Bulgarien wählt: Hängepartie ohne Ende

    Fünfte Wahl in zwei Jahren:Bulgarien wählt: Hängepartie ohne Ende

    Wolf-Christian Ulrich
    von Wolf-Christian Ulrich
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    Es ist die fünfte Wahl in zwei Jahren. Eine Zumutung: Bulgarien braucht Entscheidungen, Bürger und Unternehmen leiden unter dem Stillstand.

    Ein beeindruckender Anblick: Bulgariens größte Solarfarm. Gebaut von einem deutsch-bulgarischen Team in Rekordgeschwindigkeit: In fünf Monaten entstand die 140-Megawatt-Anlage.
    Nur 20 Prozent der bulgarischen Energie sind derzeit erneuerbar. Es könnten viel mehr sein, meint Nikola Gazdov, der die Anlage plant: "Doch dafür fehlen die gesetzlichen Rahmenbedingungen." Innovation, die 150 Leuten Arbeit bringt. Nicht wegen, sondern trotz der Politik. Denn in Bulgarien herrscht seit zwei Jahren politischer Ausnahmezustand.

    Für unsere Industrie und für die Bürger ist es wirklich ärgerlich, dass sich alle sechs Monate politisch die Richtung ändert, ohne klare Linie.

    Nikola Gazdov

    Bulgarien verweigert trans-Personen die Anerkennung

    Doch statt an solchen Zukunftsthemen arbeitet sich der Wahlkampf lieber an einer wehrlosen Minderheit ab. An jungen Leuten wie George: Im falschen Geschlecht geboren, wird George gerade ein Mann. In seinem Pass steht aber noch: eine Frau. Bulgarien ist neben Ungarn das einzige EU-Land, das sich weigert, das Geschlecht von trans-Personen im Pass zu ändern.
    "Es geht hier um meine Sicherheit," sagt George. "Immer wenn ich meinen Perso vorzeige, muss ich mich als trans outen. Wir sind für manche hier die Sündenböcke. Und mit jeder Wahl, also alle sechs Monate, wird es schlimmer."
    Bulgarien im Polit-Chaos
    Am 2. April wählt das Land zum fünften Mal innerhalb von zwei Jahren. Für die Einwohner ist das frustrierend.31.03.2023 | 2:12 min

    Sozialisten und Rechtsextreme sind Russland-freundlich

    Besonders die Sozialisten und Rechtsextremen machen im Wahlkampf Front gegen Minderheiten. Es sind dieselben Parteien, die sich im Angesicht von Putins Krieg besonders Russland-freundlich positionieren; die gegen militärische Hilfen für die Ukraine sind. Kein Zufall: Flankiert werden sie von pro-russischer Propaganda in den sozialen Medien.
    "Die Gesellschaft ist gespalten," sagt Ruzha Smilova, Politikwissenschaftlerin Universität Sofia. "Die einen pro-westlich - die anderen pro-russisch. Doch das ist nicht die bestimmende Linie im Wahlkampf. Da geht es um die einen, die ein weiter-so wollen und die anderen, die Reform und Veränderung fordern."

    Reformer Petkov will mit Ministerpräsident Borissow zusammenarbeiten

    Stabilität verspricht die durch diverse Korruptionsfälle belastete konservative GERB-Partei unter dem langjährigen Ministerpräsidenten Borissow. Rechtstaatlichkeit dagegen verspricht ein Reform-Bündnis um Kiril Petkov. Beide Seiten sind klar pro EU - doch sie sind sich spinnefeind: Weil die Reformer mit der Korruption aufräumen wollen, als deren oberster Patron sie Borissow sehen. Petkov wirbt jetzt um eine pragmatische Zusammenarbeit:

    Wir werden gewinnen, aber wohl keine Koalition zusammenbekommen. Deshalb legen wir fünf Themen auf den Tisch. Und schlagen den anderen Parteien eine Minderheitsregierung vor.

    Kiril Petkov, Spitzenkandidat "Wir machen mit dem Wandel weiter"

    Eine instabile Konstruktion, denn alle Lager stehen sich starr gegenüber. Und das, obwohl Bulgarien jetzt langfristige Zukunftsentscheidungen braucht: Es geht um den Schengen-Beitritt und die Euro-Einführung. Außerdem könnte Bulgarien knapp 5 Milliarden Euro EU-Hilfen verlieren, weil die Regierung beim Kampf gegen die Korruption nicht vorankommt.
    Ganz zu schweigen vom anderen Top-Thema der Menschen im ärmsten Land der EU: die Inflation und die Energiekosten. Wenige glauben, dass diese Wahl eine stabile Regierung bringt. Den Preis für den Stillstand, das hören wir im ganzen Land, zahlen am Ende die Bürger.
    Wolf-Christian Ulrich ist Redakteur im ZDF-Studio Südosteuropa.

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