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Analyse
Parteitag Die Linke:Der letzte Strohhalm
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"Bereit für ein gerechtes Morgen" – das ist das Motto des Linken-Parteitags. Die Partei, die mal "Kümmerer-Partei" war, verspricht eine bessere Zukunft. Aber was ist mit dem Heute?
Mit langem und warmem Applaus nimmt die Linkspartei Abschied von ihren scheidenden Vorsitzenden Janine Wissler und Martin Schirdewan. "Talkin 'bout a Revolution" erklingt in der Parteitagshalle. Es ist ein Moment von Trost und Dank für zwei glücklose Parteichefs, die die Linke nicht retten konnten.
Hinter der Partei liegt ein katastrophales Jahr und die Partei ist in einem desolaten Zustand. Mit der Abspaltung von Sahra Wagenknecht wurde nichts besser für die Linke. Bei allen Wahlen in diesem Jahr hat die Partei massive Verluste erlebt: Europawahl nur noch 2,7 Prozent, Thüringen 13,1 Prozent (2017 war die Linke dort mit 31 Prozent noch stärkste Kraft), Sachsen 4,5 Prozent (nur dank zweier Direktmandaten noch im Landtag), und in Brandenburg mit 3,0 Prozent raus aus dem Landtag.
Hoffnung liegt auf dem Haustürwahlkampf
Rettung braucht die Partei also dringend, und viel Zeit ist nicht, da sind sich in Halle/Saale alle einig. Die Hoffnung liegt jetzt auf einer (vielleicht letzten) Rettungsmaßnahme: dem Haustürwahlkampf. Es ist die einzige Erfolgsgeschichte, die der Linken bleibt. Mit Haustürwahlkampf hat Nam Duy Nguyen in Leipzig überraschend das Direktmandat geholt. Haustürwahlkampf soll aus der Linken wieder das machen, was sie mal war: eine Kümmerer-Partei.
Haustürwahlkampf ist der letzte Strohhalm. Und in der Hand halten ihn nun Ines Schwerdtner (35) und Jan van Aken (63), die in Halle zu den Nachfolgern von Wissler und Schirdewan gewählt wurden. Ines Schwerdtner mit 434 Stimmen (79,8 Prozent). Jan van Aken mit 477 Stimmen (88,0 Prozent).
Am Montag wollen die beiden loslegen. Ines Schwerdtner, die erst vor einem Jahr in die Linke eingetreten ist, zu ZDFheute:
Wir werden an über 100.000 Haustüren gehen. Ab Tag eins, nach dem Bundesparteitag. Und dann wird sich herausstellen, wo drückt der Schuh, was interessiert die Menschen eigentlich, was müssten wir für sie verändern.
Ines Schwerdtner
"Das ist ja nicht immer das, was vielleicht in den Medien gehört wird, sondern das, was Millionen von Menschen tagtäglich bewegt."
Streitpunkt: Nahost-Konflikt
Kümmerer-Partei ist das eine. Aber die Linke wäre nicht die Linke, wenn sie sich nicht auch ohne Sahra Wagenknecht streiten würde. Auf dem Bundesparteitag in Halle ist es der Nahost-Konflikt, der die Partei polarisiert. Delegierte sitzen mit Palästinenserschals in der Halle. In einem Antrag fordern Gruppen der Partei, "Israels Krieg gegen die palästinensische Bevölkerung als Genozid" einzustufen.
Es ist nicht so, dass die Linke sich gerade weitere Konflikte leisten könnte. Das weiß auch Jan van Aken, der sich auf diesem Parteitag nach Kräften und in vielen Gesprächen bemüht, den Streit abzuräumen. Van Aken war mal Kampagnenleiter bei Greenpeace, UN-Waffeninspekteur, 8 Jahre lang linker Bundestagsabgeordneter und zuletzt für die Rosa-Luxemburg-Stiftung in Tel Aviv tätig. Van Aken zu ZDFheute:
Beim Thema Nahost, da gehen die Emotionen immer ganz hoch. Ich verstehe das auch. Ich war selbst in Tel Aviv am 7. Oktober, als die Hamas angegriffen hat.
Jan van Aken
"Ich habe viele Freundinnen und Freunde dort, Palästinenserinnen und Jüdinnen, und dass das für die allermeisten, auch hier in Deutschland, so emotional besetzt ist, das verstehe ich, und dann reicht manchmal ein falsches Wort und es explodiert," so van Aken.
Ines Schwerdtner und Jan van Aken haben jetzt zwei Ziele
Tatsächlich eskaliert der Streit auf dem Parteitag erstmal nicht. Ein Kompromissantrag wird mit großer Mehrheit angenommen. Aber auch van Aken kann nicht verhindern, dass Delegierte wie Domenica Winter von der Arbeitsgemeinschaft Frieden und internationale Politik auf der Bühne behauptet, "dass Menschen in Israel vom Kindergarten an darauf vorbereitet werden, diese Zerstörung [in Gaza, Anm. der Red.] vorzunehmen."
Am Ende wird der Streit in Halle wohl nur vertagt. Denn die Linke war zwar mal Kümmerer-Partei (und will es wieder werden), aber sie war und ist auch immer eine Partei, die polarisierende und ideologische Debatten führt. Debatten, die das konkrete Heute von Menschen nur selten verbessern, aber innerparteiliche Konflikte schüren.
Ines Schwerdtner und Jan van Aken haben jetzt zwei Ziele: mindestens drei Direktmandate und mehr als fünf Prozent. Es wird noch ein weiter Weg, es bleiben nur höchstens elf Monate, es gibt einen letzten Strohhalm - aber es droht weiterer Streit.
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