Schulchaos in Deutschland: Keine Lehrer! Kein Plan?

Die Realschule am Kleefeld in Bergisch Gladbach. Morgens um acht brütet Lehrer Thomas Rethmann bereits über dem Vertretungsplan. Drei Kollegen fallen aus. Die Kernfrage, wie so oft: Wer kann wann welche Klasse mit übernehmen?

Nicht immer gelingt es, Ersatz zu finden. Und dann muss Rethmann schon mal eine ganze Klasse nach Hause schicken. Das sei für alle, für Lehrkräfte, Schüler und Eltern, total frustrierend.

An so einem Tag muss Rektor Martin Havers selbst ran. Er unterrichtet zwei neunte Klassen in Mathe gleichzeitig. Nicht alle haben den gleichen Wissensstand. Wie kann er da allen gerecht werden? Schwierig, sagt der Rektor.

Besser als nichts, sagen seine Schüler. Immerhin hatten sie schon fünf wechselnde Lehrer innerhalb eines Jahres.

Lehrermangel herrscht auch an der Friedrich- Rückert-Grundschule in Schweinfurt. Kinder aus dreißig Nationen gehen hier zur Schule, manche kommen aus Kriegsgebieten. "Nur drei Kinder in einer Klasse arbeiten selbstständig ", so Rektorin Sabrina Neckov, " der Rest braucht Hilfe."

Für viele ihrer Schüler ist die 41-Jährige nicht nur Erzieherin, sondern auch Sozialarbeiterin, Psychologin und für manche der einzige Halt. Von 20 Lehrkräften sind an diesem Tag vier krank, 70 Wochenstunden fallen somit aus. Das bedeutet Mehrarbeit für alle anderen. Wie so oft.

"Denn dann machen mir die auch noch schlapp und dann kollabiert das ganze Bildungssystem," sorgt sich Neckov.

Der Schullalltag in Deutschland: Große Klassen, wenig Lehrer. Häufig bleibt der Unterricht auf der Strecke. Die Folgen der Misere sind längst bei den Kindern angekommen.

Nach dem jüngsten Report des Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB-Bildungstrend) erreicht rund ein Fünftel der Viertklässler nicht die Mindeststandards in Deutsch und Mathe. Zusätzliche Hilfen durch Förderlehrer, Schulpsychologen oder Sozialarbeiter? Meist Fehlanzeige.

"Wir befinden uns in einer Bildungskatastrophe", beschreibt Simone Fleischmann, Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands die aktuelle Situation. Verantwortlich für die Misere seien die Politiker, die den prognostizierten Lehrermangel nicht zur Kenntnis nahmen.

Bezahlen müssten dies nun die Lehrkräfte vor Ort. "Da weint das Kind, da schimpft der Vater, da gibt es die Klagen, da wird man krank," so Fleischmann. Tatsächlich wird jeder zehnte Lehrer dienstunfähig. Hauptursachen sind psychische und körperliche Erschöpfung.

Jammern auf hohem Niveau? Nein, sagt Personalrätin Astrid Schels, die sich im Landkreis Regensburg um die Sorgen ihrer LehrerkollegInnen kümmert. Die häufigsten Fragen, die ihr aktuell gestellt würden: "Wann kann ich aufhören, wie kann ich aufhören, welche Möglichkeit gibt es, früher aufzuhören?"

Viele hören frühzeitig auf, manche fangen gar nicht erst an. Die Zahl der Studierenden auf Lehramt ist im Sinkflug. Hohe Zulassungsbeschränkungen, hohe Anforderungen im Studium mit zu umfangreichen Studieninhalten schrecken viele ab.

Die Probleme sind bekannt, auch bei den verantwortlichen Kultusministern. Doch statt gemeinsam einen Notplan zu verabschieden, prüfen und bestimmen die einzelnen Bundesländer selbst, welche Maßnahmen sie im Einzelnen gegen den Lehrermangel ergreifen werden. Bessere Studienbedingungen, höhere Gehälter und Quereinsteiger sollen die Situation langfristig entlasten.

Doch die Zeit drängt, sagt Neckov. Das Bildungssystem sei "eine tickende Zeitbombe", die nur durch genügend Ressourcen und Lehrerköpfe entschärft werden könnte. Dass an den Schulen Unterricht noch möglich ist, ist häufig nur den engagierten Lehrern zu verdanken. Doch wie lange halten die noch durch?