Gedenktag für Terrorismus-Opfer: Ein Überlebender berichtet

    Gedenktag für Terrorismus-Opfer:Terror in Madrid: Überlebender erinnert sich

    von Brigitte Müller
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    Die Madrid-Anschläge trafen Spanien am 11. März 2004 unerwartet - Europa gedenkt seither jährlich der Terrorismus-Opfer. Was ein Überlebender und ein Experte über den Terror sagen.

    Menschen in gelben Warnjacken stehen neben einem Zugwagon, der durch eine Bombe zerstört wurde
    Am 11. März jähren sich zum 20. Mal die Terroranschläge von Madrid. In vier Zügen zündeten Attentäter Bomben. Über 190 Menschen starben, 1.500 wurden verletzt.11.03.2024 | 2:08 min
    "Ich werde nach hinten geschleudert. Eine Explosion in dem Wagen, in dem ich mit meinen Kindern bin. Drei Meter entfernt, an der Tür, wo die Menschen sich zum Aussteigen sammeln. Ich verliere das Bewusstsein." Gastón González spricht langsam, ruft sich diesen 11. März 2004 in Erinnerung, als der damals 42-Jährige mit seinen Söhnen wie jeden Tag mit dem Zug in die Stadt fährt.
    Zwischen 7.36 Uhr und 7.40 Uhr werden in vier Zügen zehn Bomben gezündet - gebettet in Nägel und Metallsplitter, um ihre tödliche Zerstörungskraft zu optimieren. Das Attentat von Madrid mit 191 Toten und mehr als 1.800 Verletzten ist das mit den meisten Opfern in Europa in den letzten Jahrzehnten. Es ist außerdem das erste große islamistische Attentat auf dem Kontinent. Seitdem ist der 11. März der Europäische Gedenktag für die Opfer des Terrorismus.
    Gastón González
    Gastón González überlebte als Zuginsasse die Anschläge in Madrid am 11. März 2004.
    Quelle: privat

    Terrorexperte Álvaro Vicente von der spanischen Denkfabrik "Elcano" sagt: "Al-Kaida wurde damals als ein Phänomen wahrgenommen, das Länder mit muslimischer Mehrheit betraf. 9/11 war wohl als Ausnahme verstanden worden."

    In Spanien stellte vor 20 Jahren die baskische ETA die größte terroristische Bedrohung dar.

    Álvaro Vicente, Terrorexperte

    Politiker verdächtigten zunächst baskische Terrorgruppe

    Während in Madrid die Sirenen der Krankenwagen die ganze Stadt erfüllen und Feuerwehr, Ärzte, Sanitäter, Taxifahrer und Freiwillige die Verletzten in Krankenhäuser verteilen, spricht der baskische Ministerpräsident Juan José Ibarretxe bereits von einem horrenden Attentat der Terrorgruppe ETA.
    Auch die spanische Regierung unter dem konservativen Ministerpräsidenten José María Aznar akzeptiert keine Zweifel an dieser Version, selbst nachdem in einem Vorort der Stadt ein Kastenwagen mit sieben Sprengköpfen, Teilen des Sprengstoffs Goma-2 und eine Tonkassette mit Versen des Koran gefunden werden.
    Spanien Regierungschef hält eine Rede anlässlich des 20. Gedenktags des Anschlags in Madrid
    Seit den Anschlägen in Spanien 2004 ist der 11. März der europäische Gedenktag für Opfer des Terrorismus. Ministerpräsident Sánchez erinnerte in Madrid an die Verstorbenen.11.03.2024 | 0:20 min

    Anschläge nur wenige Tage vor den Parlamentswahlen

    Drei Tage nach dem 11. März stehen Parlamentswahlen an. Die Regierung räumt nun zwar weitere Untersuchungsstränge ein, hält aber an der Täterschaft der Terrorgruppe ETA fest. Die Rechnung ist einfach: Hat ETA das Massaker zu verantworten, werden die Konservativen ihre Mehrheit behaupten, weil sie das harte Durchgreifen symbolisieren.
    Steht Al-Kaida dahinter, wird der Regierung ihre Unterstützung des Irak-Kriegs zum Verhängnis werden. Eine Kriegsunterstützung, die in der spanischen Bevölkerung nie eine Mehrheit hatte.

    Terrorexperte: Mehrere Gründe für Spanien als Anschlagsort

    Doch diese Überlegung, die am 14. März 2004 tatsächlich zu einem Regierungswechsel führt, trifft die Wahrheit laut Terrorexperte Vicente nur zum Teil: "Die Anschläge vom 11. März nahmen bereits Ende 2001 oder Anfang 2002 Gestalt an, waren lange vor der Intervention im Irak Teil der Strategie von Al-Kaida." Für die Wahl Spaniens als Anschlagsort habe es ihm zufolge noch andere Gründe gegeben.
    So habe Spanien nach den Anschlägen in den USA am 11. September 2021 mehr als 20 Mitglieder von Al-Kaida festgenommen, was ein Schlag für die Organisation gewesen sei. Einen weiteren Grund sieht Vicente in der Bedeutung, die Al-Andalus in der Vorstellung von Al-Kaida habe - es handele sich dabei um jenes Gebiet Spaniens, "das bis zum 15. Jahrhundert unter muslimischer Kontrolle stand."

    Der Krieg im Irak wurde sehr spät als Rechtfertigung für diese Angriffe hinzugefügt.

    Álvaro Vicente, Terrorexperte

    Terroristen sprengen sich selbst in die Luft

    Zwei Tage nach dem Attentat werden die ersten fünf Verdächtigen festgenommen. Die Spur führt schließlich zu einer Wohnung in der Vorstadt Leganés. Bevor das Spezialkommando die Wohnung stürmen kann, sprengen sich die sieben Terroristen dort am 3. April 2004 in die Luft. Ein Elitepolizist kommt ebenfalls ums Leben.
    Bei der Gerichtsverhandlung 2007 werden nur drei der 26 Verdächtigen zu Höchststrafen verurteilt. Die meisten Bombenleger sind tot und der internationale Drahtzieher Amer Azizi schon in Pakistan, wo er 2005 von einem Bombenangriff der CIA ums Leben kommt.

    González: "Mental dauert es viel länger, gesund zu werden"

    Die Folgen für die Opfer dauern viel länger an. "Der menschliche Körper ist fantastisch", so González. "Er baut Zellen wieder auf, hat eine große Fähigkeit, sich selbst zu heilen." Aber:

    Psychologisch und mental dauert es viel länger, gesund zu werden - mit vielen Therapien, guten und besseren.

    Gastón González

    Für ihn sei das "jetzt endlich Teil der Vergangenheit". "Ich war ein Opfer, heute bin ich es nicht mehr", fügt González hinzu. "Ich bin ein gewöhnlicher Mensch, der versucht, gute Dinge zu tun. Aber es hat lange gedauert."
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