Das Brexit-Referendum war ein Wahlkampf um jede Stimme. Befürworter versprachen den Bauern oft das Blaue vom Himmel. Die Realität: eher blaues Wunder nach drei Jahren EU-Austritt.
Vor drei Jahren ist Großbritannien aus der EU endgültig ausgetreten. Seitdem geht es für das Vereinigte Königreich wirtschaftlich bergab. Die Wirtschaftskraft ist nach Angabe der britischen Industrie und Handelskammer um fünf bis sechs Prozent gesunken.
Farmer sein heißt immer wieder sich den Umständen anpassen, egal wie widrig sie auch sein mögen. Das ist das Motto von Landwirt Mark Bowyer. Der 54-Jährige hat südlich von London seine Nische gefunden: Grünzeug.
Auf 400 Hektar baut er Spinat, Brokkoli und Gewürze an. Ein Saisongeschäft, bei dem er vor allem in den wärmeren Monaten auf rund 100 Arbeiter aus Osteuropa angewiesen ist. Drei Viertel seiner Leute kommen seit Jahren, haben den begehrten "settled status". Also das vor dem Brexit erworbene Recht, immer wieder nach Großbritannien zurückzukehren und arbeiten zu dürfen, erklärt Bowyer.
Ernte verrottet wegen zu wenigen Erntehelfern
Für den Knochenjob Briten zu finden, das berichten alle Farmer, sei praktisch unmöglich. Die Regierung hat deshalb ein Visa-Programm für Erntehelfer aus aller Welt aufgesetzt. 30.000 Visa im Jahr, das sei okay, erklärt Optimist Bowyer. 70.000 hätten es sein sollen, erklären die Farmerverbände.
"Da brach dann bei den Verbänden Panik aus. Von Ernteausfällen und Versorgungsengpässen war die Rede", erklärt Bowyer. "So schlimm ist es aber nicht gekommen." Dennoch verrottete im vergangenen Jahr auf britischen Feldern Obst und Gemüse im Wert von 25 Millionen Euro. Jeder dritte Landwirt war betroffen.
Der Brexit ist wieder da, weil sowohl große wie kleine und mittelständische Unternehmen erklären - der Austritt ist schlimmer als Pandemie und Ukraine-Krieg.
Millionen an Mehrkosten für Papierkram
Es muss halt irgendwie weitergehen! Ein Motto, das die Brexit-Stimmung in Britannien drei Jahre nach dem offiziellen Austrittstag recht gut beschreibt. Er habe Glück, erklärt Mark Bowyer. Seine Produkte landen alle auf dem heimischen Markt. Denn der jetzt notwendige Papierkram beim Export nach Europa setzt vielen anderen Farmen arg zu. Es bedeutet Millionen an Mehrkosten etwa für Fleischbauern, deren Produkte zu 70 Prozent in die EU gehen.
Noch ist es nicht zu größeren Betriebsschließungen gekommen, aber die Zukunftsaussichten für Landwirte im Land sind ungewiss. Drei Dinge hatten die Brexit-Befürworter den Farmern versprochen:
- Nach dem Brexit werde es nicht an Erntehelfern mangeln.
- Die EU-Subventionen, die immerhin bis zu 60 Prozent des Einkommens aller Landwirte ausmachen und für mehr als ein Drittel überlebenswichtig sind, würden gleichwertig ersetzt.
- Neue Handelsverträge würden mehr Möglichkeiten schaffen, dabei würde der Austausch mit der EU genauso einfach bleiben.
Gehalten wurden diese Versprechen eher nicht, so Experten.
Am 31. Januar 2020 trat Großbritannien aus der EU aus. Die Katerstimmung in der Wirtschaft ist gewaltig. Unternehmer klagen, dass der Brexit schlimmere Folgen hat als Pandemie und Ukraine-Krieg. Viele müssen verkaufen oder verlegen ihre Standorte.
Topf mit Subventionen kleiner als der von der EU
Noch immer ist etwa unklar, wie die Subventionen aus Brüssel genau ersetzt werden sollen. Nur so viel ist klar: Der Topf wird rund 35 Prozent weniger Geld enthalten. Es soll grüner produziert werden. Umweltverträglichkeit wird als Maßstab wichtig. Nicht mehr allein die Größe des Betriebs.
Eine große Umstellung sei das. Und was wirklich passiere, erklärt Sean Rickard, langjähriger Chefökonom des größten Bauernverbands NFU, sei deutlich weniger Geld für Farmer. Dazu viel Papierkram und Aufwand, um die neuen staatlichen Hilfen zu erhalten. Und, so Rickard, "in Zukunft werden Farmer nur noch dafür bezahlt, Flächen stillzulegen".
Arbeitskräftemangel wird größer
Nach dem Brexit haben etwa 330.000 Arbeiter aus der EU dem Land den Rücken gekehrt. So das Ergebnis einer gerade veröffentlichten Studie der Londoner Denkfabrik Centre for European Reform. Hauptbetroffen ist die Landwirtschaft. Die Visaprogramme der Regierung seien zudem nicht ausreichend, um den Ausfall zu kompensieren, heißt es in der Studie.
Dass diese Lücke weiter größer werden dürfte, davon ist auch Erunas überzeugt. Der Litauer ist Traktorfahrer auf Mark Bowyers Hof. Immer mehr Erntehelfer fänden besser bezahlte Jobs in anderen EU-Ländern, erzählt er. Ohne bürokratische Hürden. Das Reisen dorthin sei nicht so anstrengend. Und das Pfund ist viel schwächer geworden, was bedeute, dass sie immer weniger Geld in Euros für die gleiche Arbeit bekämen. Erunas Fazit: "Es werden immer weniger von uns, es wird nicht besser."
Großbritannien scheint weit entfernt von einstigen Brexit-Versprechen zu sein. Exporte in die EU sind bürokratischer, Wirtschaft und Gesundheitssystem sind angeschlagen.
Minderwertige Ware ersetzt langsam britische Agrar-Produkte
Das größte gebrochene Versprechen allerdings seien die neuen Handelsverträge, die britischen Farmern neue Absatzmärkte bescheren sollen, erklärt Ökonom Rickard. "Die Regierung behandelt uns wie Idioten." Sie wisse, dass London nur mit Ländern Verträge abschließen könne, die über riesige Agrarmärkte verfügen. Die viel billiger produzierten und denen britische Landwirte preislich nichts entgegensetzen könnten. Langfristig billigeres Essen sei das Ziel. Das allerdings erreicht nur werde, da außerhalb Europas nicht die gleichen, hohen Standards bei der Produktion gelten.
Minderwertige Ware würde heimische Produkte langsam, aber sicher ersetzen. Dazu führten vor allem die Handelsverträge mit Australien und Neuseeland, erklärt Rickard weiter. Selbst der an den Verhandlungen beteiligte britische Agrarminister hatte nach seiner Entlassung erklärt, dass die Verträge der britischen Landwirtschaft schwer schaden würden.
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Rückkehr in den EU-Binnenmarkt als letzte Rettung?
Drei Jahre Brexit bedeute nur gebrochene Versprechen, so der Tenor bei den Funktionären. Man sei verraten und verkauft worden. "Wir sind auf dem Altar des Brexits geschlachtet worden", so Sean Rickard.