist das Wasser hier knapper geworden. Klimawandel, sagen die einen. Die Bergbaukonzerne und die Gier der Welt nach Lithium, sagt Cristián: "Wegen dieser Lithiumfabrik leben wir in ständiger Gefahr. Sie verwenden das Wasser zur Herstellung von Lithiumbatterien. Was für einen großen Teil der Menschheit ein Fortschritt sein mag, bedeutet für uns Zerstörung."

    Minengesellschaft streitet Verantwortung ab

    Das Problem des Klimawandels solle von denen gelöst werden, die es verursacht hätten - und nicht auf Kosten der indigenen Völker Atacamas, fordert er. Ariel Vidal, der Chefhydrologe der Minengesellschaft, widerspricht. Den indigenen Gemeinden würde kein Wasser abgegraben.
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    Die Grundwasserbrunnen der Mine seien weiter unten im Tal. Und die Sole komme ohnehin aus einer anderen Schicht des Bodens. Seit Jahren sei der Grundwasserspiegel in der Gegend stabil. "Wir sehen keinen Zusammenhang zwischen der Entnahme von Sole im Kerngebiet und dem, was in den höher gelegenen Teilen des Atacama-Beckens geschieht", sagt Vidal. Die höheren Gebiete hingen von den Niederschlägen ab.

    Ökosystem der Atacama-Wüste bisher kaum erforscht

    Außerdem würde die Mine den Wasser- und Soleverbrauch kontinuierlich senken. Man sei schon jetzt deutlich unterhalb der Grenzwerte. Dennoch, beteuert er, nehme man die Ängste der umliegenden Gemeinden ernst. Es gebe einen regen Austausch und auch eine Beteiligung an den Gewinnen der Mine, mit denen Sozial- und Infrastrukturprogramme gefördert würden.
    Doch es bleiben Zweifel. Jüngere Studien weisen darauf hin, dass das komplexe Atacama-Ökosystem noch lange nicht ausreichend erforscht ist - und dass die Flüssigkeitskreisläufe hier wesentlich langsamer ablaufen als bislang angenommen. Es ist also gut möglich, dass die wahren Auswirkungen des Lithiumabbaus erst in Jahrzehnten sichtbar werden könnten.

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