Unterbringung Geflüchteter: So überlastet sind die Kommunen

    Unterbringung von Geflüchteten:So überlastet sind die Kommunen wirklich

    von Alice Pesavento
    |

    Seit Wochen wird über die Überlastung der Kommunen durch Zuwanderung diskutiert. Oft geht es um einzelne Kommunen, ein deutschlandweites Bild fehlte. Eine Studie ändert das jetzt.

    Flüchtlinge aus Syrien gehen mit ihrem Gepäck zu der Flüchtlingsunterkunft im Alma-Ohlmann-Weg im Stadtteil Lokstedt, aufgenommen am 17.10.2023
    Debatte um Flüchtlinge: Vier von zehn Kommunen bezeichnen ihre Lage als "(noch) machbar" (Archivfoto)
    Quelle: dpa

    Als Reaktion auf die Debatte um überlastete Kommunen haben Forscher bei Hunderten dieser Gemeinden nachgefragt, wie sie ihre aktuelle Lage einschätzen. Knapp 60 Prozent der befragten Kommunen gaben an, dass ihre Lage "herausfordernd, aber (noch) machbar" sei. 40 Prozent beschrieben eine "Überlastung" und sehen sich "im Notfallmodus".
    Durchgeführt wurde die Befragung von der Forschungsgruppe Migrationspolitik an der Universität Hildesheim und dem Mediendienst Integration. Im Oktober versendeten sie einen Fragebogen an die Kommunen und erhielten mehr als 600 Antworten.
    Hessen, Gießen: Flüchtlinge gehen in der hessischen Erstaufnahmeeinrichtung (HEAE) zu einem wartenden Bus.
    Bund und Länder haben sich darauf geeinigt, die Zahl der Asylsuchenden zu reduzieren. Verfahren sollen beschleunigt werden. 07.11.2023 | 1:40 min

    Über die Hälfte der Kommunen nutzen keine Notunterkünfte

    Über die Hälfte der Kommunen, etwa 55 Prozent, nutzen der Umfrage zufolge derzeit keine Notunterkünfte. Die meisten von ihnen bringen geflüchtete Menschen in privat angemieteten oder kommunalen Wohnungen unter. Das bedeute aber nicht, dass diese zwangsläufig wie eine private Wohnung genutzt werden könnten, da sich oft mehrere Familien eine Wohnung teilen müssten, betont Boris Kühn von der Universität Hildesheim, der die Befragung koordiniert hat.
    So viele Flüchtlinge leben in Deutschland
    ZDFheute Infografik
    Ein Klick für den Datenschutz
    Für die Darstellung von ZDFheute Infografiken nutzen wir die Software von Datawrapper. Erst wenn Sie hier klicken, werden die Grafiken nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Datawrapper übertragen. Über den Datenschutz von Datawrapper können Sie sich auf der Seite des Anbieters informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
    Die Umfrage zeigt auch, dass die Gemeinden, die Notunterkünfte nutzen müssen, dies überwiegend mittels Container tun. Lediglich sechs Prozent der befragten Kommunen gaben an, auch Sporthallen als temporäre Unterkünfte zu nutzen.

