Was wir bisher über Corona-Impfschäden wissen

    FAQ

    Verwirrung um Lauterbach-Aussage:Was wir bisher über Corona-Impfschäden wissen

    Oliver Klein
    von Oliver Klein
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    Nach einem Interview mit Gesundheitsminister Lauterbach herrscht Verwirrung - wie häufig sind Impfschäden? Keine Behörde zählt die Fälle. ZDFheute klärt die wichtigsten Fragen.

    SGS Karl Lauterbach - Sievers
    "Eins zu 10.000, das ist die Häufigkeit von schweren Nebenwirkungen" - Gesundheitsminister Karl Lauterbach verwirrte mit Aussagen im heute journal des ZDF. 12.03.2023 | 6:55 min
    Ein 17-jähriges Mädchen muss ein Jahr ins Krankenhaus, kämpft mehrmals um ihr Leben. Ein 48 Jahre alter Mann erleidet eine Brückenvenen-Thrombose, muss wieder laufen und sprechen lernen, ist jetzt aber teilweise blind. Die bewegenden Schicksale zweier Menschen, die nach einer Corona-Schutzimpfung schwere Schäden erlitten, ließen auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach nicht kalt. "Die Menschen tun mir ehrlich gesagt auch sehr leid", sagte er im Interview im heute journal des ZDF.
    Gleichzeitig sorgte Lauterbach mit Zahlen zu Impfschäden für Verwirrung: "Schwere Impfschäden" kämen bei etwa einer von 10.000 Impfungen vor, sagte er zum wiederholten Mal. Was ist dran an dieser Zahl? Gibt es demnach bei fast 200 Millionen verabreichter Impfungen in Deutschland wirklich allein hierzulande rund 20.000 Opfer, die ähnlich furchtbare Schicksale erlitten, wie die im TV-Beitrag gezeigten Menschen? Wie viele Impfschäden, wie viele schwere Nebenwirkungen wurden bisher registiert? ZDFheute hat den Stand der aktuellen Erkenntnisse zusammengetragen.

    Warum sind Lauterbachs Ausführungen missverständlich?

    Lauterbach vermischt Begriffe, spricht mal von Impfschäden, mal von Nebenwirkungen, dann wieder von "Post Vac". Doch alle Begriffe haben unterschiedliche Bedeutungen: Impfnebenwirkungen verschwinden meist nach wenigen Tagen, doch seltene, schwerwiegende Nebenwirkungen wie Sinusvenenthrombosen können Impfschäden auslösen - also Schäden, die die Gesundheit dauerhaft beeinträchtigen. Das "Post Vac"-Syndrom wiederum ist nicht exakt definiert. Es beschreibt eine Reihe von Symptomen nach einer Impfung, die dem Krankheitsbild von Long Covid nach einer Infektion ähneln. Darunter sind Beschwerden wie Atemnot, Erschöpfung oder auch neurologische Symptome.
    Ein Satz von Lauterbach bleibt besonders hängen: "Eins zu 10.000, das ist die Häufigkeit von schweren Nebenwirkungen." Auf Anfrage von ZDFheute erklärt ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums, dass sich Lauterbach dabei auf "Fachinformationen der Impfstoffe" bezogen habe - also quasi auf den Beipackzettel, der die Wahrscheinlichkeit von Nebenwirkungen in Häufigkeitskategorien wiedergibt. So weist beispielsweise die Produktinformation für den Impfstoff von Biontech Corminaty als Nebenwirkung eine Entzündung des Herzmuskels oder Herzbeutels auf. Häufigkeit: "bis zu 1 von 10.000 Behandelten". Diese sogenannte Myokarditis gilt als schwere Nebenwirkung.
    Die Aussage Lauterbachs ist eine Steilvorlage für Impfgegner: Manche schlossen daraus, dass es im Umkehrschluss bei fast 200 Millionen verabreichten Impfungen in Deutschland 20.000 schwerwiegende Impfschäden geben muss und verkauften das als ein angebliches völlig neues Eingeständnis Lauterbachs: "Jetzt liegen die Zahlen auf dem Tisch", hieß es in einer Online-Diskussionsrunde der "Bild"-Zeitung, die Zahl 20.000 wurde in Sozialen Netzwerken herumgereicht.

