So bevorzugt unser Steuersystem Milliardäre

    Faktencheck

    Juso-Forderung bei Lanz:Bevorzugt unser Steuersystem Milliardäre?

    von Nils Metzger, Jan Schneider
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    Juso-Chef Türmer will Deutschlands Superreichen die Milliarden wegnehmen. Unser Steuersystem stärke diese Ungleichheit. Ist das wirklich so und welche Alternativen gibt es?

    Juso-Chef Philipp Türmer zu Gast bei Markus Lanz.
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    Juso-Chef Philipp Türmer hat zur Steuer-Revolution aufgerufen. Das Ziel: Deutschlands Milliardäre. Bei Markus Lanz forderte Türmer:

    In einer sozial gerechten Gesellschaft sollte es keine Milliardäre geben.

    Philipp Türmer, Juso-Chef

    "Ich würde gerne aus den 226 Milliardären, die wir in Deutschland haben, 226 Millionäre machen", sagte Türmer in der ZDF-Sendung am Mittwochabend. Dass Kapitalerträge verglichen mit Lohneinkommen deutlich niedriger besteuert seien, fördere Ungleichheit. Selbst die Schweiz habe eine höhere durchschnittliche Steuerbelastung für Milliardäre als Deutschland. Ist das Neiddebatte oder eine zentrale Gerechtigkeitsfrage?

    Wie groß ist die soziale Ungleichheit bei den Vermögen?

    Ein wichtiger Maßstab für ungleiche Vermögensverteilung ist der sogenannte Gini-Koeffizient. Je höher er ist, desto ungleicher sind Haushaltsvermögen verteilt. Daten der Europäischen Zentralbank belegen, dass Deutschland deutlich ungleicher dasteht als etwa Frankreich oder Italien - und das seit vielen Jahren.
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    Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass Ansprüche aus sozialen Sicherungssystemen wie staatliche Renten oder Bürgergeld nicht in diese Berechnungen einfließen - was das Ausmaß der Ungleichheit reduzieren würde.
    Dass es eine große Konzentration privater Vermögen in den oberen zehn Prozent gibt, ist unstrittig, auf sie entfallen 61,2 Prozent aller Vermögen in Deutschland, nämlich rund 10,5 Billionen Euro - wofür sie jedoch laut einer Studie des IW Köln mehr als 50 Prozent des gesamten deutschen Einkommensteuervolumens leisten. Die unteren 50 Prozent verfügen laut EZB hingegen nur über 2,3 Prozent des Gesamtvermögens.
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    ZDFheute Infografik
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    Welche Folgen hat diese Ungleichheit?

    Die Ungleichheit hat große gesellschaftliche Auswirkungen, meint der Wirtschaftssoziologe Jens Beckert vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG):

    Unsere Gesellschaft lebt ganz stark von Aufstiegsmobilität, also der realistischen Möglichkeit durch eigene Leistung voran zu kommen. Wenn aber durch eine ungleiche Vermögensverteilung diese Chancen nicht mehr gegeben sind, führt das zu einer sozialen Schließung.

    Jens Beckert, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung

    Wenn ein Teil der Gesellschaft den Eindruck habe, dass er individuell nicht mehr vorankommen könne, "weil irgendwie die Töpfe alle schon verteilt sind", dann führe das zu Frustration und das habe dann auch wirtschaftliche Konsequenzen durch eine geringere Leistungsbereitschaft, so Beckert.
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    Wie fördert das Steuersystem diese Ungleichheit?

    Verschiedene Arten von Einkommen werden in Deutschland, wie in vielen anderen Ländern auch, unterschiedlich besteuert. Beim Lohneinkommen gibt es ein progressives Steuersystem von 14 bis 42 Prozent (plus drei Prozent Reichensteuer am oberen Ende), Gut- und Besserverdiener müssen also mehr abgeben. Steuern auf Kapitalerträge etwa aus Aktien sind hingegen mit einem einheitlichen Steuersatz von 25 Prozent plus Solidaritätszuschlag belegt.
    Ein sehr hohes Einkommen bedeutet also nicht automatisch, dass die Person darauf auch Spitzensteuersatz zahlen muss - es hängt davon ab, woher das Einkommen stammt. Und in der Tat kann sich ab bestimmten Volumen das Investieren an der Börse mehr rentieren als Lohnarbeit. Dazu kommt: Wegen des komplexen Steuersystems fällt die reale Steuerquote auch oft deutlich niedriger aus als die oben genannten Grenzwerte. Bis in die 1980er Jahre war der Spitzensteuersatz noch deutlich höher.
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    So viele Menschen können nur von Kapitalerträgen leben

    Berechnungen des Netzwerk Steuergerechtigkeit zeigen etwa, wie sich Topverdiener durch Kapitalerträge leichter eine niedrigere Gesamtbelastung zusammenstellen können, selbst als weite Teile der Mittelschicht. Kapitalertragsteuer wird erst fällig, wenn Gewinne bei Verkauf realisiert werden - wer seine Anteile einfach nur hält und ihrem Wert beim Wachsen zuschaut, muss bis auf eine mögliche Vorabpauschale zunächst nichts zahlen.
    Rund ein Prozent der Bevölkerung Deutschlands, mehr als 800.000 Personen, können ihren Lebensunterhalt vor allem aus solchen Kapitalerträgen finanzieren. 2010 hatte dieser Wert laut Statistischem Bundesamt noch bei etwa der Hälfte gelegen. 76 Prozent der Personen zwischen 25 und 64 Jahren leben aktuell von eigener Erwerbstätigkeit.
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    Was kann die Politik da machen?

    Das Grundgesetz schützt Privateigentum, verweist in Artikel 14 aber auch auf das Wohl der Allgemeinheit. Radikalen Enteignungen oder einem wie auch immer aussehenden pauschalen Verbot von Milliardären sind damit Schranken gesetzt. Die Türmer-Forderung, aus "Milliardären Millionäre zu machen", ist für den Experten Beckert in der Pauschalität kein realistischer Vorschlag, sondern eher eine "politische Duftmarke im Wahlkampf".

    Also das hat natürlich keine Chance auf Umsetzung, das weiß auch der Juso-Chef, aber wir haben eben das Problem mit der Vermögensungleichheit und es ist wichtig, sich damit auseinanderzusetzen.

    Jens Beckert, Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung

    Reformieren könnte die Bundesregierung hingegen Regelungen zur Besteuerung von Lohneinkommen oder Kapitalerträgen. Bis 1997 bestand bereits eine Vermögensteuer. Sowohl Vermögen- wie auch Erbschaftsteuer sind in ihrer Umsetzung komplex, etwa bei der Berechnung der Höhe oder wenn es um die Vermeidung einer unzulässigen Doppelbesteuerung geht.
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    Ist eine progressive Kapitalertragsteuer die Lösung?

    Eine andere Lösung wäre die Einführung einer progressiven Kapitalertragsteuer - je mehr Gewinn, desto höher der Steuersatz. Was Beckert auch als Risiko sieht: "Sobald der Staat höhere Steuern auf Kapitalerträge verlangt, läuft er Gefahr, dass die Kapitalbesitzer ihr Geld einfach aus Deutschland abziehen." Der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) brachte es 2006 so auf den Punkt:

    25 Prozent Steuern von x sind besser als 42 Prozent auf gar nix!

    Peer Steinbrück, damaliger Finanzminister

    Zur Wahrheit gehört jedoch auch: Viele Deutsche schlagen die Möglichkeiten von Kapitalanlagen aktuell bewusst aus. Die Aktionärsquote lag 2023 bei 6,7 Prozent und war damit sogar rückläufig.

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