Im Rentenalter steuerfrei weiterarbeiten, so will CDU-Politiker Linnemann den Fachkräftemangel bekämpfen. Handwerkspräsident Dittrich fordert einen Kurswechsel in der Bildung.
Vom Informatiker bis zum Kellner, von der Lehrerin bis zum Zeitungsboten – sie alle werden händeringend gesucht. Die neue „Arbeiterlosigkeit“ bedroht Wirtschaft und Wohlstand.
In der Problembeschreibung sind sich die Gäste der ZDF-Sendung "maybrit illner" weitgehend einig - so einig, dass man sich wundern mag, wie wenig bislang zur Problembehebung getan worden ist.
Es fehlt an Fach- und auch an Arbeitskräften, zum Schaden der wirtschaftlichen Entwicklung. Die nachfolgenden Generationen haben völlig andere Vorstellungen von ihrem Erwerbsleben - und müssen pro Kopf rechnerisch immer mehr Rentner finanzieren.
Carsten Linnemann bei "maybrit illner"
Linnemann fordert "Aktivrente"
CDU-Parteivize Carsten Linnemann zaubert als Lösungsvorschlag eine "Aktivrente" aus dem Hut. Wer nach dem Erreichen des gesetzlichen Renteneintrittsalters weiterarbeiten möchte, solle seinen Zuverdienst nicht versteuern müssen.
In der Rente mit 63 sieht Linnemann "einen der größten sozialpolitischen Fehler der Großen Koalition".
Arbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles hat 2014 als SPD-Arbeitsministerin die abschlagsfreie Rente nach 45 Beitragsjahren mitverantwortet. Sie spricht von einer Würdigung der Leistung einer Generation: "Dazu stehe ich." Trotzdem sei die Erwerbsbeteiligung von Älteren gestiegen. Es gelte, bei Arbeitszeiten und Belastung den gewandelten Ansprüchen gerecht zu werden und Anreize zu schaffen, länger zu arbeiten.
Andrea Nahles bei "maybrit illner"
Niejahr: Selbstvertrauen sinkt
"Die Rente mit 63 ist ein zahlenmäßig überschätztes Problem, aber die Signalwirkung können wir uns nicht mehr erlauben", sagt die Geschäftsführerin der Hertie-Stiftung, Elisabeth Niejahr. Der Frühverrentung könne durch ein anderes Arbeitsklima und bessere Bezahlung entgegengewirkt werden.
Der Glaube, dass jeder seine Ziele erreichen kann, habe nachgelassen. "Wende zum Weniger ist der falsche Tonfall", sagt Niejahr mit Blick auf wachstumskritische Stimmen.
"Der Umgang mit einer alternden Gesellschaft ist die vergessene Krise unserer Zeit", sagt Grünen-Chefin Ricarda Lang. Das Ziel müsse sein, dass diejenigen, die es wollen, auf einfachere Weise länger arbeiten können. Ein höheres Renteneintrittsalter bedeute de facto eine Rentenkürzung für belastende Berufe.
2014 wurde die Rente mit 63 eingeführt - das Eintrittsalter steigt aber laufend und liegt heute bei über 64 Jahren. Ist das Modell Rente mit 63 noch ein zukunftträchtiges?
Dittrich: Arbeitnehmer länger halten
"Mit Abschlag in Rente gehen und dann eine Hinzuverdienstmöglichkeit, das ist gesellschaftlich schwierig", sagt Handwerkspräsident Jörg Dittrich. Die Betriebe müssten umdenken, um ältere Arbeitnehmer länger zu halten.
Er wünscht sich mehr Wertschätzung für die berufliche Bildung und flexiblere gesetzliche Rahmenbedingungen. "Wir müssen erst einmal die Aufmerksamkeit der Gesellschaft erzeugen, dass es eine Zeitenwende auch bei den Fachkräften gibt", sagt Dittrich.
Viele Unternehmen klagen über Fachkräftemangel, aber nur jeder sechste Betrieb sucht auch im Ausland nach Arbeitskräften. Hauptprobleme sind rechtliche und bürokratische Hürden.
Wachstumsmotor Klimaschutz?
Die Wartezeiten auf Handwerksleistungen würden weiter steigen, die Preise ebenfalls. Auch, weil die Arbeitskosten viel zu hoch seien. Zur Lösung des Arbeits- und Fachkräftemangels lenken Nahles und Lang den Blick auf die (Vollzeit-)Erwerbsquote von Frauen sowie das Thema Zuwanderung. Die Grünen-Chefin sieht zudem im Klimaschutz einen neuen Wachstumsmotor.
"Wir müssen aufpassen, dass Arbeit in Deutschland weiter etwas wert ist", sagt Linnemann. Der CDU-Politiker moniert eine "Vollkasko-Mentalität" gegenüber dem Staat: "Wir müssen aufpassen, dass der Wohlstand uns nicht satt gemacht hat."
Weber: Wachsender Stress bei Menschen
"Ich glaube nicht, dass es die Vollkasko-Mentalität gibt", sagt die Autorin Sara Weber, die schon in jungen Jahren aus dem nichtselbstständigen Erwerbsleben ausgeschieden ist. Viele jüngere Arbeitnehmer würden sich vielmehr von dem Beispiel abschrecken lassen, wie sich ältere Generationen kaputt gearbeitet haben.
"Das ist ein unfassbares Problem", sagt Weber.
- Chancen für junge Geflüchtete
Jährlich kommen tausende junge Flüchtlinge nach Deutschland. Sie haben oft einen steinigen Weg zum Arbeitsmarkt, obwohl viele hochmotiviert sind. Welche Chancen haben sie hier?