EU-Gipfel in Granada: Europa - der Krisenkontinent

    EU-Gipfel in Granada:Europa - der Krisenkontinent

    ZDF-Korrespondent Ulf Röller berichtet aus Brüssel.
    von Ulf Röller
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    Die Regierungschefs der EU treffen sich ab Donnerstag zu einem zweitägigen Gipfel in Granada. Am ersten Tag mit 17 weiteren Staaten Europas. Es geht um Krisen, viele Krisen.

    Scholz und Selenskyj beim Handschlag in einem Konferenzraum in Granada.
    Der ukrainische Präsident trifft über 40 Staats- und Regierungschef. Die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) wurde als Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegründet. 05.10.2023 | 1:24 min
    Europas Regierungschefs scheuen nicht die große Bühne. Zwei Tage treffen sie sich im Schatten der Alhambra, im spanischen Granada. Die einmalige Festung steht für die wechselhafte Geschichte Europas: Sie ist ein Zeitzeuge vom Kampf der Weltregionen, ein Symbol für Europas kriegerische Geschichte.
    Seit dem Angriffskrieg Russlands mussten viele wieder in Europa akzeptieren: Krieg ist weiterhin Politik mit anderen Mitteln. Das Wesen der Alhambra lebt weiter.
    EU-Gipfel: "Andere Länder beteiligen"
    Auf dem EU-Gipfel in Granada wollen die Länder "über den Tellerrand hinausblicken", so ZDF-Korrespondent Thomas Walde. Das Hauptthema sei "der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine".05.10.2023 | 3:19 min

    EPC - Ein Bollwerk gegen Russland?

    Der Gipfel wird ein Krisengipfel werden, mit Auftritten von Machthabern, die vor Nationalismus und militärischen Konflikten nicht zurückschrecken. Die regelbasierte Ordnung in Europa ist zerbrechlich.
    Das wird schon am ersten Gipfeltag überaus deutlich. Dort trifft sich die Europäische Politische Gemeinschaft. Das sind mehr als 40 europäische und vorderasiatische Staaten. Die Idee dazu hatte der französische Präsident Macron. Die EU will so ein Bollwerk gegen Russland aufbauen.

    Roth: EU muss "aus eigener Kraft" handeln
    05.10.2023 | 5:14 min
    Appelle zu starten, reicht nicht, mahnt der SPD-Außenpolitiker Michael Roth vor dem Hintergrund des Treffens der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Die EU selbst müsse "endlich vom Sofa runter" und mehr Verantwortung für Sicherheit, Frieden und Stabilität in Europa übernehmen. Die USA hätten es mit "anderen Bewährungsproben" zu tun und fordere von Europa zunehmend mehr Eigenverantwortung. "Da sollte man nicht länger wie das Kaninchen auf die Schlange nach Washington starren, sondern schauen: Wie können wir dazu beitragen, dass der Frieden in Europa gesichert wird", so Roth im ZDF-Morgenmagazin. Er warnte zudem: Das "Gift des Nationalismus" entfalte auch Wirkung in der Europäischen Union.

    Es wird das übliche Familienfoto geben. Es soll Geschlossenheit und Gemeinschaft symbolisieren. Eingeladen ist auch der Präsident von Aserbaidschan, Ilham Alijew. Er steht für eine Machtpolitik, die auf Waffen, nicht auf Werte, setzt.

