Historiker Daniele Ganser: Gutes Geschäft mit Ukraine-Mythen

    Umstrittener Historiker:Daniele Gansers gutes Geschäft mit den Mythen

    von Oliver Deuker, Hannover
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    Daniele Ganser ist Historiker und Publizist, schreibt Bücher, hält Vorträge, ist erfolgreich damit. Doch vieles, was der Schweizer verbreitet, ist halbwahr - wenn überhaupt.

    Daniele Ganser
    Lukrative Halbwahrheiten: Historiker Daniele Ganser.
    Quelle: ZDF

    Hannover, der Kuppelsaal ist geheizt, gut 2.800 Menschen sind gekommen, um Daniele Ganser zu hören. Sein Thema: "Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?"
    Draußen auf dem Vorplatz, nasskalt ist es, viel Polizei und etwa 100 Demonstranten, ein Bündnis aus Parteien, Religionsgemeinschaften, Verbänden. Sie eint der Protest gegen den umstrittenen Historiker, dessen Vorträge sie für kontrafaktische, antisemitische und antidemokratische Verschwörungsfantasien halten.  

    Bei Ganser sind die USA schuld

    Draußen wird gefroren, drinnen dem Publikum das Herz erwärmt. Adrett gekleidet, sympathisch in Ton und Art, aber mit gewiefter Rhetorik spult der 50-Jährige sein Programm runter, gibt den Zuhörern, was sie hören wollen.
    Ein Beispiel: Die russische Invasion sei zwar illegal, sagt Ganser, aber hinter Ukraines Präsident Wolodymyr Selenskyj stünden die USA, die im Zuge des Maidan-Aufstandes die Regierung installiert hätten. Und die Krim selbst wollte sich abspalten und nicht Teil der Kiewer "Putsch-Regierung" sein, gleiches gelte für die Ostukraine.
    Die allermeisten Historiker und Politologen sehen das anders - ohne die Rolle, das Interesse der USA, des Westens dabei auszublenden.

    Überprüfbare Belege liefert der Historiker nicht

    Wirklich stichhaltige, überprüfbare Belege für diese Behauptungen bleibt Ganser schuldig. Sein Vortrag besteht aus mittelmäßig zusammengeschusterten Nicht- oder Teilfakten, aus verkürzten und aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten, aus Beiträgen von verschwörungsnahen Internetportalen, prorussischen Medien, garniert mit dem Zuschauer eher namentlich unbekannten Experten und Analytikern.
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    Seine Fan-Gemeinde im Saal merkt es nicht, will es nicht merken, sieht das ganz anders. Zustimmendes Kopfnicken, frenetischer Applaus zu seinen obskuren Ausführungen: Endlich die Wahrheit, die die Massenmedien, die Lügenpresse aus welchen Gründen auch immer verschweigt.

    Sahra Wagenknecht Speerspitze der Friedensbewegung?

    Die Massenmedien, Politiker aller Parteien - nur die AfD wird nicht genannt - die Kirche, sie sind alle auf dem Holzweg, werden manipuliert, manipulieren. Nur das Volk kann das ändern, aber wer ist das Volk?
    Natürlich die im Saal sitzenden, eine schwer zu bestimmende Klientel. Irgendwie Normalos, viele Frauen, alles vertreten von jung bis alt. Rechtsradikale? So nicht erkennbar. Vielleicht eine Mischung aus Querdenkern, Verschwörungstheoretikern, Unzufriedenen?
    Was bewegt diese Menschen, warum fallen sie auf die Billigrhetorik dieses Spalters rein, der Sahra Wagenknecht zur Speerspitze der deutschen Friedensbewegung stilisiert?
    Demonstranten tragen Plakate und Flaggen mit Friedenssymbolen.
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    Gut zweieinhalb Stunden redet Ganser im Saal, betreibt Geschichtsklitterung, eines Historikers nicht würdig. In Nürnberg oder Dortmund wurden seine Vorträge abgesagt. In Hannover sahen die Verantwortlichen dafür keine rechtliche Grundlage, wollten einer möglichen Klage von Ganser aus dem Weg gehen, zumal der Veranstaltungsort ein Tochterunternehmen der Stadt ist.
    Im Falle einer Absage hätte der umstrittene Historiker höchstwahrscheinlich Schadensersatz fordern können, hieß es.

    80.000 Euro an einem Abend für das Geschäft mit den Verschwörungsmythen

    Wie sagte Belit Onay, Redner bei der Protestkundgebung und Hannovers Grüner Oberbürgermeister: "Mitunter ist es schwer auszuhalten, dass bestimmte Zeitgenossen das Recht auf freie Meinungsäußerung bis an die Grenzen des Sagbaren ausloten." Rechtlich ist Ganser nicht beizukommen und so darf er weiter im weichen Bett der Demokratie Menschen manipulieren.
    Über 80.000 Euro hat Ganser allein in Hannover durch den Kartenverkauf eingenommen – das Geschäft mit Verschwörungsmythen lohnt sich.
    Oliver Deuker ist Redakteur im ZDF-Studio Niedersachsen. Er ist Historiker.
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