Landflucht in Italien: So kämpfen Dörfer ums Überleben
Landflucht in Italien:Es geht um nichts weniger als das Überleben
von Barbara Lueg, Rom
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Laut Schätzungen sind rund 6.000 Dörfer in Italien entvölkert. Die Jungen ohne Perspektive gehen, die Alten bleiben und sterben. Doch etliche Orte wehren sich gegen den Niedergang.
Nur 14 Menschen leben in Civita di Bagnoregio, das Dorf drohte auszusterben. Um das zu verhindern, verlangt der Bürgermeister jetzt Eintrittsgeld.16.10.2024 | 6:23 min
Die Sonne klettert über die Hügel und taucht Civita in goldenes Licht. Rossana lehnt an der warmen Steinmauer und blickt auf die leere Piazza: Niemand da. Es ist Sonntag früh. Nur eine Katze schleicht über den Platz und streckt sich in der aufgehenden Sonne. Don Luca, der Gemeindepfarrer, bereitet die Messe vor. Rossana und weitere dreizehn Bewohner machen sich auf den Weg zur Kirche.
Mehr Menschen leben hier nicht. Doch das Dorf in Latium ist weder verarmt noch verwaist - und das verdanken die Bewohner einer cleveren Marketingidee.
Rom, Venedig, Südtirol - überall drängen sich die Touristen. Und an vielen Orten wird es den Einwohnern zu viel und zu eng. Wie umgehen mit der zunehmenden Touristenschwemme?
21.07.2024 | 2:43 min
Kampagne gegen Entvölkerung wird zum Erfolg
Die Kampagne "Rettet unser sterbendes Dorf" ging wie durch ein Wunder viral, weltweit. Und führte so zu einer pompösen Wiederauferstehung Civitas. Touristen aus der ganzen Welt besuchen inzwischen das Dorf, zahlen fünf Euro, um über die einzige Verbindungsstraße ins Dorf zu gelangen. "Mamma mia, hier hat sich alles verändert", sagt Rossana. Die 67-Jährige lebt in Civita in vierter Generation.
850.000 Touristen kommen pro Jahr, um das sterbende Dorf mit seinen 14 Bewohnern zu sehen, das schon längst nicht mehr stirbt. Es gibt viele neue Restaurants, Bars und Souvenirshops, die Civita Jobs und damit eine Zukunft sichern. Auch die Nachbardörfer profitieren, weil sie in Civita nun Arbeit finden.
Die beliebte italienische Lagunenstadt leidet schon länger unter dem Massentourismus. Fünf Euro Eintritt sollen diesen ab heute bändigen. Ein weltweit beispielloses Experiment.25.04.2024 | 1:27 min
Zukunftsperspektive in italienischem Dorf
Da, wo früher der Eselstall und der Weinkeller war, betreibt auch Rossanas Tochter Arianna heute ein kleines Restaurant - immer noch beseelt davon, dass es hier weiter geht, in fünfter Generation.
"Es ist sehr emotional", erzählt Arianna. "Ich habe so viele Erinnerungen aus meiner Kindheit. Alles, was mir meine Großmutter beigebracht hat, ist in meinem Herzen und ich versuche, es hier zu bewahren."
Frankreich war 2023 das beliebteste Reiseziel bei ausländischen Touristen. Gleichzeitig sind Länder wie Kroatien und Österreich stärker überlaufen mit Urlaubern.
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Chance auf italienische Staatsbürgerschaft
Diese Wiedergeburt, die Civita glückte, ist selten. Doch immer mehr Dörfer stemmen sich gegen den Niedergang. In Biccari in Apulien mit seinen gut zweieinhalbtausend Einwohnern regiert der junge Bürgermeister Antonio Beatrice. Auch er hatte eine zündende Idee, um den Wegzug zu stoppen.
Beatrice nutzt das italienische sogenannte Abstammungsprinzip, das vereinfacht besagt: Wer als Ausländer italienische Vorfahren hat, hat die Möglichkeit auf eine italienische Staatsbürgerschaft - und damit die Chance auf ein Leben in Italien.
Liegen und Schirme in Italiens Strandbädern werden immer teurer. Betreiber streiken nun für Klarheit bei den Strandkonzessionen und schließen die Schattenspender für zwei Stunden.20.08.2024 | 2:00 min
Fiorella Vega, ihr Mann José und ihre beiden Kinder kamen vor zwei Jahren aus Peru nach Biccari, weil ihre Heimatstadt Lima für sie nicht mehr lebenswert war - und Fiorellas Oma Italienierin ist. José arbeitet nun in Biccari als Yogalehrer. Beide Kinder besuchen die örtliche Schule.
Schule lebt von Familien aus dem Ausland
Von 98 Schülern dort kommen inzwischen über die Hälfte aus dem Ausland. Ohne sie wäre die Schule längst dicht. Und ohne Schule würden viele Familien längst abwandern. Aber dank Menschen wie José und Fiorella lebt Biccari. "Einen so friedlichen, so sicheren Ort zu finden, wo es Natur und Berge gibt, wo die Kinder rausgehen können - das ist für uns ein echtes Privileg", sagt José Vega. "Für uns ist es sehr wichtig, das Gefühl zu haben, etwas zurückzugeben für diese tolle Gastfreundschaft."
Barbara Lueg berichtet als ZDF-Korrespondentin aus Italien, Griechenland, Malta und dem Vatikan.
Quelle: ZDF
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