    Wenig Protest gegen Aserbaidschan - wegen Gas

    Denn Alijew hat sich gerade die autonome Provinzregion Berg-Karabach einverleibt und vertreibt von dort wohl gezielt die Armenier. Manche sprechen von einem drohenden Genozid. Dafür sollte er sich auf dem Gipfel verantworten. Deshalb kommt Alijew wahrscheinlich nicht.
    29.09.2023, Armenien, Goris: Ethnische Armenier aus Berg-Karabach und Beobachter der Europäischen Union fahren mit ihren Autos an einem Kontrollpunkt auf der Straße von Berg-Karabach nach Goris vorbei.
    Zehn Tage nach der Militäroffensive bleibt die Zahl der flüchtenden Armenier aus Bergkarabach weiterhin hoch. Mehr als 100.000 Menschen sind bisher geflohen.30.09.2023 | 1:26 min
    Die EU kommentiert diesen klaren Verstoß gegen die regelbasierte Ordnung, gegen ihre Werte, zurückhaltend. Das hat einen Grund: Aserbaidschan liefert Europa dringend notwendiges Erdgas.
    Wer vom russischen Gas unabhängig werden will, kann nicht wählerisch bei der Suche seiner neuen Partner sein. Die EU weiß das. Sie wird auf dem Gipfel versuchen, die Balance zwischen Pragmatismus und ihren Werten nicht zu verlieren.

    Asyl: Polen und Ungarn weigern sich weiter

    Am zweiten Tag ist die EU unter sich. Was es aber nicht einfacher macht. Es geht um die weitere Hilfe für die Ukraine und das Problem der Migration. Das Zauberwort, das auf dem Gipfel gebetsmühlenartig wiederholt werden wird, heißt: Zusammenstehen.
    Aber zwei Länder interessiert die europäische Solidarität nicht. Polen und Ungarn verweigern sich. Die EU versucht gerade, Hände ringend einen Asylkompromiss hinzubekommen. Er basiert darauf, Migration zu beschränken und die Flüchtlinge gerechter zu verteilen. Polen und Ungarn haben deutlich gesagt, sie werden keine Flüchtlinge aufnehmen. Sie werden sich nicht an mögliche EU-Beschlüsse halten.
    Schaltgespräch mit Thomas Walde am 05.10.2023
    In Granada findet das Gipfeltreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft statt, Hauptthema ist der Ukraine-Krieg. ZDF-Korrespondent Thomas Walde berichtet vor Ort.05.10.2023 | 1:30 min
    Und nicht nur das. Sie sonnen sich in ihrem Widerstand. In jeder Rede des ungarischen Regierungschefs Victor Orban und des polnischen Regierungschefs Morawiecki machen sie Stimmung gegen die EU. Was sie bewusst unterschlagen: Dass sie gerne die Gelder aus Brüssel nehmen, um ihre heimische Wirtschaft am Laufen zu halten.

    Ukraine: Unterstützung in EU bröckelt

    Auch beim Thema Hilfe für die Ukraine drohen Polen und Ungarn mit Widerstand. Der ungarische Regierungschef Orban hält Waffenlieferungen an die Ukraine für den falschen Weg, glaubt nicht an einen Sieg der ukrainischen Armee und geht nicht davon aus, dass Kreml-Diktator Wladimir Putin bald stürzen wird.
    TN: ZDFheute live - Bröckelt die Unterstützung für die Ukraine?
    In immer mehr Ländern stehen die militärischen und finanziellen Hilfen für die Ukraine auf der Kippe. Welche Folgen hat das für das Land?02.10.2023 | 34:52 min
    Auch Polen steht nicht mehr eindeutig hinter den Waffenlieferungen. Spricht von der Ukraine als einen Ertrinkenden, an dem man sich nicht festhalten sollte, sonst geht man selber unter. Polen will vor allem jetzt selbst aufrüsten, um sich zu schützen. In Polen wird gerade gewählt, die regierende PiS-Partei versucht mit nationalistischen Tönen, Stimmen zu gewinnen. Ein Anti-Europa-Kurs hilft da.
    Den Gipfel dominieren viele Krisen, Europa wirkt angeschlagen. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat mal gesagt: "Wer an Europa verzweifelt, der sollte Soldatenfriedhöfe besuchen!" Die Alhambra hat viele Schlachten gesehen - vielleicht doch der perfekte Gipfelort, um sich zu besinnen.
    Ulf Röller ist Leiter des ZDF-Studios in Brüssel.
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