Groko-Reform: Bundesverfassungsgericht bestätigt Wahlrecht

    Groko-Reform von 2020:Bundesverfassungsgericht bestätigt Wahlrecht

    von Jan Henrich
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    Seit diesem Jahr gilt bereits ein neues Wahlrecht, das Bundesverfassungsgericht erklärte nun das Vorgängergesetz für verfassungskonform. Ein Urteil mit Richtungswirkung?

    Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgericht verkündet stehend und in roten Roben im Gerichtssaal das Urteil.
    Das Bundesverfassungsgericht erklärt das Wahlrecht für verfassungskonform.
    Quelle: dpa/Uli Deck

    In Kraft ist das Gesetz nicht mehr. Im März dieses Jahres hatte sich die Ampel-Koalition auf eine neue Wahlrechtsreform geeinigt. Die Parteien wollten das Verfahren daher ruhen lassen. Doch die Richterinnen und Richter bestanden auf eine Entscheidung.
    In ihrem Urteil von Mittwoch bestätigen sie das mittlerweile abgelöste System von Überhang- und Ausgleichsmandaten bei der Bundestagswahl. Im Streit um das aktuelle Wahlrecht kann das Urteil noch eine Rolle spielen.

    Bürger müssen die Einzelheiten des Wahlrechts nicht verstehen

    Insgesamt 216 Abgeordnete von Grünen, Linke und FDP waren gegen die Reform von 2020 nach Karlsruhe gezogen. Der damalige Alleingang der Großen Koalition in Sachen Bundestagswahlrecht wurde insbesondere als zu unverständlich kritisiert.
    Das komplexe System, ob und wie Überhangmandate ausgeglichen werden, würde gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot verstoßen, so die damalige Opposition.
    Diesem Argument folgte das Verfassungsgericht in seinem Urteil allerdings nicht:

    Der Bestimmtheitsgrundsatz bedeute nicht, dass der Inhalt gesetzlicher Vorschriften dem Bürger ohne Zuhilfenahme juristischer Fachkunde erkennbar sein muss.

    Urteil Bundesverfassungsgericht 29.11.2023

    Auch ein komplexes Wahlsystem genüge den verfassungsrechtlichen Vorgaben.

    Eingriff in Chancengleichheit gerechtfertigt

    Zudem sei die Chancengleichheit der Parteien mit der Reform von 2020 gewahrt. Union und SPD entschieden damals, dass Überhangmandate erst ab dem vierten überzähligen Direktmandat, das eine Partei in einem Bundesland erhält, ausgeglichen werden.

    Überhangmandate sind Ergebnis der personalisierten Verhältniswahl. Sie fallen an, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktkandidaten in den Bundestag entsenden kann, als ihr gemäß der Anzahl der Zweitstimmen zustehen. Damit am Ende die Sitzverteilung nach dem Verhältnis der Zweitstimmen gewahrt bleibt, werden Überhangmandate durch zusätzliche Sitze für andere Parteien ausgeglichen.

    Da Listen- und Wahlkreismandate einer Partei auch länderübergreifend verrechnet werden, hatte die CSU bislang als einzige Partei davon profitiert. Die Regelung bewege sich aber noch im Gestaltungsrahmen des Gesetzgebers, so das heutige Urteil. Die Entscheidung der Richterinnen und Richter erging mit fünf zu drei Stimmen.

    Der lange Streit ums Wahlrecht

    Über die richtigen Anpassungen im Wahlrecht wird schon länger gestritten. Das Bundesverfassungsgericht erklärte 2008 das bis dahin geltende System zur Sitzverteilung im Bundestag für verfassungswidrig.
    Grund war ein Effekt, bei dem ein Zuwachs an Stimmen zu Mandatsverlusten führen konnte - das sogenannte negative Stimmgewicht. Seitdem versucht der Gesetzgeber den Effekt zu beseitigen und gleichzeitig zu vermeiden, dass die Zahl der Abgeordneten weiter steigt.
    Mit mäßigem Erfolg. Zuletzt war der Bundestag auf eine Rekordgröße von 736 Mitgliedern angewachsen.
    Die Fraktionen der Ampel-Koalition hatten sich daher im März dieses Jahres auf ein System geeinigt, bei dem keine Überhangmandate mehr entstehen und die Zahl der Sitze auf 630 begrenzt ist.

    Im Juni 2023 ist das derzeit geltende Wahlrecht in Kraft getreten. Wie bisher wird mit der Erststimme ein Wahlkreisbewerber vor Ort gewählt und mit der Zweitstimme die Landesliste einer Partei. Allerdings ergibt sich die Anzahl der Sitze, die einer Partei im neu gewählten Parlament zukommen, künftig ausschließlich aus den Zweitstimmen. Überhang- und Ausgleichsmandate gibt es nicht mehr. Zudem wurde die Grundmandatsklausel abgeschafft. Sie sagt, dass Parteien mit mindestens drei Direktmandaten in Fraktionsstärke in den Bundestag einziehen, auch wenn sie die Fünfprozenthürde nicht überschreiten.

    Auch gegen diese neue Reform sind bereits mehrere Klagen in Karlsruhe eingegangen, sie werden voraussichtlich im kommenden Jahr verhandelt.

    Keine klare Aussage zu neuer Wahlrechtsreform

    Vertreter der Union sehen sich durch das Urteil am heutigen Mittwoch bestätigt. Sie lehnen die im März beschlossene Regelung ab.
    Die Ampel-Koalition solle ihr Gesetz von 2023 wieder überdenken, sagte Ansgar Heveling, Bundestagsabgeordneter der CDU, im Nachgang der Urteilsverkündung. Staatsrechtsexperte Joachim Wieland ist da zurückhaltender:

    Für die neue Wahlrechtsreform kann man aus dieser Entscheidung nichts Endgültiges ablesen.

    Prof. Joachim Wieland, Staatsrechtler

    Das Gericht halte an seinen bislang bekannten Grundsätzen fest. Ein richtungsweisender Fingerzeig sei damit nicht erkennbar.

    Wahlrecht Grundlage für mögliche Wiederholungswahl in Berlin

    Unmittelbare Auswirkung hat das Urteil allerdings auf eine mögliche Wiederholung der Bundestagswahl in Teilen von Berlin. Die dortigen Wahlpannen 2021 hatten nicht nur eine Neuauflage der Abstimmung zum Abgeordnetenhaus nötig gemacht.
    Wiederholung der Bundestagswahl Berlin
    Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über die Pannen bei der letzten Bundestagswahl im September 2021 in Berlin. Das Gericht will klären in welchem Umfang die Wahl teilwiederholt werden muss.18.07.2023 | 1:52 min
    Aktuell wird darüber verhandelt, ob und in welchen Wahlkreisen auch die Bundestagswahl wiederholt werden muss. Eine Entscheidung darüber ergeht voraussichtlich im Dezember. Mit dem Urteil vom heutigen Mittwoch steht fest, welches Wahlrecht dann als Grundlage dient.
    Jan Henrich ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz

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