Quereinstieg: Hessens Strategien gegen Lehrermangel

    Strategien gegen Lehrermangel:Seiteneinstieg an Schulen: Wo es hapert

    von Isabel de la Vega
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    Weil Lehrer fehlen, setzt die Bildungspolitik voll auf "Quer-" und "Umsteiger". Aber das Modell stößt an seine Grenzen.

    Quereinsteiger-Lehrerin am Schreibtisch
    Um dem Lehrermangel entgegenzuwirken, sollen in Hessen mehr Quereinsteiger gewonnen werden. Doch nicht alle sind für den Job geeignet. Doch die Entlohnung ist gegenüber der Beamtenkollegen geringer.03.05.2023 | 2:03 min
    Sie unterrichtet gern, ist engagiert, die Schule würde sie gern behalten: Claudia Skworzow arbeitet als Lehrerin an einer Gesamtschule im hessischen Babenhausen. Sie ist dort als sogenannte TV-H-Kraft beschäftigt - dieses Vertragsmodell sieht eine befristete Anstellung an einer Schule vor.
    Skworzow hat weder ein Lehramtsstudium, noch ein Referendariat abgeschlossen: Als Diplom-Chemikerin arbeitete die 39-Jährige zunächst an einem großen Forschungsinstitut.

    Das Vertragsmodell macht es Seiteneinsteigern schwer

    An die Schule ging es ein paar Jahre später und mit den Fächern Mathe, Bio und Chemie klappte es mit einer Anstellung schnell. Aber:

    Ich bin nun im fünften Jahr an meiner Schule und nun ist vermutlich bald Schluss.

    Claudia Skworzow


    Ihr Vertrag wird alle sechs Monate oder jedes Jahr verlängert.

    Die Verträge kommen auch relativ spät, man bibbert eigentlich immer bis zum Anfang oder Ende des Schuljahres, ob überhaupt ein neuer Vertrag kommt oder nicht.

    Claudia Skworzow

    Und: Die Schulämter verlängern in der Regel nur bis maximal fünf Jahre, "weil man sich sonst einklagen könnte", sagt Skworzow.
    Die pensionierte Lehrerin über Schulheften.
    Eine 69-jährige pensionierte Lehrerin folgt der Bitte des Kultusministeriums und kehrt zurück in ihren Beruf, um den Lehrermangel zu mildern. Jetzt drohen ihr 10.000 Euro Strafe.02.05.2023 | 2:41 min

    Wer weitermachen will, hat es schwer

    Im Klartext: Immer, wenn Seiteneinsteiger ihre mangelnde pädagogische Ausbildung durch Praxis aufgeholt haben, müssen sie an ihrer Schule aufhören. Und das Schulamt für eine Neubewerbung wechseln. Auf dem Land ist das oft mit einem Umzug verbunden - das macht den Job unattraktiver.
    Außerdem ärgert es Skworzow, dass sie sich mit 50 bis 60 Wochenstunden mindestens genauso reinhängt, wie ihre verbeamteten Kollegen, aber wesentlich schlechter bezahlt wird: "Das ärgert einen doch", so Skworzow.
    Gibt es neue politische Strategien für das Problem "Lehrermangel"? Bayern wirbt gezielt um Lehrer aus anderen Bundesländern, Baden-Württemberg versucht, pensionierte Lehrer in den Schuldienst zurückzuholen, in Sachsen-Anhalt gehen "Headhunter" auf Lehrersuche.
    Leere Schulbänke
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    Kaschieren TV-H-Kräfte nur den Lehrermangel?

    In Hessen existiere kein Lehrermangel, sagt Kultusminister Alexander Lorz: "Wo permanent jemand ausscheidet, eine Stelle neu besetzt wird, das wäre sinnlos, mit einer Zahl arbeiten zu wollen." Wie aber soll der Lehrermangel angegangen werden, wenn es keine klare Zahlenbasis gibt?
    Fast 10.000 TV-H-Lehrer arbeiten in Hessen. "Sie kaschieren nur den Lehrermangel", sagt die Direktorin einer Grundschule, die ihren Namen nicht nennen möchte.

    Zwingt die Personalnot an Schulen, jeden nehmen zu müssen?

    Immerhin bietet Hessen nun ein neues Quereinsteiger-Programm an: 3,5 Jahre lang können Seiteneinsteiger eine pädagogische Zusatzqualifizierung durchlaufen - und am Ende sogar verbeamtet werden.
    Aber: Die Zugangsvoraussetzungen schränken die Zahl der Bewerber stark ein und es sind erstmal nur 40 Plätze vorgesehen. "Dieses Programm wird nicht reichen" so die Direktorin. "Die Personalnot an den Schulen ist so groß, dass man jeden nehmen muss, der irgendwie einigermassen vernünftig erscheint." Dass das oft auch schiefgehen kann, weiß sie nur zu gut:
    Auf dem Bild ist ein Quereinsteiger-Lehrer im Unterricht zu sehen.
    Kaum Nachwuchs und ausgebrannte Lehrkräfte - laut Experten fehlen in Deutschland zehntausende Pädagogen. Quereinsteiger sollen helfen, aber ihnen fehlen meist die pädagogischen Fachkenntnisse.18.03.2023 | 4:47 min
    "Wir hatten kürzlich wieder eine Lehrkraft, wo gar kein Unterricht mehr stattfinden konnte, weil die Person nicht in der Lage war, mit Konflikten in der Klasse umzugehen, wo es dann fast in jeder Stunde eskalierte".

    Nachteile des Seiteneinsteiger-Programms für Lehrer

    Kollegen, die helfen müssen, werden durch überforderte Seiteneinsteiger zusätzlich belastet. Und so müssen die motivierten und qualifizierten "Umsteiger" nach fünf Jahren ihre Schule verlassen. Und für jene, denen pädagogischen Kenntnisse fehlen, gibt es viel zu wenig Schulungen, um im Klassenzimmer auch zurecht zu kommen.
    Blick in ein Klassenzimmer.
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    Isabel de la Vega ist Redakteurin im ZDF-Landesstudio Hessen.

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