mit Video
FAQ
Festgesetzte Rettungsschiffe:So kriminalisiert Italien die Seenotrettung
von Alice Pesavento
|
Drei deutsche Seenotrettungsschiffe werden zurzeit in italienischen Häfen blockiert. Warum geht Italien so hart gegen zivile Seenotretter vor?
Die "Humanity 1" wird aktuell in Italien festgesetzt.
Quelle: AP
"Humanity 1", "Sea-Watch 5" und "Sea-Eye 4" - so heißen die drei Rettungsschiffe, die die Häfen, in denen sie sich befinden, für mindestens 20 Tage nicht verlassen dürfen - angeordnet von italienischen Behörden. Zusätzlich werden sie mit einer Geldstrafe von jeweils 3.333 Euro belegt.
Besonders die am Montag bekanntgegebene 60-tägige Festsetzung der "Sea-Eye 4" im Hafen von Reggio Calabria bildet dabei einen neuen Höhepunkt im Vorgehen der italienischen Behörden gegen zivile Seenotrettungsorganisationen. So lange wie die "Sea-Eye 4" wurde bisher noch kein ziviles Rettungsschiff von Italien blockiert.
ZDF-Reporterin Isabelle Schaefers war bei einem Mittelmeer-Einsatz von Seenotrettern dabei. 21.11.2023 | 4:43 min
Warum wurde die "Sea-Eye 4" festgesetzt?
Italien wirft der Besatzung der Seenotrettungsschiffe vor, nicht mit der libyschen Küstenwache kooperiert zu haben. Im Falle der "Sea-Eye 4" sollen die Helfer Flüchtlinge an Bord genommen haben, obwohl die libysche Küstenwache zur Aufnahme bereit gewesen wäre, so die italienischen Behörden.
Die Organisation Sea-Eye weist diese Vorwürfe zurück und möchte rechtlich dagegen vorgehen.
"Die sind angekommen, als wir schon fast mit der Rettung fertig waren". Außerdem sei die libysche Küstenwache nur mit zwei Patrouillenbooten vor Ort gewesen, welche nicht für eine Rettung der 84 in Seenot geratenen Menschen ausgestattet waren. Hinzu komme, so Botica, dass die libysche Küstenwache die Menschen nach der Rettung zurück nach Libyen gebracht hätte, was gegen internationales Seerecht verstoßen hätte.
Das sieht auch Marlene Stiller, Rechtswissenschaftlerin am Lehrstuhl für Internationales Öffentliches Recht und Internationalen Menschenrechtsschutz der Universität Münster, so.
Libyen ist kein solcher sicherer Ort, weil den Geretteten dort Menschenrechtsverstöße und Verfolgung drohen.
Dass Libyen kein sicherer Ort für Migranten ist, wurde zuletzt durch die unabhängige Ermittlungsmission für Libyen der Vereinten Nationen bestätigt. Diese schreibt in ihrem 2023 veröffentlichten Abschlussbericht: "Die Mission hat vernünftige Gründe gefunden, um zu glauben, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit gegen Libyer und Migranten in ganz Libyen im Kontext der Freiheitsberaubung begangen wurden". Dazu zählten unter anderem "zahlreiche Fälle von (…) willkürlicher Inhaftierung, Mord, Folter, Vergewaltigung, Versklavung, sexueller Sklaverei, außergerichtlicher Hinrichtung", so der Bericht.
Dennoch wurden 2023 circa 15.000 Menschen von der libyschen Küstenwache, die von der EU trainiert, finanziert und ausgestattet wird, abgefangen und zurück nach Libyen gebracht. Laut Rechtswissenschaftlerin Marlene Stiller widerspricht das internationalem Recht. "Wenn klar ist, dass die libysche Küstenwache die Menschen nicht nach Italien oder Griechenland bringt, sondern zurück nach Libyen, dann ist die kein geeigneter Akteur, um eine Seenotrettungshandlung durchzuführen", sagt sie.
