Auch das Bürgergeld reicht kaum zum Leben

    Drei Monate Bürgergeld:Lebenshaltungskosten "brechen uns das Genick"

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    Aus den umstrittenen Hartz-IV-Leistungen wurde im Januar das Bürgergeld. Für die Bezieher der Hilfe hat sich jedoch wenig verändert. Die Inflation hat sie eher ärmer gemacht.

    Sachsen, Dresden: Eine Frau hält eine Geldbörse mit Banknoten in der Hand.
    Der Regelsatz wurde zwar angehoben, durch steigende Preise bleibt aber weniger im Geldbeutel.
    Quelle: dpa

    Genau 14 Jahre ist es her, dass Benjamin Bertram zum letzten Mal in einem Restaurant essen war. Seit 2009 ist der Kölner arbeitslos. "Ich kann mir soziale und politische Teilhabe schon lange nicht mehr leisten", sagt der 39-Jährige. Seit Anfang des Jahres heißt Hartz IV nun Bürgergeld. Eine Änderung im Alltag bemerke Bertram jedoch nicht.

    Für mich als Langzeitarbeitslosen gibt es keine nennenswerte Verbesserung.

    Benjamin Bertram

    Bertram hat eine Berufsausbildung als Bäcker und Konditor gemacht. Viele Jahre hat er in der Logistik bei der Farbabfüllung gearbeitet. Im Jahr 2009 entließ die Firma alle Zeitarbeiter, darunter auch ihn. Er bekam massive Rückenprobleme. Seit 2015 ist er auf einen Rollator angewiesen.

    Wohlfahrtsverband fordert höheren Regelsatz

    Zum 1. Januar 2023 wurde Hartz IV umgewandelt in Bürgergeld. Der neue Regelsatz für eine alleinstehende Person beträgt 502 Euro. "Ob Hartz IV oder Bürgergeld, an der eigentlichen Berechnungsmethode hat sich nichts geändert, die Leistungen bleiben trickreich klein gerechnet, reichen vorne und hinten nicht und gehen an der Lebensrealität der Menschen vorbei", kritisiert Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands. Er fordert einen Regelsatz von 725 Euro.
    Bertram müsste seit seiner Ernährungsumstellung eigentlich viel Gemüse, Fisch und Milchprodukte essen, das sei jedoch nicht immer umsetzbar.

    Der Magerquark ist in den letzten Monaten von 39 Cent auf 1,49 Euro gestiegen. Ich kann mich nicht so gesund ernähren, wie ich es eigentlich aufgrund meines Übergewichts müsste.

    Benjamin Bertram

    Preisniveau von Lebensmitteln
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    Das Projekt Campus: Gesundheit & Perspektiven der Arbeiterwohlfahrt Köln habe ihm weitergeholfen. Durch das Projekt fand er Unterstützung bei Arztbesuchen und auch eine passende Klinik für eine Magenverkleinerung. Er hoffe, wieder in Arbeit zu kommen, wenn sich sein gesundheitlicher Zustand verbessert.

    Menschen wollen arbeiten - trotz Bürgergeld

    Christian Merkl, Wirtschaftsprofessor an der Universität Erlangen-Nürnberg, meint, die Politik sollte neue Instrumente erproben. Aktuell würden sich vor allem Tätigkeiten mit geringem Hinzuverdienst lohnen.

    Es wäre wünschenswert, dass die Aufnahme von Vollzeitbeschäftigung attraktiver würde, um Brücken aus dem Bürgergeld zu bauen.

    Christian Merkl, Universität Erlangen-Nürnberg

    Er hält die Erhöhung des Regelsatzes von 449 auf 502 Euro zum Jahreswechsel für richtig, da auch die Preise durch die Inflation gestiegen sind. Er gibt zu bedenken, dass Erhöhungen die Motivation zur Arbeitssuche und -aufnahme mindern könnten. Bisher gebe es jedoch keine Hinweise darauf, dass durch das Bürgergeld die Anreize zur Arbeit stark gesunken wären.
    Merkl weist aber auch darauf hin, dass Bürgergeld-Bezieher häufig Vermittlungshemmnisse wie fehlende Kinderbetreuung und gesundheitliche Schwierigkeiten haben.

    Es gilt, kreative Ansätze zu finden, diese Hemmnisse zu reduzieren und damit in Zeiten der Arbeitskräfteknappheit mehr Beschäftigungspotenzial zu schaffen.

    Christian Merkl, Universität Erlangen-Nürnberg

    Bürgergeld
    Hartz IV – nur selten hatte eine Sozialleistung ein so schlechtes Image. Am 1.Januar wird aus dem Arbeitslosengeld II das Bürgergeld. Die Regelsätze werden etwas angehoben, aber reicht das fürs Auskommen in unsicheren Zeiten?24.09.2022 | 4:06 min

    Arbeitslosigkeit immer noch schambehaftet

    Auch Anni W. ist Bürgergeld-Empfängerin. Die alleinerziehende Mutter lebt mit ihren zwei Kindern im Alter von elf und zwölf Jahren am Niederrhein. Sie ist chronisch krank. "Ich leide seit 20 Jahren an Depressionen und bin körperlich eingeschränkt durch stark fortgeschrittene Arthrose", sagt die 40-Jährige. Sie möchte ihren richtigen Namen nicht öffentlich nennen, da Arbeitslosigkeit immer noch schambehaftet sei. Anni W. hat auf Twitter den Hashtag #IchBinArmutsbetroffen ins Rollen gebracht, unter dem sie und viele weitere Betroffene von ihrem Alltag in Armut berichten.
    Vor allem durch ihre Kinder merke sie oft, wie wenig Geld sie zur Verfügung hat.

    Selbst der Gedanke an den nächsten Kindergeburtstag, einen kaputten Füller oder einen Grillabend im Sommer macht mir Angst, da alles mit Kosten verbunden ist. Das macht mürbe.

    Anni W.

    Durch das Bürgergeld sieht Anni W. keine Verbesserung ihrer Situation, da die Strom- und Lebensmittelpreise immer weiter steigen und diese nicht vom Amt übernommen werden. "Die Lebensmittel- und Stromkosten brechen uns das Genick", klagt sie.
    Quelle: Stefanie Unbehauen, epd

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