    Gründe für die Anspannung innerhalb der Kommunen

    Seit zwei Jahren steigt die Zahl der Menschen, die nach Deutschland fliehen. Von den rund eine Million Ukrainern, die aufgrund des russischen Angriffskriegs nach Deutschland geflohen sind, sind etwa zwei Drittel bis drei Viertel privat untergekommen.
    Für die verbleibenden etwa 300.000 Personen müssen die Kommunen Unterkünfte bereitstellen. Hinzu kommen noch mindestens 250.000 weitere Personen, die in diesem Jahr bis September einen Asylantrag in Deutschland gestellt haben.
    Asylanträge pro Jahr
    ZDFheute Infografik
    Ein Klick für den Datenschutz
    Für die Darstellung von ZDFheute Infografiken nutzen wir die Software von Datawrapper. Erst wenn Sie hier klicken, werden die Grafiken nachgeladen. Ihre IP-Adresse wird dabei an externe Server von Datawrapper übertragen. Über den Datenschutz von Datawrapper können Sie sich auf der Seite des Anbieters informieren. Um Ihre künftigen Besuche zu erleichtern, speichern wir Ihre Zustimmung in den Datenschutzeinstellungen. Ihre Zustimmung können Sie im Bereich „Meine News“ jederzeit widerrufen.
    Dass einige Kommunen überlastet sind, liegt aber nicht einzig und allein an der Zahl der Menschen, die zuwandern. Denn die Lage in vielen Kommunen ist auch aufgrund von anderen Faktoren angespannt. Boris Kühn nennt als Beispiele die Folgen der Corona-Pandemie, den Fachkräftemangel und auch die vom Bund geforderte Digitalisierung. "In den Kommunen wird das, was in den letzten Jahren passiert ist, teilweise nur noch als Abfolge von Krisen wahrgenommen", sagt er.

    Die Geflüchteten treffen jetzt also auf teilweise ohnehin schon angespannte Systeme.

    Boris Kühn, Forschungsgruppe Migrationspolitik der Universität Hildesheim

    Eine Familie geflüchteter Menschen von hinten.
    Vor allem Unterkünfte fehlen. Der Unmut in der Bevölkerung wächst. Die Lage im hessischen Homberg (Ohm). 06.11.2023 | 1:32 min

    Bei einem Drittel der Kommunen Kitas und Verwaltungen überlastet

    Rund ein Drittel der befragten Kommunen gaben an, dass auch ihre Kindertagesstätten und die Verwaltung im Allgemeinen überlastet seien. Auch die Schulen, Sprachkurse, Beratungsangebote und ganz allgemein der Bereich "Integration" werden von vielen Kommunen als überlastet wahrgenommen.
    Laut Boris Kühn gibt es aber auch einen Bereich, der momentan sehr aufnahmefähig ist: der Arbeitsmarkt. "Der ist auch angespannt, aber in dem Sinne, dass man nicht genug Arbeitskräfte findet", sagt er.

    Für den Arbeitsmarkt ist die Zunahme von Geflüchteten eine Chance.

    Boris Kühn, Forschungsgruppe Migrationspolitik der Universität Hildesheim

    Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin des Innern und Heimat, wartet auf den Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts im Kanzleramt.
    Das Kabinett hat Arbeitsverbote für Asylbewerber gelockert. Neben schnellem Zugang zum Arbeitsmarkt sollen Leute mit geringer Bleibeperspektive leichter abgeschoben werden können.01.11.2023 | 1:41 min

    Kommunen fordern mehr Unterstützung und Planbarkeit

    Die Kommunen brauchen also dringen Unterstützung. Wie die konkret aussehen könnte, wurde ebenfalls in der Umfrage abgefragt. Am häufigsten wünschten sich die befragten Gemeinden dabei drei Dinge: eine Begrenzung der Zuwanderung nach Deutschland, eine bessere und nachhaltigere Finanzierung der kommunalen Flüchtlingsaufnahme und Unterstützung bei der Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten mit Wohnraum.
    Miriam Manich vom Deutschen Städte- und Gemeindebund fordert ein "Frühwarnsystem", damit die Kommunen auf veränderte Zuwanderungszahlen reagieren können. Auch die Forderung vieler Kommunen nach einer nachhaltigeren Finanzierung, um besser planen zu können, gibt es schon länger. Kühn sagt:

    Es kann keine sinnvolle Lösung sein, dass die Kommunen jedes halbe Jahr im Krisenmodus auf sogenannten Flüchtlingsgipfeln um Geld ringen müssen.

    Boris Kühn, Universität Hildesheim

    Mit den Beschlüssen des Migrationsgipfels vom vergangenen Montag soll sich das künftig ändern. Ab dem Jahr 2024 will der Bund eine jährliche Pauschale von 7.500 Euro pro Asylantragssteller zahlen - die Länder hatten 10.500 Euro gefordert.

    Mehr zum Thema Migration