Politisches Theater: Aufgeheizte Stimmung in Polen

    Politisches Theater in Warschau:Aufgeheizte Stimmung in Polen

    von Natalie Steger und Milena Drzewiecka, Warschau
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    Der Konflikt zwischen der abgewählten PiS-Partei von Kaczynski und der neuen Regierung von Tusk geht weiter. Geht es um Medienfreiheit oder um Machthunger?

    Anhänger der PiS-Partei protestieren gegen die Reform der öffentlich-rechtlichen Medien in Polen.
    In Polen haben Zehntausende Anhänger der PiS-Partei gegen die neue Mitte-Links-Regierung protestiert. Sie wehren sich unter anderem gegen die Reform der öffentlich-rechtlichen Medien.12.01.2024 | 0:17 min
    "Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Pluralismus": Jedem, der die Lage in Polen in den letzten Jahren beobachtet hat, sind diese Worte gut bekannt. Die damalige Opposition mit Donald Tusk an der Spitze hat sie mehrmals wiederholt, die Bürger auf den Straßen skandiert und viele internationale Experten in ihren Analysen gefordert.
    Die PiS-Regierung hat die Vorwürfe von Diktatur-Methoden schlicht abgelehnt. Doch nun ist sie in der Opposition. Und ausgerechnet sie benutzt die gleichen Parolen, die sie acht Jahre lang ausgelacht und verachtet hat.

    PiS setzt sich in Szene

    Was wie ein skurriles Theater daherkommt, kann für den Staat Polen eher tragische als komische Konsequenzen haben. PiS-Politiker besetzen die Zentrale des öffentlich-rechtlichen Senders TVP. Selbst Jaroslaw Kaczynski übernachtet dort demonstrativ, lässt sich mit dem - noch - TVP-Chef fotografieren und kündigt den Kampf für Pluralismus an - das war der Prolog.
    Poland Media Independence
    Eine Woche nach Amtsantritt hat die Regierung in Polen die Führungsriegen der staatlichen Medien entlassen. Die abgewählte PiS protestiert.21.12.2023 | 2:33 min
    Und Ironie pur, denn niemand sonst hat die polnischen öffentlich-rechtlichen Medien so politisiert wie die PiS. Die Nachrichtensendungen wurden zum Propagandainstrument.

    OSZE-Kritik an Propaganda-Sender TVP

    Die Berichterstattung im letzten Wahlkampf wurde sogar von unabhängigen Beobachtern kritisiert: "In einem politisch polarisierten Medienumfeld", sagt Pia Kauma von der OSZE, "und allgemein engerem Raum für unabhängigen Journalismus, hat der öffentlich-rechtliche Rundfunk offen die Regierungspartei bevorzugt." Also TVP, damals in PiS-Hand.
    Tusks Kulturminister hat begonnen, das Ganze wieder zu ordnen, allerdings tatsächlich nicht im allerschönsten Stil. Die gesamte Führungsriege wurde entlassen, neue Aufsichtsräte ernannt. Der Nachrichtenkanal zeigte mehrere Tage keine Nachrichten. Langsam kam er in den Betrieb zurück. Das mag radikal wirken, doch Tusk hatte die Rückkehr in die Vor-PiS-Zeit versprochen. Das Ziel: neue Strukturierung und unabhängiger Journalismus.

    Hat irgendjemand geglaubt, dass auf uns eine leichte, einfache und angenehme Arbeit warten würde? Nein, es wird für eine Weile hart, schwer und unangenehm werden.

    Donald Tusk auf X

    Ein weiteres Versprechen Tusks war die Abrechnung mit denen, die in der PiS-Regierung Affären auslösten und rechtswidrig handelten. Und da kamen die letzten Tage wie ein Geschenk für die PiS, denn ein Gericht hat zwei ihrer Politiker, Mariusz Kaminski und Maciej Wasik, wegen Amtsmissbrauchs zu zwei Jahren Haft verurteilt. Kaminski ist Kaczynskis enger Verbündeter und war die vergangenen Jahre Innenminister. Das Urteil aber hat mit seinen letzten Amtsjahren nichts zu tun.
    Polen, Warschau: Andrzej Duda, Präsident von Polen, spricht während einer Presseerklärung im Präsidentenpalast.
    In Polen eskaliert der Konflikt zwischen dem neuen Regierungschef Tusk und Präsident Duda weiter. Duda empfing zwei wegen Amtsmissbrauchs verurteilte PIS-Politiker. 10.01.2024 | 1:39 min

    Schweigen über Kaminski-Affäre

    Grund war eine im Jahr 2007 aufgedeckte Affäre, bei der die damals von Kaminski geleitete Antikorruptionsbehörde (CBA) gezielt einen Korruptionsfall inszeniert haben soll, um den damaligen Landwirtschaftsminister zu diskreditieren. Diese Fakten aber lassen die Nationalkonservativen beiseite, stilisieren die beiden rechtskräftig Verurteilten zu "politischen Gefangenen", als seien sie ein Nawalny.
    Polizei in Polen fasst PiS-Politiker
    In Polen wurden der frühere Innenminister Mariusz Kaminski und sein Staatssekretär Maciej Wasik verhaftet.10.01.2024 | 2:57 min
    "Es ist ein unglaublicher Skandal, dass diese beiden Männer heute im Gefängnis sitzen", so Kaczynski. Und Andrzej Duda, neben dem die Gattinnen der Verurteilten standen, wie einst die Ehefrauen der in Belarus Verhafteten, sprach von einem Affront "gegen Würde des freien Staates". Der Präsident, PiS-treu, leitete ein Begnadigungsverfahren ein. Zum zweiten Mal. Die erste Begnadigung von Duda im Jahr 2015 war vom Obersten Gerichtshof infrage gestellt worden.

    Duda, PiS-treuer Präsident

    Duda war früher PiS-Parteimitglied. Kein Wunder, dass Kaminski und Wasik den Präsidentenpalast als ihren Zufluchtsort ausgewählt hatten. Und genau dort wurden sie von der Polizei verhaftet.
    Die Spannung wächst und die PiS nutzt die Gunst der Stunde, um ihre Wähler zu mobilisieren und einen Opfer-Mythos aufzubauen. Große Worte gehören zu ihrer PR-Strategie, was selbst der Name der Partei zeigt: Recht und Gerechtigkeit. Nach acht Jahren Regierungszeit klingt das mehr denn je wie blanker Hohn.
    Polnische Familie
    Acht Jahre PiS in Polen: zwei Blickwinkel.16.10.2023 | 4:59 min
    Protestabend vor dem Parlament: "Freie Medien, freie Medien" skandieren die Menschen, die mit polnischen Fahnen gekommen sind. Das Warschauer Rathaus spricht von 35.000 Protestierenden, die PiS von über 200.000. Theoretisch geht es um freie Medien und Gerichte, praktisch um den Machthunger der PiS-Partei, die ihren Einfluss und ihre Medien gerne behalten würde.
    Epilog: Einige verkünden eine Staatskrise. Weiter ausgehebelter Rechtstaat, fragwürdige ÖR-Medien, gespaltene Gesellschaft- das sei die Gefahr. Doch voreilige Schlüsse sind nicht angebracht. Es besteht auch die Möglichkeit, dass nach den turbulenten Zeiten in Polen wieder Normalität einkehrt. Mit den Krisen, die zur Demokratie gehören, aber mit weniger Theater. Nur dies müssten sich alle politischen Regisseure wünschen.

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