Deutschland als Steuerparadies? Was kosten uns die Reichen?

    Deutschland als Steuerparadies?:Backgroundcheck: Was kosten uns die Reichen?

    Oliver Klein
    von Oliver Klein
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    Ist Deutschland ein Steuerparadies für Superreiche? Die Vermögensungleichheit ist in Deutschland vergleichsweise hoch. Könnte die Vermögenssteuer daran etwas ändern?

    Champagnerflaschen von Pommery
    Dieses Video, das sich mit Steuerprivilegien von "Superreichen" beschäftigt, sorgt für Kritik. 23.11.2024 | 18:06 min
    In Deutschland wird seit knapp 80 Jahren das wirtschaftspolitische Leitbild der Sozialen Marktwirtschaft hoch gehalten: Alle sollen größtmöglichen Wohlstand erreichen können und gleichzeitig sozial abgesichert sein. Doch dieses Bild vom fürsorglichen Staat hat Schwachstellen: Während Arbeitseinkommen vergleichsweise hoch besteuert werden, genießen Einkommen durch Kapitalerträge, Schenkungen oder große Erbschaften Privilegien, die ein Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich befördern.
    Die Folge: Eine vergleichsweise hohe Kluft zwischen Wohlstand und Armut in Deutschland, während dem Staat jährlich Milliarden durch die Finger gleiten. Wie konnte es soweit kommen? Und was bedeutet das für unsere Gesellschaft? Der ZDF-Backgroundcheck wirft einen Blick auf unser Steuersystem und die Rolle der Reichen.
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    Jochen Breyer recherchiert in der Welt der deutschen Superreichen: 237 Milliardäre zählt das Land, Tendenz steigend. Wer der reichste Deutsche ist, war lange geheim. Bis jetzt.12.12.2023 | 43:28 min

    Große Vermögensungleichheit in Deutschland

    Im Vergleich zu anderen Euroländern ist die Vermögensungleichheit in Deutschland höher: Der sogenannte Gini-Koeffizient, ein etabliertes Maß zur Messung von Ungleichheit, liegt in Deutschland bei 0,77 - ein Wert, der eine ausgeprägte Vermögenskonzentration offenbart. Laut Daten der Europäischen Zentralbank (EZB) besitzen die oberen 10 Prozent der Bevölkerung rund 61,2 Prozent des Gesamtvermögens (etwa 10,5 Billionen Euro im Jahr 2023). Die untere Hälfte der Bevölkerung verfügt dagegen nur über etwa 2,3 Prozent des Gesamtvermögens (rund 0,4 Billionen Euro in 2023).
    Diese Ungleichheit wird durch strukturelle Faktoren verstärkt. Ein wesentlicher Aspekt ist der hohe Mieteranteil in Deutschland, wo über die Hälfte der Bevölkerung keine eigenen vier Wände besitzt. Während ärmere Haushalte größtenteils auf Sparkonten und risikoarme Anlagen angewiesen sind, verfügen wohlhabendere Haushalte über Immobilien, Unternehmensbeteiligungen und Kapitalmarktanlagen.
    Die EZB-Berechnung aus dem März hat erstmals verschiedene Datenquellen kombiniert und erlaubt damit einen präziseren Blick auf die Vermögenssituation in Deutschland. Die Analyse berücksichtigt nicht nur Umfragedaten, sondern integriert auch Informationen über Hochvermögende und gesamtwirtschaftliche Vermögenswerte. Sie macht deutlich: Die Vermögenssituation in Deutschland ist geprägt von einer anhaltenden und tiefen Ungleichheit, die soziale Chancen und wirtschaftliche Teilhabe für einen großen Teil der Bevölkerung erheblich einschränkt.
    Nettovermögen in Deutschland

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    Steuersystem zugunsten von Reichen?

    In Deutschland leben etwa 3.300 Superreiche mit mehr als 100 Millionen Dollar Finanzvermögen - damit liegt Deutschland weltweit auf Platz 3. Das geht aus einer Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group hervor, dem "Global Wealth Report 2024". Und deren Vermögen wächst ständig: Neues Vermögen landet zu über 80 Prozent bei dem reichsten einen Prozent der Gesellschaft.
    Deutschland erhebt auf Arbeitseinkommen eine der weltweit höchsten Steuerlasten - die Abgaben reichen von 14 bis zu 45 Prozent. Wer viel Einkommen erzielt, muss also auch viel Steuern zahlen - zumindest in der Theorie. In der Realität zahlen Multimillionäre aber oft nur rund 21 Prozent Steuern. Das hat eine Berechnung der Lobbyorganisation Netzwerk Steuergerechtigkeit ergeben. "Weil für hohe Unternehmensgewinne und andere Vermögenseinkommen die normale Einkommensteuer oft nicht greift, zahlen Superreiche nur halb so viel wie die Durchschnittsverdiener", heißt es in dem Bericht.
    Euros in Münzen und David Oudsandji, Gründer von Voltfang
    Der Staat verspricht Steuergerechtigkeit. Nur: Warum finden Reiche dann überall Steuerschlupflöcher - völlig legal? Und warum ist ausgerechnet Arbeit so hoch besteuert?25.11.2024 | 42:52 min
    Kurz gesagt: Reiche beziehen einen Großteil ihres Einkommens nicht aus Arbeit - sondern aus ihrem Vermögen, das vergleichsweise gering besteuert wird. Wenn Menschen arbeiten, müssten sie mehr Steuern zahlen, als wenn ihr Geld arbeitet, sagt Julia Jirmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Auch Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft sagt: "Rein wirtschaftlich sehe ich auch keinen Grund, warum Arbeit im Verhältnis zum Kapital so hoch besteuert wird."

