Pass-Streit: US-Amerikanerin verzichtet auf EU-Spitzenjob

    Kommentar

    US-Expertin verzichtet auf Amt:"Skandal" in der EU: Pass schlägt Kompetenz

    Florian Neuhann
    von Florian Neuhann, Brüssel
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    Wie aus der (geplanten) Berufung einer US-Amerikanerin für die EU-Kommission ein - vermeintlicher - Riesen-Skandal wurde. Und was die Posse eigentlich verrät.

    Eine Europa-Flagge am 11.04.2019
    Nach harter Kritik: US-Amerikanerin Fiona Scott Morton verzichtet auf einen EU-Posten.
    Quelle: colourbox.de

    Kleine Testfrage zu Beginn: Wissen Sie, wie der Chefökonom der Generaldirektion Wettbewerb der EU-Kommission in Brüssel heißt? Nein?
    Keine Sorge, Sie müssen das gar nicht mehr wissen. Der Mann - Pierre Régibeau heißt er - geht jetzt in Ruhestand. Und hier beginnt eine Posse, die Sie doch interessieren sollte. Weil sie viel verrät: über den Nationalismus der Europäer. Den Anti-Amerikanismus der Franzosen. Und die Tatsache, dass in Europa der Pass mehr zählt als die Fachkompetenz.

    Der Plan: Eine US-Amerikanerin als Chefökonomin

    Aber der Reihe nach. Die Generaldirektion Wettbewerb ist eine der mächtigsten Abteilungen der EU-Kommission, sie prüft Fusionen, verhängt Bußgelder, legt sich immer wieder mit US-Konzernen an. Die zuständige Kommissarin ist Margrethe Vestager, eine Dänin, die in Brüssel beinahe so etwas wie Starkult genießt. (Immerhin war sie mal Vorbild für die dänische TV-Serie "Borgen".)
    Vestager also hatte einen Vorschlag für die Nachfolge ihres Chefökonomen: Fiona Scott Morton, Professorin an der renommierten Universität Yale. Morton arbeitete vor über einem Jahrzehnt in der Kartellabteilung des US-Justizministeriums. In der Fachwelt genießt sie einen hervorragenden Ruf (noch am Montag hatten sich 39 europäische Ökonomen für sie ausgesprochen, darunter die deutschen Wirtschaftsweisen Monika Schnitzer und Ulrike Malmendier).

    An Expertise von Scott Morton bestand kein Zweifel

    Was sie in den Augen einiger aber völlig für den Job disqualifizierte, das war ihr US-Pass. Und die Tatsache, dass sie auch mal Gutachten für US-Firmen wie Apple geschrieben hatte. Als ob man nach solchen Gutachten das selbstständige Denken einstellen würde - und als ob das Wissen daraus nicht auch hilfreich wäre, um zu erkennen, wie man die Macht der Konzerne beschränkt.
    "Skandal", riefen also französische Medien. Von einer "schockierenden Nominierung" berichtete die angesehene Zeitung "Le Monde". Von einem "schweren politischen Fehler" die "Libération". Teile des Europaparlaments protestierten. Der ehemalige Satiriker und Europa-Parlamentarier Martin Sonneborn fabulierte in einem Gastbeitrag vom "Ende der Europäischen Union".
    Und zuletzt schaltete sich gar der französische Präsident Emmanuel Macron ein: Eine US-Amerikanerin zu berufen, das widerspreche der europäischen Souveränität.

    Dabei hätte sie nur beraten, nichts entschieden

    Spätestens hier müsste man kurz innehalten. Es ging nicht um einen Posten, auf dem Fiona Scott Morton irgendetwas hätte entscheiden können. Über ihr stünden ein Generaldirektor, darüber die EU-Kommissarin. Fiona Scott Morton hätte lediglich beraten.
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    Doch aus der Berufung wurde ein Symbol. Eine US-Amerikanerin in der EU-Kommission? Mon Dieu! Der Anti-Amerikanismus vieler Franzosen kannte kein Pardon. Pass schlug Kompetenz. Scott Morton musste verhindert werden.

    Wer hat hier eigentlich gewonnen?

    Was am Ende auch gelang: Der Aufruhr war so groß, dass Fiona Scott Morton ihre Kandidatur heute zurückzog. Die Frage aber ist, wer hier eigentlich gewonnen hat. Tatsächlich ein souveränes Europa? Der französische liberale Abgeordnete Pierre Karleskind jubelt:

    Das Europaparlament hat seine Arbeit gemacht.

    Pierre Karleskind, französischer Abgeordneter

    Andere, wie der CDU-Europaparlamentarier Andreas Schwab, entgegnen: "Das wird vor allem den Rechtsradikalen in Frankreich um Le Pen nützen - die es als Sieg gegen Brüssel ausschlachten".
    Wer jetzt Chefökonom oder -ökonomin der Generaldirektion wird, ist übrigens völlig offen. Wenn Sie mögen, könnten Sie sich ja bewerben. Hauptsache, Sie haben den richtigen Pass.
    Florian Neuhann ist ZDF-Korrespondent in Brüssel.

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