Corona und Wissenschaft: Was haben wir gelernt?

    Ende der Maßnahmen :Was wir aus Corona gelernt haben

    Daniela Sonntag vom ZDF-Landesstudio Thüringen mit Mikrofon.
    von Daniela Sonntag
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    Wie nie zuvor hatte sich die Politik bei Corona auf die Einschätzungen von Experten verlassen. Aber welche Folgen hat es, wenn Wissenschaft zum Gradmesser der Politik wird?

    Zusammengeklappte Tische eines Lokals in Berlin am 19.01.2021.
    Eine von vielen Maßnahmen während der Pandemie: Geschlossene Gastronomie
    Quelle: epa

    Büros schließen, Masken anordnen: Auch als Lokalpolitiker musste Bürgermeister Andre Neumann (CDU) aus dem thüringischen Altenburg in der Corona-Zeit Entscheidungen treffen, vor denen er nie zuvor gestanden hatte. Das ging nicht ohne den Rückgriff auf wissenschaftliche Expertise.
    Am Anfang, sagt Neumann, war die Akzeptanz groß. Aber "umso länger das ging, umso mehr Menschen sich auf ihre eigene Wahrheit besonnen haben und das Wissenschaftliche in Frage gestellt haben ..., umso schwieriger wurde es."
    "Jetzt müssen wir im Nachgang diskutieren, ob alle Maßnahmen sinnvoll waren", so der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Prof. Andrew Ullman zum Ende der Corona-Maßnahmen.
    "Jetzt müssen wir im Nachgang diskutieren, ob alle Maßnahmen sinnvoll waren", so der gesundheitspolitische Sprecher der FDP, Prof. Andrew Ullmann zum Ende der Corona-Maßnahmen.06.04.2023 | 4:43 min

    Warum Corona von der Gesundheitskrise zur Vertrauenskrise

    Der Politiker, der sich auf die Wissenschaft berief, wurde zum Feindbild. Auf der Straße und über Social Media wurde er beschimpft und attackiert. Viele Politiker machten solche Erfahrungen.
    Aus wissenschaftlicher Einschätzung entstanden politische Entscheidungen: Aber oft kurzfristig, oft wenig erklärt, oft fühlten sich Menschen bevormundet. So wurde die Gesundheitskrise auch zur Vertrauenskrise, die rechte Kreise und die AfD gerade in Thüringen zusätzlich befeuerten.
    Experten, besonders die viel zitierten, wurden als weniger seriös wahrgenommen. Doch das sei zum Teil auch der Wissenschaft selbst geschuldet:

    Die Pandemie war ein Lehrstück. Wissenschaftler machen keine Gesetze und sagen nicht, was zu tun ist. Da sind manche zu weit gegangen.

    Prof. Tilman Betsch, Soziologe

    Dass der Glaube an die Wissenschaft in Zeiten der Krise erodiert oder Menschen nur noch "alternative" und ihnen genehme Theorien für glaubwürdig halten, überrascht den Soziologen nicht.

    Soziologe: Menschen vertrauen nur eigenen Erfahrungen

    Betsch erforscht an der Uni Erfurt die Psychologie des Urteilens und Entscheidens und hat das Buch "Science Matters!" verfasst, das sich mit dem Spannungsfeld von Wissenschaft und Verschwörungstheorie befasst.
    Ende der Corona-Maßnahmen
    Die letzten bundesweit geltenden Corona-Maßnahmen laufen jetzt aus. Deutschland hat zahlreiche Vorschriften besonders lange aufrechterhalten. Was kann man aus der Pandemie für die Zukunft lernen?06.04.2023 | 2:48 min
    Viele Menschen, sagt er, vertrauten eigenen Erfahrungen oder ihrem persönlichen Umfeld mehr, weil sie die Methodik der Wissenschaft nicht verstehen. Und dass es keine Wahrheiten, sondern nur eine Annährung gibt.

    Wissenschaft in Echtzeit

    "Es geht um permanentes Arbeiten, Scheitern, Weitermachen" - bis sich Erkenntnisse festigten und man diese auch öffentlich mache, sagt Soziologe Betsch.
    Bei Corona wurde das zum Problem. Die Wissenschaft arbeitete in Echtzeit an einem bis dato so nicht erforschten Phänomen: Es war ein Blick ins wissenschaftliche Labor, sagt Betsch.

    Man war von der Wissenschaft gewohnt, dass da auch im Fernsehen Dinge präsentiert wurden, die schon lange erforscht waren, wo es ein konsolidiertes Wissen gab. Das gab es bei Corona nicht. Und das war dann auch eine falsche Erwartung an die Wissenschaft.

    Prof. Tilman Betsch, Soziologe

    Experte: Wissenschaft muss auf die Menschen zugehen

    Doch auch die Wissenschaft selbst müsse mehr zum besseren Verständnis beitragen. Betsch plädiert dafür, dass Wissenschaftler sich mehr mit der Kommunikation ihrer Arbeiten befassen und zum Beispiel Relationen besser erklären.

    Ich sage dazu: Was macht Wumms und was ist Pillepalle?

    Prof. Tilman Betsch, Soziologe

    Wissenschaflter müssten Risiken und Wahrscheinlichkeiten anhand alltäglicher Vergleiche erklären. Zum Beispiel könnte die Nebenwirkung eines Medikamentes so wahrscheinlich sein wie ein Flugzeugabsturz. So könnten Menschen Ergebnisse besser verstehen und einordnen. Außerdem, sagt Betsch, sollte schon in der Schule mehr erklärt werden, wie Wissenschaft eigentlich arbeitet.

    Verwirrung um Lauterbach-Aussage
    :Was wir bisher über Corona-Impfschäden wissen

    Nach einem Interview mit Gesundheitsminister Lauterbach herrscht Verwirrung - wie häufig sind Impfschäden? Keine Behörde zählt die Fälle. ZDFheute klärt die wichtigsten Fragen.
    von Oliver Klein
    Eine Klinikmitarbeiterin zieht eine Spritze mit Impfstoff gegen Corona auf.
    FAQ

    Bürgermeister: Mehr mit den Menschen sprechen

    Eine Analyse, was funktioniert hat und was nicht, wünscht sich auch der Altenburger Bürgermeister.
    Bis heute wird in seiner Stadt jeden Montag demonstriert, erst gegen Coronamaßnahmen, dann gegen Klimamaßnahmen und Russlandsanktionen. Er versucht, trotzdem im Gespräch zu bleiben. Mehr erklären, mehr kommunizieren, auch wenn trotzdem nicht alle verstehen wollen, das hat er aus Corona gelernt.
    Daniela Sonntag ist Reporterin im ZDF-Landesstudio in Erfurt.

    Hintergründe zu Covid-19

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