Interview
Antisemitismus im Klassenzimmer:Betroffene nehmen Schulen in die Pflicht
von Stephanie Gargosch
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Der Wille, gegen Antisemitismus an deutschen Schulen vorzugehen, ist vielerorts vorhanden. Doch Betroffene finden: Es muss noch viel mehr passieren.
Rosa ist eine junge Frau Anfang zwanzig, mit langen, blonden Locken. Ihr Gesicht hat noch eine weiche Zuversicht. Das, was sie erzählt, ist ernüchternd.
"Ich bin Jüdin und in meinem Bekanntenkreis gab es diesen Fall eines Jungen, der auf dem Schulhof fast ins Koma geprügelt wurde, nur weil er Jude ist. Er hat dann die Schule gewechselt, aber an der anderen Schule ist es wieder passiert. Das war der Moment, wo ich beschlossen habe, dass ich etwas tun muss."
Ehrenamtliche sprechen über Antisemitismus-Erfahrungen
An diesem Nachmittag sitzt Rosa mit zwei anderen jungen Frauen in einem Klassenraum (ihre Nachnamen wollen sie aus Sicherheitsgründen nicht nennen) in einem Stuhlkreis. Sie sprechen vor den etwa zwanzig Schülerinnen und Schülern einer neunten Klasse über das, was sie sind und was sie erlebt haben. Das Projekt, für das sie ehrenamtlich tätig sind, heißt "meet a jew", also: triff einen Juden.
Natürlich fragen die Schülerinnen und Schüler auch, ob den jungen Frauen schon einmal etwas zugestoßen ist, weil sie Jüdinnen sind. "An meiner Schule ja", berichtet Sigal, von "meet a jew".
Es ist ein freundlicher, offener Austausch an der Otto Lilienthal Gesamtschule in Erfurt, die beim Thema Antisemitismus als vorbildlich gilt. Nicht an allen Schulen ist dies so.
Experten: Täglich antisemitische Vorfälle an Schulen
"Antisemitismus ist an den Schulen nach wie vor weit verbreitet", sagt der Antisemitismusbeauftragte des Landes Berlin, Dr. Samuel Salzborn, "aber wir haben auch das Problem, dass im Schulunterricht Antisemitismus viel zu wenig thematisiert wird und oft von Lehrkräften unwiderlegt bleibt, wenn er von Schülern geäußert wird".
Das beobachten auch die Ehrenamtlichen von "meet a jew". Rosa erklärt: "Meiner Meinung nach ist das Antisemitismusproblem ein Bildungsproblem."
Denn dieser hat viele Gesichter, kann rechts motiviert sein, sich als Kritik an Israel tarnen, Teil von Verschwörungsideologien sein oder schlicht Provokation.
Kultusminister wollen Bild des Judentums in Schulbüchern überarbeiten
Bisher liegt es am Engagement jeder Lehrkraft und der jeweiligen Schule, ob Weiterbildungen zu dem Thema belegt werden und wie auf antisemitische Vorfälle reagiert wird, was zu einem hohen Dunkelfeld führt.
Immerhin hat die Konferenz der Kultusminister inzwischen reagiert. Im September gründete sich eine Arbeitsgruppe, die mit dem Zentralrat der Juden das Bild des Judentums in Schulbüchern überarbeiten soll.
Dies dürfe aber nur der Anfang sein, sagt die derzeitige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU):
Bisher existiert keine bundesweit einheitliche Meldepflicht.
Größere Sensibilisierung, aber die Gefahr bleibt
Fazit: Jahrzehnte nach den Ereignissen um die antisemitische Hetzschrift, die der Waffenhändler Helmut Aiwanger verfasst haben soll, hat sich wenig an den Schulen verändert beim Thema Antisemitismus.
Die Sensibilisierung ist jedoch größer und auch der Wille, Antisemitismus entschlossener zu begegnen. Junge Jüdinnen und Juden müssen aber weiterhin fürchten, an deutschen Schulen angegriffen zu werden.
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