Resozialisierung von Straftätern: Häftlinge als Bauern

Strafvollzug Schweiz:Wo Straftäter als Bauern arbeiten

von Jasmin Astaki-Bardeh
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In der Justiz-Vollzugsanstalt Witzwil arbeiten Insassen im gefängniseigenen Landwirtschaftsbetrieb, statt ihre Strafe abzusitzen. Das soll sie auch für das Leben danach rüsten.

Schild einer Justizvollzugsanstalt.
Sie arbeiten auf dem Acker, misten Ställe aus und melken Kühe. Insassen der JVA-Witzwil arbeiten während ihrer Haftstrafe als Bauern und lernen so, Verantwortung zu übernehmen.
Quelle: dpa

Es ist ein Gefängnis der anderen Art: Hier kann keiner der 184 Gefangenen seine Strafe einfach absitzen. Jeder muss ackern, und zwar buchstäblich - auf Feldern, die Obstwiesen in Schuss halten, die Ställe ausmisten, das Vieh melken. Die Straftäter sollen das Geben lernen, Verantwortung tragen - für Schweine, Rinder, Hühner und Bienen. Und vor allem: für sich selbst.
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Ein Gefängnis ist größter Landwirtschaftsbetrieb der Schweiz

Ein Hahn kräht in der Stille, hin und wieder bimmeln Glocken am Hals der träge grasenden Kühe, und aus der Ferne schallt das Brummen von Traktoren herüber. 728 Quadrathektar umfasst die JVA Witzwil im Kanton Bern - das Gefängnis ist zugleich der größte Landwirtschaftsbetrieb der Schweiz.
Nur Männer sitzen hier ein, in Einzelzellen. Vor 150 Jahren war Witzwil eine landwirtschafte Domäne. Nach deren Konkurs fiel das Gut ans Kanton. Das machte 1894 eine Kaserne für Gefangene daraus, nutzte deren Arbeitskraft. Heute liegt der Jahresumsatz des landwirtschaftlichen Betriebes bei gut 20 Millionen Franken, also umgerechnet über 21 Millionen Euro.
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Bäuerliche Arbeit gibt den Tagesablauf vor

Jeden Morgen werden um 6 Uhr in der Früh die Zellen aufgeschlossen. Jeder Tag ist streng getaktet. Sie sind hier im offenen Vollzug, doch der funktioniert hier nach festen Regeln. Bernd heißt in Wirklichkeit anders, will aber seinen wahren Namen für sich behalten - und auch, für welche Betrugs-Delikte er hier seine Strafe abbüßt.
Er muss frühmorgens zuerst zu den Kälbern, trägt schwere Milchkübel zu den kleinen Iglu-Ställen, in denen die Jungtiere einzeln untergebracht sind. Sie schnauben ihm freudig entgegen. Bernd weiß, wie sie sich auf ihn verlassen: "Das ist wie ein Spiegel", sagt er mit einem Blick auf die Tiere. "Sie merken, ob man sie gerne hat, ob man sie respektiert oder nicht. Man kann sich daran richten."
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Viehzucht mit pädagogischem Effekt

Nach der Fütterung werden die jungen Tiere auf die angrenzende Weide gelassen. Bernd und ein Mithäftling haben Mühe, die aufgeregten Jungtiere zu bändigen. Die traben dann fröhlich auf die Wiese. Die beiden Männer weiden sich am Glück des Viehs, als würden sie dessen Gefühle selbst kennen. "Die Iglus sind ja wie eine Zelle, im Endeffekt", sagt Bernd. "Wenn sie da rauskommen und zufrieden sind, ist das für uns auch befriedigend."
Ein pädagogischer Effekt, der bestätigt, was JVA-Leiter Balz Bütikhofer für wichtig hält für seine vielen Insassen: Ihm geht es um das Lehren von Verantwortung, damit nach Verbüßen der Haft ein Leben ohne Straftaten gelingen kann. "Ein ganz wichtiger Faktor bei der Normalisierung ist eben diese eigene Initiative. Also wir verlangen von unseren Männern, dass sie selbst etwas wollen: dass sie selbst Dinge anreißen, dass sie ihre Urlaube, ihre Ausgänge selber planen, dass sie, wenn es dann darum geht, die berufliche Zukunft vorzubereiten, auf den Stellenmarkt gehen."
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Füttern und Pflügen schult Verantwortungsbewusstsein

Bernd kennt auch andere Haftbedingungen. Er saß schonmal in einem Land am anderen Ende der Welt ein - knallhart sei dort Strafvollzug gewesen, Folter und Prügel bestimme den Tag, anstatt Füttern und Pflügen wie hier. Er hat viel über Verantwortung gelernt hier, was er später nutzen will.
Er sieht den Vollzug als Chance - auch wenn er nichts romantisiert:

Strafvollzug ist nicht lustig, das ist klar. Das ist Freiheitsentzug. Aber so ist das System nun einmal. Und man muss damit klarkommen können und vorwärts schauen.

Bernd, Insasse

Bernd fühlt sich hier wohl. Aber wie wohl in jedem Gefängnis auf der Welt träumen die Insassen auch in Witzwil von Freiheit. Bernd benennt es ganz konkret: "Ich denke an meine Kinder und... dass ich bald wieder für sie da sein könnte."
Er sieht seine Tätigkeit hier als Vorbereitung auf seine Entlassung - noch 10 Monate, dann ist es bei ihm so weit. Dann entscheidet sich, ob er das, was er hier in Witzwil lernt, anwenden kann: Verantwortung übernehmen.

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Quelle: dpa

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