Dennoch wurden 2023 circa 15.000 Menschen von der libyschen Küstenwache, die von der EU trainiert, finanziert und ausgestattet wird, abgefangen und zurück nach Libyen gebracht. Laut Rechtswissenschaftlerin Marlene Stiller widerspricht das internationalem Recht. "Wenn klar ist, dass die libysche Küstenwache die Menschen nicht nach Italien oder Griechenland bringt, sondern zurück nach Libyen, dann ist die kein geeigneter Akteur, um eine Seenotrettungshandlung durchzuführen", sagt sie.
SOS Mediterranee erhält den Right Livelihood Award für ihre Einsätze auf dem Mittelmeer. Trotz politischer Hindernisse verfolge die Organisation konsequent ihre Rettungseinsätze.30.11.2023 | 2:01 min
Welche Auswirkungen haben die Festsetzungen?
Aufgrund der vielen Festsetzungen durch die italienischen Behörden sind zurzeit nur sehr wenige Rettungsschiffe im Mittelmeer im Einsatz.
"Die Leute werden trotzdem fahren und die Leute werden trotzdem sterben, weil sie lieber sterben möchten, als ungerecht behandelt oder vergewaltigt zu werden, wie es ihnen in Libyen passiert", sagt er.
Zur Seenotrettung verpflichtet sind Küstenstaaten, die Such- und Rettungsdienste einrichten und unterhalten müssen, sowie jeder Kapitän und jede Kapitänin, die sich mit ihrem Schiff in der Nähe von in Seenot geratenen Menschen befinden und in der Lage sind, Rettungsaktionen durchzuführen.
Das Mittelmeer wird sowohl von nationalen Küstenwachen, als auch von der EU-Grenzschutzagentur Frontex stark überwacht. Seit 2014 gibt es jedoch keine expliziten Suchaktionen durch EU-Mitgliedsstaaten mehr. "Die Schwierigkeit ist, dass dieser Wegfall in einer Situation passiert, in der weiterhin ganz viele Menschen über das Mittelmeer flüchten, weil es keine legalen Zugangswege zu Schutz in der europäischen Union gibt", sagt Rechtswissenschaftlerin Marlene Stiller.
Staatliche Akteure führen zwar noch immer Rettungen durch, ihr Fokus liegt aber mittlerweile eher auf Grenzschutzmaßnahmen. "Wir konnten beobachten, dass staatliche Küstenwachen und die Grenzschutzagentur Frontex in Praktiken involviert sind, die eher noch mehr Risiken schaffen für die Menschen, die bereits in Seenot sind", sagt Stiller. Dazu gehören beispielsweise Pushbacks und Pullbacks, bei denen flüchtende und migrierende Menschen - oftmals gewaltsam - in ein Land, aus dem sie fliehen, zurückgeschoben oder zurückgezogen werden.
Das Mittelmeer wird sowohl von nationalen Küstenwachen, als auch von der EU-Grenzschutzagentur Frontex stark überwacht. Seit 2014 gibt es jedoch keine expliziten Suchaktionen durch EU-Mitgliedsstaaten mehr. "Die Schwierigkeit ist, dass dieser Wegfall in einer Situation passiert, in der weiterhin ganz viele Menschen über das Mittelmeer flüchten, weil es keine legalen Zugangswege zu Schutz in der europäischen Union gibt", sagt Rechtswissenschaftlerin Marlene Stiller.
Staatliche Akteure führen zwar noch immer Rettungen durch, ihr Fokus liegt aber mittlerweile eher auf Grenzschutzmaßnahmen. "Wir konnten beobachten, dass staatliche Küstenwachen und die Grenzschutzagentur Frontex in Praktiken involviert sind, die eher noch mehr Risiken schaffen für die Menschen, die bereits in Seenot sind", sagt Stiller. Dazu gehören beispielsweise Pushbacks und Pullbacks, bei denen flüchtende und migrierende Menschen - oftmals gewaltsam - in ein Land, aus dem sie fliehen, zurückgeschoben oder zurückgezogen werden.
In den vergangenen Jahren wurde von verschiedenen Seiten immer wieder behauptet, dass Seenotrettung zur mehr irregulärer Migration und somit auch zu mehr Todesfällen im Mittelmeer führen würde. Seenotrettungsaktionen wären ein „Pull-Faktor“, also ein Anreiz für Migranten und Geflüchtete, das Mittelmeer zu überqueren, da sie eine Rettung angeblich mit in ihre Entscheidung über das mit der Flucht verbundene Risiko einkalkulieren würden.
