Terrorismusexperte befürchtet Aufleben der Terrormiliz IS

    Interview

    Angriff auf Israel:Terrorismusexperte befürchtet Aufleben des IS

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    Terrorismusforscher Peter Neumann vermutet, dass der Gaza-Krieg der Terrormiliz IS neuen Grund geben könnte, in Europa Terror zu verbreiten – jetzt aber mit anderen Zielen.

    Peter Neumann
    Terrorismusforscher Peter Neumann

    ZDFheute: Auf X, ehemals Twitter, schreiben Sie, dass Sie eine neue dschihadistische Terrorwelle befürchten. Im Gaza-Krieg sehen Sie Faktoren, die "noch Schlimmeres befürchten lassen" als der syrische Bürgerkrieg, der 2014 zu Terror in Europa führte. Wieso könnte der aktuelle Gaza-Krieg zu Radikalismus hierzulande führen?
    Peter Neumann: Wenn man sich anschaut, was gerade im Vergleich zu dem Konflikt vor zehn Jahren passiert, sieht man einige der selben Faktoren. Wir haben eine starke Radikalisierung durch soziale Medien - Videos von getöteten Babys, weinenden Menschen, Bombardierungen. Das war damals schon ein wichtiger Faktor, der einen drastischen Effekt gehabt hat. Das ist jetzt noch schneller geworden, es gibt mehr davon. Und auch viel Desinformation.
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    Ein zweiter Faktor ist, dass es sich nicht wie im Falle Syrien um einen Bürgerkrieg handelt, wo Muslime gegen Muslime kämpfen und wo man manchmal gar nicht weiß: Wer ist der Gute wer ist der Böse? Sondern es geht hier um einen für alle Islamisten zentralen Konflikt: Es geht um das Heilige Land, es geht um Jerusalem, es geht um Muslime gegen Juden - "wir gegen die".
    Dazu kommt, dass argumentiert wird, dass Israel einen Völkermord an den Palästinensern verübt. Und wenn man so argumentiert, ist eigentlich jedes Mittel zur Verteidigung legitim.
    Der dritte Faktor ist, dass vor zehn Jahren die Möglichkeit bestand, nach Syrien zu fahren und sich dort Gruppen wie dem Islamischen Staat (IS) anzuschließen. Oberflächlich betrachtet war das erstmal eine gute Nachricht für Europa, die Leute waren weg. Aber diese Möglichkeit gibt es hier nicht, weil Hamas keine Auslandskämpfer rekrutiert und es auch nicht leicht ist, in den Gazastreifen zu kommen.
    Deswegen werden sich diejenigen, die sich jetzt radikalisieren, ihre Ziele wahrscheinlich hier suchen.

    Das ist eine unmittelbare Bedrohung, vor allem für Institutionen und Einrichtungen, die als jüdisch oder israelisch wahrgenommen werden.

    Terrorismusexperte Peter Neumann

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    ZDFheute: Sie sagten, dass einige auf die Idee kommen könnten, hierzulande für ihre Überzeugung zu kämpfen. Hamas kämpft aber für die "Befreiung Palästinas", also eine lokal begrenzte Forderung. Mögliche Anschläge in Europa kämen also nicht von Hamas-Kämpfern?
    Neumann: Genau, das ist erstmal auf den ersten Blick eine gute Nachricht. Man kann sich nicht der Hamas anschließen, weil die Hamas im Ausland keine Operationen durchführt - das hat sie noch nie gemacht und wird sie wahrscheinlich auch nicht tun. Aber wir haben gesehen, dass sich Gruppen wie der IS bereits an diesen fahrenden Zug angeschlossen haben und jetzt schon einige Botschaften veröffentlichen, mit denen zum Terror in Europa gegen Israel, gegen die Juden aufgerufen wird.
    Hinzu kommt, dass die Idee des Einzelkämpfers in den letzten zehn Jahren von dem IS stark mythologisiert wurde. Es ist viel akzeptierter und normaler geworden. Deswegen könnte ich mir gut vorstellen, dass einige Menschen, die sehr stark radikalisiert sind, sich auf eigene Faust Ziele aussuchen.
    ZDFheute: Also würden Sie sagen, die Terrormiliz IS sieht das als Gelegenheit…
    Neumann: Absolut, 100 Prozent, genau das ist es. Es ist eine super Gelegenheit, etwas, was man für die eigene Sache nutzen kann. Man darf nicht vergessen: Bis zum 7. Oktober war die Geschichte des IS eigentlich eine des Niedergangs. Aber seit dem 7. Oktober haben sie eben wieder ein Thema, dem sich alle anschließen können.
    Angriff auf Israel (Karte Israel, Gazastreifen etc.)
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    ZDFheute: Sie haben in Ihren Beiträgen auf X auch von Integrationspolitik gesprochen, die dabei helfen könne, Terror in Deutschland zu verhindern.
    Neumann: Dabei ging es um die Frage, wie man dafür sorgen kann, dass sich junge Menschen von solchen Themen nicht ansprechen lassen, nicht zur Gewalt gewinnen lassen. Wir sehen jetzt schon große Polarisierung in Deutschland und in anderen Ländern über dieses Thema. Und wenn man dies nicht auffängt und es zu Gewalt kommt, dann wird es noch schwieriger, über Themen wie Integration zu sprechen.
    Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin des Innern und Heimat, wartet auf den Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts im Kanzleramt.
    Das Kabinett hat Arbeitsverbote für Asylbewerber gelockert. Neben schnellem Zugang zum Arbeitsmarkt sollen Leute mit geringer Bleibeperspektive leichter abgeschoben werden können.01.11.2023 | 1:41 min
    Daher ist meine Forderung, dass Sicherheitsbehörden sich auf dieses Thema werfen sollen. Eigentlich auch aus der Sorge heraus, dass, wenn sie das nicht tun und etwas passiert, Diskussionen über Dinge wie Integration noch schwerer werden.
    ZDFheute: Sollten Menschen in Europa jetzt Weihnachtsmärkte und Konzerthallen meiden?
    Neumann: Ich glaube, dass in nächster Zeit eher Ziele im Vordergrund stehen werden, die man als jüdisch oder israelisch wahrnehmen kann. Und das ist nicht nur die Synagoge, sondern das sind auch Kindergärten, Schulen, Geschäfte, Restaurants. Wir haben in der Vergangenheit auch gesehen, dass Unternehmen angegriffen werden, die mit Israel in Verbindung stehen. Das wären für mich die logischen ersten Ziele und nicht so sehr der Weihnachtsmarkt.
    Das Interview führte Martha Lamotte.

    Eskalation in Nahost
    :Aktuelle News zur Lage in Israel und Gaza

    Mit dem Angriff der radikalislamischen Hamas auf Israel ist der Nahost-Konflikt eskaliert. Israel greift infolge der Terrorattacke Ziele im Gazastreifen an. Aktuelle News im Blog.
    Israelische Soldaten in der Nähe der Grenze zum Gazastreifen im Süden Israels, aufgenommen am 12.03.2024
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