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Georgiens Absage an die EU:Schritt für Schritt in Richtung Russland
von Felix Klauser
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In Georgien wird immer deutlicher, in welche Richtung die Regierungspartei "Georgischer Traum" steuert. Den Beitrittsprozess mit der EU will man für vier Jahre aussetzen.
Nanuka Zhorzholiani schleppt Kiste um Kiste in ein weißen Transporter, irgendwo in den Straßen von Tiflis. In jeder der Boxen befinden sich 50 Gasmasken, die vor Tränengas schützen sollen. " Wir haben diese Masken gekauft, alles was wir irgendwie finden konnten haben wir gekauft, um es heute zu verteilen", erzählt die Journalistin.
Eine Nacht nach den schweren Auseinandersetzungen zwischen Polizei und pro-europäischen Protestierenden, wollen sich die Demonstranten heute besser vorbereiten. Und den Protest gegen die Regierung Georgiens und ihren Kurs fortsetzen.
Der Weg in die EU ist für Georgien erstmal für vier Jahre blockiert.
Quelle: dpa / Shakh Aivazov
EU-Beitrittsprozess rückt für Georgien in weite Ferne
Wohin dieser Kurs führen soll, wird einen Monat nach der Parlaments- und Richtungswahl in Georgien immer deutlicher - spätestens seit Premierminister Irakli Kobachidse gestern verkündete, die Beitrittsgespräche mit der EU bis 2028 nicht wieder aufnehmen zu wollen.
Wir haben heute entschieden, die Aufnahme von Verhandlungen mit der EU erst Ende 2028 wieder auf die Tagesordnung zu setzen.
Irakli Kobachidse, Premierminister Georgien
Seit der Verabschiedung des Gesetzes gegen ausländische Einflussnahme, das viele in Georgien an Russlands Agentengesetz erinnert, sind die Beziehungen zwischen der EU und Georgien ohnehin auf einem Tiefpunkt. Der Beitrittsprozess ist auf Eis gelegt.
Regierungspartei fühlt sich von EU erpresst
Der neue Vorstoß der Regierungspartei "Georgischer Traum" überrascht nichtsdestotrotz - und die Begründung ebenfalls. Von einem "Zustand permanenter Manipulation und Erpressung" durch die EU spricht Premierminister Kobachidse - und lässt offen, was er damit eigentlich konkret meint.
Dabei sieht sich die Regierungspartei rund um die Parlamentswahl selbst Manipulationsvorwürfen ausgesetzt. Die proeuropäische Opposition beklagt, dass bereits vor der Wahl Stimmen gekauft und Wähler unter Druck gesetzt wurden und befindet sich seit Wochen im Widerstand.
Regierungspartei verbleibt alleine im Parlament
Als am Montag das georgische Parlament zum ersten Mal nach der umstrittenen Wahl tagte, blieb knapp die Hälfte der Sitze leer - die Opposition war nicht erschienen. Mittlerweile hat ein Großteil der Oppositionspolitiker die Abgeordnetenmandate zurückgegeben.
Dass im Parlament seitdem nur noch die Regierungspartei sitzt, erinnert viele in Georgien an längst vergangene Zeiten. Zuletzt gab es den Fall in der Sowjetunion - auf den Straßen von Tiflis sehen viele die Parallele.
Diese Regierung handelt gegen den Willen des georgischen Volkes. Sie will uns in die Sowjetunion zurückdrängen, aber das wird das georgische Volk niemals zulassen.
Ana, Studentin
Bislang aber hält die Regierungspartei "Georgischer Traum" das Land fest in seinem Griff. Die juristischen Verfahren rund um die umstrittene Wahl sind im Sande verlaufen, auch die Wahlkommission selbst gilt als regierungsnah.
Offener Brief aus dem Außenministerium
Und doch regt sich auch im Innern des Systems erster Protest: Im georgischen Außenministerium verfassten mehr als 100 Mitarbeiter einen offenen Brief, in dem sie den Stopp der Beitrittsgespräche verurteilen. Ein ähnliches Protestschreiben kursiert von mehreren Richtern des Landes.
Nichtsdestotrotz: Mit der Entscheidung, die Gespräche vorerst nicht aufzunehmen, rückt der Traum von Europa für Georgien erstmal in weite Ferne. Auch wenn noch immer rund 80 Prozent der georgischen Bevölkerung einen EU-Beitritt ihres Landes befürworten.
Europäische Union düpiert
Angesichts dessen sieht Marcel Röthig von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tiflis auch die Europäische Union bloßgestellt. Schließlich habe die EU den Beitrittskandidaten-Status für Georgien erst vor einem Jahr gewährt, meint Röthig, nur um jetzt von der Regierung zu erfahren: Wir wollen das eigentlich nicht.
Damit steht die Europäische Union eigentlich vor einem Scherbenhaufen, wenn es um die Erweiterung geht.
Marcel Röthig, Friedrich-Ebert-Stiftung Tiflis
Der pro-europäischen Opposition droht unterdessen die Zeit davonzulaufen, um doch noch eine Kursänderung, um Neuwahlen zu erreichen: Die Amtszeit der pro-europäischen Präsidentin Surabishwili endet im Dezember - ihr potentieller Nachfolger ist ganz auf Regierungslinie.
Einen Monat nach der Wahl ringt Georgien immer noch um seinen Weg, die Richtung deutet immer mehr gen Russland.
Felix Klauser berichtet als Korrespondent über Russland, den Kaukasus und Zentralasien.
Quelle: dpa
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