Kommentar: AfD ignorieren ist keine Lösung

    Kommentar

    Kopf-an-Kopf-Rennen in Thüringen:AfD ignorieren ist keine Lösung

    Nicole Diekmann
    von Nicole Diekmannn
    |

    Die AfD stellt doch nicht den OB in Nordhausen. Trotzdem ist das Ergebnis von knapp 50 Prozent peinlich für die demokratischen Parteien. Das zu ignorieren, ist keine Lösung.

    Jörg Prophet, unterlegener Kandidat der AfD bei der Oberbürgermeister-Wahl in Nordhausen
    Unterlegener Kandidat der AfD bei der Oberbürgermeister-Wahl in Nordhausen: Jörg Prophet.
    Quelle: Reuters

    Ganz grob betrachtet, ist das Ergebnis der Oberbürgermeisterwahl von Nordhausen ein gutes Ergebnis für die Demokratie. Sieht man allerdings nur ein kleines bisschen schärfer hin - da reicht schon eine Auge - dann zeigt sich: Es ist ein peinliches Ergebnis für die demokratischen Parteien. Und eine Warnung. Eine weitere.
    Denn ein dermaßen knappes Ergebnis, ein zwischenzeitliches Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen einem parteilosen Amtsinhaber und einem Vertreter des als gesichert rechtsextremistisch eingestuften Landesverbandes des Faschisten Björn Höcke - das kann nur solche zufriedenstellen, denen Vieles egal ist.
    Stichwahl zur Oberbürgermeisterwahl in Nordhausen
    Bei der Stichwahl zum Oberbürgermeister von Nordhausen konnte sich der parteilose Amtsinhaber Kai Buchmann überraschend gegen AfD-Politiker Jörg Prophet durchsetzen.24.09.2023 | 2:21 min

    AfD hat knapp 50 Prozent geholt

    Heute ist kein Tag, an dem man den Blick auf den Sieger richten sollte. Sondern auf den Unterlegenen. Knapp 50 Prozent hat da jemand geholt, der im Wahlkampf lieber auf einer Veranstaltung des rechtsextremen Magazins "Compact" auftrat und dafür eine Kandidaten-Sprechstunde schwänzte.
    Björn Höcke, aufgenommen am 07.09.2023
    Wegen des Vorwurfs der Verwendung von NS-Vokabulars muss der Thüringer AfD-Chef Höcke vor Gericht.13.09.2023 | 2:07 min

    Demokratische Parteien nicht mit blauem Auge davongekommen

    Das wohl Erschütternde: dass sich noch immer keinerlei Strategie der anderen Parteien abzeichnet. Ja, es gab dieses Mal keine gemeinsame Wahlempfehlung. Das sei in Sonneberg kontraproduktiv gewesen, heißt es. In Sonneberg feierte die AfD ihren ersten kommunalpolitischen Erfolg und stellt dort nun einen Landrat.
    Aber es kann ja wohl weder der Anspruch in einer erwachsenen Demokratie, geschweige denn eine Strategie sein, die Dinge erstmal laufen zu lassen und dann, wenn es zur Stichwahl kommt, nachzudenken?
    Die demokratischen Parteien sind heute nicht mit einem blauen Auge davongekommen, sondern standen kurz vorm K.O. Sie waren schon vorher angezählt. Wozu sie selbst ein gutes Stück beigetragen haben.
    In Nordhausen selber haben sie in den vergangenen elf Jahren fünf Oberbürgermeister verschlissen. Teils unwürdiger Streit erschütterte das Vertrauen der Leute in die etablierten Parteien.

    Stichwahl in Nordhausen
    :OB Buchmann schlägt AfD-Kandidat Prophet

    Doch kein weiteres kommunales Amt in Thüringen für die AfD: Ihr Kandidat Prophet unterliegt in der OB-Stichwahl gegen den parteilosen Amtsinhaber Buchmann.
    Kai Buchmann, Oberbürgermeister von Nordhausen
    mit Video

    Trägt Ampel-Streit zum Erstarken der AfD bei?

    Eine Parallele zum Bund: Auch dort wird seit Monaten gestritten. Das Heizungsgesetz, die Kindergrundsicherung, Atomkraft, das AfD-Kernthema Asyl - alles sorgt für offen ausgetragenen und mitunter erbitterten Zoff in der Ampel.
    Hinzu kommt der Streit, ob diese Dauerstreiterei möglicherweise mit zum Erstarken der AfD beiträgt. Und obendrein versucht die Union, diesen Streit für sich zu nutzen, wobei vor allem die Merz-CDU durch wildes Irrlichtern auffällt und sich in Definitionslabyrinthen verrennt bei der Frage, was eigentlich eine Brandmauer ist und wie Zusammenarbeit oder eben keine Zusammenarbeit aussieht.
    Einen Wille zum Erkenntnisgewinn, wer oder was in welchem Maße der AfD den aktuellen Höhenflug bereitet, ist dabei nicht in Sicht. Sondern vor allem das Bestreben, sich bei dieser Gelegenheit auf Kosten der anderen zu profilieren.
    Verantwortungslos wird da auf die anderen geschimpft, die für den Höhenflug der angeblich wirklich Verantwortungslosen verantwortlich sind.
    28.07.23., Magdeburg: Tino Chrupalla, Alice Weidel und Maximilian Krah stehen vor einem AfD-Poster.
    Die AfD bezeichnet sich selbst als bürgerlich und liberal, tatsächlich werden die Töne immer radikaler.19.09.2023 | 7:17 min

    AfD ignorieren ist keine Lösung

    Viele kluge Leute wie Politikwissenschaftler, Historiker oder Soziologen, die nicht im Verdacht stehen, eine eigene Agenda wie zum Beispiel möglichst gutes Abschneiden bei Landtagswahlen zu verfolgen, stellen Theorien auf: Wer wählt die AfD aus Überzeugung, wer aus Protest? Wer ist wie womöglich wieder zurückzugewinnen?
    sgs rennefanz
    Statt AfD-Wähler und die Partei als Ganzes zu dämonisieren, solle man "versuchen, die Menschen auch wieder zurückzuholen", so die Publizistin und Autorin Sabine Rennefanz.24.09.2023 | 5:10 min
    Eine einfache, eindeutige Antwort gibt es nicht. Aber eine relativ wahrscheinliche Annahme: die AfD möglichst lange zu ignorieren - das ist keine Lösung.
    Die AfD in Thüringen führt die Umfragen an. Der heutige Tag wird daran nichts ändern. Am 1. September 2024 finden dort Landtagswahlen statt. Viel Zeit bleibt bis dahin nicht mehr. Aber genug, um sich zu versündigen, würde man sie nicht nutzen.
    Nicole Diekmann ist Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio in Berlin.

    Wahlen in Ost-Bundesländern 2024
    :Was, wenn die AfD die Landtagswahlen gewinnt?

    Die AfD schneidet in Umfragen gut ab - insbesondere im Osten. Dort wird 2024 gewählt. Ob eine AfD-Regierung bervorsteht und welche Rolle Sahra Wagenknecht spielen könnte.
    AfD-Aufkleber an einer Bushaltestelle in Thüringen
    Quelle: dpa, AFP
    Thema

    Mehr zur AfD