    Wäre die Vermögenssteuer ein Mittel gegen Ungleichheit?

    In der Debatte um Ungleichheit wird meist auch sehr schnell die Frage gestellt, ob eine Vermögenssteuer wieder eingeführt werden sollte. Erst im Oktober hat die SPD das gefordert um Menschen mit mittleren Einkommen zu entlasten. Die Vermögenssteuer in Deutschland wurde 1997 aufgrund eines Urteils des Bundesverfassungsgerichts ausgesetzt.
    Das Gericht erklärte die damals geltende Vermögenssteuer für verfassungswidrig, weil die Bewertung von Vermögenswerten nicht gleichmäßig und gerecht erfolgte. Das hätte angepasst werden sollen - wurde allerdings bisher nicht umgesetzt. Seitdem sind dem Deutschen Staat rund 400 Milliarden Euro entgangen, schätzt eine gemeinsame Studie von Oxfam und dem Netzwerk Steuergerechtigkeit. Insgesamt gebe es den Berechnungen des Netzwerks ein Umsteuerungspotential von jährlich 75 Milliarden Euro.
    ZDF-Börsenexpertin Valerie Haller im Gespräch mit Moderatorin Christina von Ungern-Sternberg
    Eine Oxfam-Studie zeigt, dass Superreiche trotz globaler Krisen noch reicher werden. Zudem vergrößert sich die Schere zwischen Arm und Reich weiter. Valerie Haller an der Börse.15.01.2024 | 1:00 min
    Befürworter wie Christina Schildmann von der Hans-Böckler-Stiftung argumentieren, dass eine solche Steuer nicht nur verfassungsrechtlich geboten, sondern auch ein wirksames Instrument zur Herstellung von Steuergerechtigkeit sei.
    Kritiker wie Tobias Hentze vom Institut der deutschen Wirtschaft warnt dagegen vor möglichen volkswirtschaftlichen Nachteilen: Eine Vermögenssteuer könnte Vermögende zur Abwanderung bewegen und letztendlich zu Steuermindereinnahmen führen.

    Im Vergleich zu anderen Steuern hat die Vermögenssteuer außerdem die höchsten Erhebungskosten. Bei Umsatzsteuer, Lohnsteuer oder Kapitalertragsteuer ist die Erhebung viel einfacher.

    Tobias Hentze, Institut der deutschen Wirtschaft

    Sein Hauptargument sind aber nicht die Erhebungskosten, sondern: Rund 60 Prozent des Vermögens der Menschen, die als oberes ein Prozent in der Vermögensverteilung bezeichnet werden, sei in Betriebsvermögen gebunden. Eine Vermögenssteuer würde Unternehmen belasten und ihre Investitionsfähigkeit schwächen.
    kleiner Mann steht auf einem Stapel von Münzen
    Gut 100 Jahre gab es in Deutschland eine Vermögensteuer, die dem Staat damals Milliarden in die Haushaltskasse spülte. Doch 1997 wurde sie plötzlich "ausgesetzt". Wie kam es dazu? 14.10.2024 | 35:07 min

    Selbst manche Superreiche fordern höhere Steuern

    Bislang scheiterte eine Reform der Vermögenssteuer an politischem Willen und mächtigen Lobbygruppen. Verbände wie "Die Familienunternehmer" investieren Millionen in Lobbyarbeit, um Reformen wie die Vermögensteuer zu blockieren.
    Eine Recherche von ZDF-Frontal hatte kürzlich die Lobbyarbeit des Verbandes anhand von Sitzungsprotokollen nachgezeichnet. Dort heißt es zum Beispiel, einer der  Schwerpunkte der Vereinsarbeit sei eine "Kampagne gegen die Vermögenssteuer". "Wer viel Geld hat, kann sich Gehör verschaffen", sagt der Ökonom Maurice Höfgen, der für einen Linken-Abgeordneten im Bundestag arbeitet.
    Lösungen zur Aufhebung der Vermögensungleichheit sind überaus komplex, auch eine Vermögenssteuer hätte gleichzeitig positive als auch negative Effekte für Wirtschaft und Staatskasse. Doch es kommt Bewegung in die Debatte um die Besteuerung von Hochvermögenden: Die Finanzminister der G20-Staaten wollen bei der Besteuerung von Superreichen zusammenarbeiten. In den USA forderte Joe Biden vor Kurzem eine Mindeststeuer auf das Einkommen von Milliardären und Milliardärinnen und sogar Bill Gates will inzwischen höhere Steuern für Superreiche

    • SPD: Vermögenssteuer für sehr hohe Vermögen, höhere Besteuerung sehr großer Erbschaften
    • CDU/CSU: keine Vermögensteuer, keine höhere Erbschaftssteuer, Entlastung bei Eigenheimen
    • FDP: keine Vermögensteuer, Anhebung der Freibeträge bei der Erbschaftssteuer, Entlastung bei Eigenheimen
    • AfD: keine Vermögenssteuer, Abschaffung der Erbschaftssteuer
    • Grüne: hohe Erbschaftsbeträge stärker besteuern
    • Linke: Vermögensarten steuerlich gleich behandeln, Spitzensteuersatz von 60 Prozent auf Erbschaften
    • BSW: hohe Vermögen und Erbschaften stärker besteuern

    Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag wurde nachträglich umfangreich angepasst und ergänzt, beispielsweise um weitere Informationen zum Thema Vermögenssteuer.

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