Von Singapur nach Deutschland: Zurück ins Pisa-Problemland

    Von Singapur nach Deutschland:Zurück ins Pisa-Problemland: Wir Absteiger

    Normen Odenthal
    von Normen Odenthal
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    Deutschland im Pisa-Schock. Singapur als Bildungsparadies. Wir sind mit unserer Familie von Singapur nach Deutschland gezogen. Haben wir (bildungstechnisch) alles falsch gemacht?

    05.12.23, Berlin: Vorstellung der aktuellen PISA-Studie
    Laut einer neuen Pisa-Studie schneiden deutsche Schülerinnen und Schüler im Vergleich so schlecht ab wie nie. Besonders im Fach Mathe, in den Naturwissenschaften und beim Lesen. 05.12.2023 | 2:51 min
    Die Doppelstunde Sport fällt aus. Der Vertretungslehrer zeigt stattdessen den Film "Das antike Rom". Die Rabauken der neunten Klasse nutzen die Gelegenheit und machen, was sie wollen. Die Fetzen fliegen. "Der Lehrer hat die Situation nicht in den Griff bekommen", erklärt mir mein Sohn, der - versichert er glaubhaft - nicht zu den Rabauken zählte. Am Abend sitzt er trotzdem über der kollektiv verhängten Strafarbeit und schreibt die Hausordnung ab. Es ist die Woche, in der Deutschlands üble Pisa-Noten bekannt werden.
    Das vergangene Jahr haben unsere Kinder noch in Singapur verbracht, an einer Schule, die top ausgerüstet ist - bei Technik, Material, Personal. Der Besuch kostet Geld, nicht zu knapp. Schüler und Eltern bekommen dafür Leistungen, die erfolgreiche Bildung zwar nicht garantieren, aber ermöglichen.
    Auf dem BIld sieht man eine Lehrerin mit ihren Schüler*innen im Klassenzimmer.
    Nach den schlechten Ergebnissen der jüngsten Pisa-Studie wächst die Kritik am Bildungssystem.07.12.2023 | 2:00 min

    Pisa: Asiatische Länder setzen Maßstäbe

    Unterrichtsausfall? Gab es nicht. Dafür kleine Klassen, die in noch kleineren Gruppen intensiv betreut wurden, von hochmotivierten Lehrkräften. Singapur, Japan, Südkorea - es sind die Asiaten, die bei Pisa die Maßstäbe setzen. Immer wieder. Diese Erfolge sind also kein Zufall, sie fußen auf Strategien, die mit Entschlossenheit verfolgt werden.
    Dieses Prinzip ist im Stadtstaat Singapur die Basis für viele erfolgreiche Entwicklungen: Ziel definieren, Plan entwerfen, konsequent umsetzen. Dabei kommt Singapur auch in der Bildungsfrage zugute, dass es ein kleines Land mit großen Mitteln ist.
    Der Besuch privater Schulen ist teuer. Für Singapur ist das ein Wirtschaftsfaktor mit Strahlwirkung. Im Buhlen um internationale Fachkräfte ist den Asiaten klar, dass Bildungsangebote ein attraktives Argument sind. Allerdings sind es nicht die privaten, sondern die staatlichen Schulen, die Singapurs Pisa-Triumph erringen. Und diese staatlichen Schulen kosten die Eltern nichts oder wenig. Der Staat jedoch investiert - viel, gezielt, effektiv.
    Mecklenburg-Vorpommern, Greifswald: Unterricht in der 10b der Martinschule.
    Forderungen nach Reformen in der Bildungspolitik werden nach den jünsgten Erkenntnissen lauter. 05.12.2023 | 1:42 min

    Verhaltenskodex geprägt von Demut, Dankbarkeit und Disziplin

    Allein das Geld reicht als Erklärung nicht. In der ostasiatischen Kultur ist Demut verwurzelt, Dankbarkeit für Möglichkeiten, die sich bieten, und Fleiß, um Erwartungen nicht zu enttäuschen. Disziplin ist in Singapur gesellschaftlich eingeübt - und der legendäre, umfassende Strafenkatalog bei Vergehen schon kleinerer Art ist höchstens in den Hinterköpfen ein Faktor. Im Alltag braucht es den selten, weil sich der Verhaltenskodex eingeprägt hat: Gewisse Dinge tut man nicht! Wer sich nicht benimmt, ist ein sozialer Außenseiter.
    Das ist kein Loblied auf das System Singapur. Es hat eine Menge Defizite. Bei Menschenrechten oder Pressefreiheit findet sich das Land international am anderen Ende der Statistik - jedenfalls nicht an der Spitze wie im Bildungsvergleich.
    Eine deutsche Auswanderin steht in Singapur auf einem Containerschiff und schaut aufs Meer
    Die gebürtige Schwarzwälderin Madtika Kühn hat den Sprung ins Unbekannte gewagt: Die 38-Jährige ist nach Singapur ausgewandert und arbeitet dort im zweitgrößten Hafen der Welt.31.10.2023 | 8:01 min

    Schüler werden gefördert, Lehrer haben Aufstiegschancen

    Und auch dort - im Schulsystem - kann man Bedenken haben, etwa ob der Leistungsdruck für Kinder zu groß ist. Es ist nicht alles Gold, was glänzt. Allerdings kann man Singapur ein Qualitätsmerkmal zusprechen, das für Bildungssysteme nach ultimativem Ritterschlag klingt: Das System lernt dazu.
    In den vergangenen Jahren hat man an Stellschrauben den Druck für Kinder vermindert und im Gegenzug auf Förderung gesetzt. Der Leistungsstand wird regelmäßig überprüft, um Schüler gezielt zu unterstützen, bevor aus einer kleinen Schwäche ein größeres Defizit wird.
    05.12.23, Berlin: Vorstellung der aktuellen PISA-Studie
    Am 05. Dezember hat die OECD in Berlin die Ergebnisse der PISA Erhebung veröffentlicht.07.12.2023 | 3:33 min
    Der Beruf des Lehrers ist im Stadtstaat sehr angesehen, mit vielen Aufstiegschancen. In die Ausbildung des Personals wird investiert, kräftig und fortlaufend. Leistung ist wichtig. Das leben diejenigen vor, die die Kinder unterrichten.
    Singapur ist nicht Deutschland. In beiden Ländern aber hält man die Formel hoch, dass die Bildung unserer Kinder zu den vornehmsten Aufgaben des Staates gehört. Wir erleben sehr persönlich, wie unterschiedlich das gelingt.
    Normen Odenthal war Korrespondent im ZDF-Studio Singapur und leitet nun das Landesstudio in Düsseldorf.
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