EuGH-Urteil: Kein Recht auf Ausweis ohne Fingerabdruck

    EuGH-Urteil:Nein zu Personalausweis ohne Fingerabdruck

    von Lara Leidig
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    Fingerabdrücke und andere biometrische Daten digital zu speichern, ist eine heikle Angelegenheit. Dennoch darf das beim Personalausweis verpflichtend sein, entschied der EuGH.

    Fingerabdruck im Personalausweis
    Seit August 2021 werden Fingerabdrücke im Chip von Ausweisen gespeichert. (Symbolbild)
    Quelle: dpa

    Im November 2021 beantragte Detlev Sieber vom Verein "Digitalcourage" einen neuen Personalausweis. Seine Fingerabdrücke wollte er aber nicht speichern lassen. Pech gehabt, entschied die zuständige Behörde. Seit August 2021 sei die Speicherung der Fingerabdrücke verpflichtend.
    Daraufhin klagte Sieber vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden. Das Gericht zweifelte selbst daran, ob die entsprechende Verordnung der EU gültig ist und legte diese Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Vorabentscheidung vor.

    Wenn deutsche Gerichte in einem Verfahren eine grundlegende Frage zum Recht der Europäischen Union haben, können bzw. müssen sie diese in bestimmten Fällen dem EuGH stellen. Voraussetzung ist, dass die Frage Grundlage für die Entscheidung in dem deutschen Gerichtsverfahren ist. Dieses zwischengeschaltete Verfahren vor dem EuGH nennt man Vorabentscheidungsverfahren.

    Der EuGH entscheidet dann zunächst über die Rechtsfrage. Erst danach kann das deutsche Gericht in dem zugrundeliegenden Verfahren urteilen. Das Vorabentscheidungsverfahren dient so dazu, die einheitliche Anwendung des Unionsrechts durch die nationalen Behörden und Gerichte zu gewährleisten und die Gültigkeit der Handlungen der Unionsorgane, also beispielsweise die Gültigkeit einer durch die Union erlassenen Verordnung, zu überprüfen.

    EU-Verordnung zur verpflichtenden Speicherung

    Die EU erließ 2019 eine Verordnung, die die digitale Speicherung von Fingerabdrücken als Mindeststandard für Personalausweise in den Mitgliedsstaaten festlegte. Im November 2020 setzte der Deutsche Bundestag die Verordnung um und machte die Speicherung auf dem Personalausweis ab August 2021 verpflichtend. Auch Spanien, Italien und Österreich etablierten diese Standards bereits für ihre Ausweise.
    Der Fingerabdruck wird auf dem Chip des Ausweises und bis zur Ausgabe des Dokuments auch digital in einer Datenbank gespeichert. Ein Vorgehen, das Potenzial für Missbrauch berge, findet der Verein "Digitalcourage".

    Je häufiger biometrische Daten erhoben, weitergeleitet oder ausgelesen werden, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass es irgendwo ein Datenleck gibt. Technik, die heute als sicher gilt, kann in einigen Jahren unsicher und leicht zu knacken sein.

    Julia Witte, Digitalcourage e.V.

    Biometrische Ausweiskarten im Ausland

    Ausweiskarten mit biometrischen Daten sind kein neues Phänomen. Bereits 2001 führte Malaysia als erstes Land weltweit eine Ausweiskarte ein, auf der digital der Fingerabdruck gespeichert wird. Ebenso ist es seit 2020 in Kolumbien.
    Zumindest für Personen aus dem Ausland hat auch Großbritannien einen sogenannten "Biometric residence permit" geschaffen, auf dem Fingerabdrücke digital gespeichert werden müssen.
    Seit der 2021 in Kraft getretenen Regelung wurde das Thema auch in Deutschland aktuell. Experten äußerten vor allem datenschutzrechtliche Bedenken und befürchteten vermehrt Identitätsdiebstähle.
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    Verein "Digitalcourage": Fingerabdruck-Pflicht ist Zwang

    Das Verwaltungsgericht Wiesbaden meint, eine Einwilligung in die Datenverarbeitung der Fingerabdrücke bestehe wegen der Personalausweispflicht nicht. Anders als beim Reisepass könne der Bürger nicht selbst entscheiden, ob er den Ausweis beantragt, was die Eingriffsintensität erhöhe. Dieser Eingriff in den Schutz personenbezogener Daten sei nicht durch den Zweck, die Freizügigkeit innerhalb der Union zu erhöhen, zu rechtfertigen. Denn der Personalausweis sei in erster Linie kein Reisedokument.

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    EuGH-Anwältin: Kein intensiver Eingriff

    Laila Medina, Generalanwältin beim EuGH, sieht das anders: Die Fingerabdruck-Pflicht sei kein intensiver Eingriff, da die Abdrücke nur dem Ausweisinhaber zur Verfügung stünden. Das Fälschungsrisiko der Ausweise werde zudem verringert. Mitgliedsstaaten akzeptierten die Ausweise daher eher, was die Freizügigkeit fördere. Dies sei "beim Zugang zu öffentlichen Diensten wie der Gesundheitsversorgung der Fall oder im Umgang mit Banken, Fluggesellschaften, Unterhaltungsstätten, Hotels oder anderen Beherbergungseinrichtungen.", so Medina.
    Der EuGH erklärte die Verordnung nun wegen eines Formfehlers für ungültig. Es sei die falsche Rechtsgrundlage und damit ein Verfahren ohne einstimmigen Ratsbeschluss angewendet worden. Inhaltlich sei die Verordnung aber rechtens. Gegen Identitätsdiebstahl seien Fingerabdrücke effektiver als ein Foto des Gesichts, das sich im Laufe des Lebens verändert. Die zuverlässige Identifizierung mit dem Abdruck erleichtere die Reise innerhalb der EU. Deshalb hält der EuGH die Verordnung bis Dezember 2026 aufrecht. Einen neuen Personalausweis gibt es also weiterhin nur mit gespeicherten Fingerabdrücken.
    Lara Leidig ist Rechtsreferendarin in der Fachredaktion Recht & Justiz des ZDF

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