    Wie oft kommen schwere Nebenwirkungen vor?

    Schwerste Impfschäden, die langfristige Beeinträchtigungen oder sogar den Tod zur Folge haben, treten glücklicherweise deutlich seltener auf als einmal bei 10.000 Impfungen, erklärt Leif Erik Sander, der an der Berliner Charité zu Impfstoffen forscht, auf Anfrage von ZDFheute.

    Gäbe es eine Häufung solcher schweren Komplikationen, wäre das bei Milliarden von verimpften Dosen in den internationalen Daten aufgefallen.

    Leif Erik Sander, Leiter der Klinik für Infektiologie, Charité Berlin

    Kommt es nach einer Impfung tatsächlich mal zu einer Herzmuskelentzündung, heilt die aber fast immer folgenlos aus, so Sander.
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    Eine Meta-Studie internationaler Forscherinnen und Forscher zum Impfstoff von Pfizer/Biontech kam zu dem Schluss, dass nur bei Herzmuskelentzündungen ein klarer Zusammenhang mit verabreichten Impfungen besteht. Dazu wurden 21 Studien mit mindestens jeweils 100.000 Geimpften ausgewertet. Es gab in den Gruppen mit Geimpften bis zu drei Fälle mehr als in Kontrollgruppen mit Ungeimpften. Das spricht trotzdem für die Impfung: Das Risiko, durch Covid an einer Herzmuskelentzündung zu erkranken, ist deutlich höher, wie eine israelische Studie zeigte.
    Beim Impfstoff von Astrazeneca - den auch der Mann im ZDF-Beitrag erhalten hatte - wurde früh bekannt, dass er in seltenen Fällen Blutgerinnsel auslösen kann. Der Einsatz wurde nach Bekanntwerden der Fälle deutlich eingeschränkt und in Deutschland Ende 2021 komplett gestoppt.
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    Wie zählt das Paul-Ehrlich-Institut Impfnebenwirkungen?

    Haben Ärzte den Verdacht auf eine Impfnebenwirkung, müssen sie das dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) melden. Aus dem aktuellen Sicherheitsbericht des Instituts geht hervor, dass es bisher gut 50.000 Verdachtsfälle schwerwiegender Nebenwirkungen gab, die häufigsten betrafen Probleme mit der Atmung. Danach folgten Herzrhytmusstörungen, Herzmuskelentzündungen und weitere, seltenere Krankheitsbilder.
    Doch die PEI-Zahlen ist nur bedingt aussagekräftig: Zum einen, weil nicht unbedingt alle Fälle schwerwiegender Nebenwirkungen dem PEI gemeldet werden. Zum anderen hängt nicht jeder Verdachtsfall auch kausal mit der Covid-Impfung zusammen.

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    Wie viele Impfschäden gibt es in Deutschland?

    Wie viele Impfschäden in Deutschland bisher tatsächlich aufgetreten sind, ist unbekannt - dazu führt keine Behörde eine Statistik. Das PEI zählt nur Verdachtsfälle, keine Impfschäden. Einen Anhaltspunkt könnte die Zahl der Anträge auf Anerkennung eines Impfschadens liefern, die bei den Landesbehörden gestellt wurden. ZDFheute hat die Sozialbehörden aller 16 Bundesländer gefragt, wie viele Anträge auf Versorungsleistungen bisher eingegangen sind.
    Bis Mitte März wurden 6.977 Anträge gestellt, von denen 301 bewilligt wurden. Rund 2.300 wurden abgelehnt, die meisten sind noch in Arbeit. Somit kommt in Deutschland derzeit ein anerkannter Impfschaden auf etwa 211.000 geimpfte Einwohner. Aufgrund der Vielzahl der noch nicht entschiedenen Anträge ist damit rechnen, dass die Zahl der anerkannten Impfschäden noch steigt.

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