Eine Studie, die vor Kurzem von einem internationalen Forschungsteam um Alejandra Rodríguez-Sánchez veröffentlicht wurde, hat diese Behauptung nun widerlegt. Die Seenotrettung habe demnach keinen Einfluss auf die Zahl der Überquerungsversuche im zentralen Mittelmeer. „Die Menschen wissen, dass es sehr schwierig ist, gerettet zu werden und sie versuchen es trotzdem. Es geht ihnen nicht darum, gerettet zu werden, sondern darum, einer Situation zu entkommen, die unerträglich ist“, so Rodríguez-Sánchez.
Eine Studie, die vor Kurzem von einem internationalen Forschungsteam um Alejandra Rodríguez-Sánchez veröffentlicht wurde, hat diese Behauptung nun widerlegt. Die Seenotrettung habe demnach keinen Einfluss auf die Zahl der Überquerungsversuche im zentralen Mittelmeer. „Die Menschen wissen, dass es sehr schwierig ist, gerettet zu werden und sie versuchen es trotzdem. Es geht ihnen nicht darum, gerettet zu werden, sondern darum, einer Situation zu entkommen, die unerträglich ist“, so Rodríguez-Sánchez.
Allein im vergangenen Jahr sind mindestens 3.105 Menschen beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, gestorben. Zivile Seenotretter verhinderten, dass diese Zahl um ein Vielfaches höher ist. Sie retteten 2023 circa 10.000 Menschen im Mittelmeer das Leben.
Unterwegs mit Flüchtlingsrettern auf dem Mittelmeer. Wir zeigen den Alltag auf hoher See. Und wie die EU in der Migrationsfrage um Lösungen ringt.16.11.2023 | 28:51 min
Wie schränkt Italien die Seenotrettung ein?
Erst im vergangenen Jahr erließ die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni das sogenannte Piantedosi-Dekret, das vorschreibt, wie zivile Seenotretter sich verhalten müssen. Einzelne Aspekte des Dekrets beschreibt Stiller als "sehr bedenklich, wenn nicht sogar im Konflikt mit internationalem Recht". So dürfen Seenotrettungsorganisationen laut dem Dekret nur eine einzige Rettung durchführen und müssen daraufhin sofort in einen von Italien zugewiesenen Hafen fahren. Nach dem internationalen Seerecht sei ein Kapitän aber immer wieder zur Rettung verpflichtet, wenn er von einem Seenotrettungsfall mitbekommt, erklärt Stiller.
Hinzu kommt, dass Italien Rettungsschiffen seit einiger Zeit vermehrt Häfen zuweist, die weit entfernt vom Ort der Rettung sind. Laut einer gemeinsamen Pressemitteilung von verschiedenen Seenotrettungsorganisationen, verloren zivile Rettungsschiffe dadurch im vergangenen Jahr 374 Tage Einsatzzeit.
"maybrit illner" vom 18.01.2024 mit dem Thema "Regieren unter Protest -Migrationskrise ungelöst?" 18.01.2024 | 64:23 min
Welche Verantwortung trägt die Europäische Union?
Dass Italien die zivile Seenotrettung zunehmend einschränkt, liegt laut Stiller auch daran, dass Italien als Küstenstaat besonders viele Schutzsuchende aufnimmt. Denn laut der Dublin-Verordnung der EU ist immer das Land für den Asylantrag einer schutzsuchenden Person verantwortlich, in dem diese Person zum ersten Mal europäischen Boden betreten hat.
Stiller fordert deshalb, den Druck auf Küstenstaaten wie Italien zu reduzieren. "Es ist die Verantwortung der EU, einen Mechanismus zu schaffen, der tatsächliche Solidarität innerhalb der Mitgliedsstaaten bedeutet und der tatsächlich dazu führt, dass eine gerechtere Verteilung der Menschen, die innerhalb der EU ankommen, stattfindet", sagt sie.
Themen
Mehr zu Flucht
mit Video
Einbürgerung und Abschiebung:Was die Ampel bei der Migrationspolitik plant
"Technischer Fehler" im Haushalt:Finanzierung für zivile Seenotretter bleibt
Interview