Experte zur Globalisierung im Wandel: "Die WTO ist tot"

    Interview

    Globalisierung im Wandel :Ökonom über Welthandel: "Die WTO ist tot"

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    Steigende Preise, Rohstoffengpässe, keine Fiebersäfte für Kinder: "Die Globalisierung ist kein Selbstläufer mehr", sagt Wirtschaftsprofessor Fifka im ZDFheute-Interview.

    Containerschiffe in der Zu- und Abfahrt zum Euromax Terminal in Rotterdam
    Grenzenloser Handel: Die Spielregeln der Globalisierung verändern sich.
    Quelle: imago/Jochen Tack

    Die einen liefern Rohstoffe, die anderen exportieren Produkte. Doch der Welthandel unterliegt einem enormen Wandel. Heute stellt die Welthandelsorganisation (WTO) ihren Bericht für 2023 vor und beleuchtet darin die großen Entwicklungen.

    Die WTO mit Sitz in Genf gehört neben dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank zu den wichtigsten internationalen Organisationen in der Wirtschaftspolitik und nahm am 1. Januar 1995 ihre Arbeit auf. Sie soll vor allem ein Forum für Verhandlungen zum Abbau von Zöllen sowie anderen Handelshemmnissen bieten und überwachen, ob internationale Handelsabkommen eingehalten werden.

    ZDFheute: Protektionismus, Blockbildung oder doch eher Re-Globalisierung? Der Welthandel ist kompliziert geworden. Wo stehen wir gerade?
    Matthias Fifka: Die Globalisierung ist für Deutschland kein Selbstläufer mehr. Der Bruch zwischen dem Westen und Russland wird auf lange Sicht nicht zu kitten sein. Zudem verfolgt China immer mehr seine eigene Agenda. Bei kritischen Industrien erleben wir daher eine neue Regionalität.
    Halbleiter- oder pharmazeutische Industrie werden nach Deutschland oder in befreundete Länder rückverlagert. Aber die Globalisierung wird nicht überall zurückgedreht werden, bei einfacheren Wirtschaftsgütern wie Textilien lohnt sich das einfach nicht, da wird es bei einer internationalen Arbeitsteilung bleiben.

    Matthias Fifka, BWL-Professor
    Quelle: Max Schwarzhans

    ... ist BWL-Professor und Vorstand des Instituts für Wirtschaftswissenschaft an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg. Er hält zudem Gastprofessuren in Dallas, Shanghai und Nanjing.

    ZDFheute: Mit seiner Exportorientierung zählt Deutschland bislang zu den großen Globalisierungsgewinnern. Was wird aus dem deutschen Wirtschaftsmodell?
    Fifka: Deutschland wird weiterhin stark auf den Außenhandel angewiesen sein, denn unser heimischer Markt wächst nicht mehr. Dabei geraten Lateinamerika und Südostasien immer mehr ins Blickfeld. Die jüngeren Handelsabkommen der EU mit Vietnam, Singapur und dem Mercosur, die Deutschland maßgeblich mit angeschoben hat, zeigen, wohin die Reise geht.

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    ZDFheute: Deutschland ist gut durch viele Krisen gekommen: Anfangen bei der Finanz- über die spätere Staatsschuldenkrise bis hin zur Corona-Krise. Ist auf die Stabilität des deutschen Wirtschaftsmodells am Ende nicht doch immer Verlass?
    Fifka: Die genannten Krisen haben sich primär im Dienstleistungssektor - und hier ganz besonders im Finanzbereich - niedergeschlagen. Da in Deutschland aber das produzierende Gewerbe traditionell stark ist, ist das Land gut durch diese Krisen gekommen.
    Allerdings ist der Industriesektor energieintensiv. Und deshalb ist die jetzige Krise anders gelagert. Denn die Zeit der billigen Energieimporte aus Russland ist vorbei. In Deutschland liegen die Industriestrompreise inzwischen etwa drei Mal so hoch wie in den USA.

    Deshalb lässt sich der Erfolg des deutschen Wirtschaftsmodells nicht mehr wie gehabt fortschreiben.

    Matthias Fifka

    ZDFheute: Wenn sich die Spielregeln der Globalisierung verändern: Gibt es Länder, die davon profitieren werden?
    Fifka: Dazu gehört definitiv Indien. Indien hat ähnlich wie China nach dem Angriff auf die Ukraine günstige Rohstoffverträge mit Russland abgeschlossen. Denn durch die westlichen Sanktionen hatte Russland eine geschwächte Verhandlungsposition.
    Aber anders als China blieb Indien stärker unter dem Radar der Weltöffentlichkeit, weil es sicherheitspolitisch weniger relevant ist. Indien ist zwischenzeitlich in der Digitalwirtschaft und im produzierenden Gewerbe stark aufgestellt und hat weiterhin ein starkes Bevölkerungswachstum, während andere Industriestaaten ein großes demographisches Problem haben - auch Deutschland
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    ZDFheute: Auf der internationalen Bühne wird Handelspolitik immer mehr zu Machtpolitik. Welchen Einfluss hat die Welthandelsorganisation WTO eigentlich noch?
    Fifka: Die WTO ist tot. Seit der gescheiterten Doha-Runde tritt sie nur noch marginal in Erscheinung. Handelsverträge zwischen gleichberechtigten Partnern gehören der Vergangenheit an. Die Verlierer dieser Politik sitzen im globalen Süden, vor allem in Afrika. Wenn es keine garantierten Prinzipien im Welthandel mehr gibt, dann bedeuten Handelsverträge für die kleineren Partner nur noch: Friss oder stirb.
    ZDFheute: Lange Zeit dachte man: Handelsverflechtungen schützen vor militärischen Konflikten. Aber zählt dieser Grundsatz noch, wenn man sich die weltpolitische Lage anschaut?
    Fifka: Auch wenn die internationale Situation angespannter ist als früher, gilt dieser Grundsatz im Prinzip immer noch. Dass China im Pazifik nicht noch aggressiver auftritt, liegt sicherlich an seinen Handelsverflechtungen. Ansonsten wäre das Bedrohungsszenario für Taiwan noch massiver.
    Das Interview führte Eva Schmidt.

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