Warum Populismus im Aufwind ist: Gründe für den Rechtsruck

    Interview

    Demokratie-Forscher Yascha Mounk:Warum der Populismus im Aufwind ist

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    Was der AfD Aufwind gibt, warum rechtspopulistische Parteien auf Erfolgskurs sind und was sie aufhalten kann. Ein Interview mit US-Politikwissenschaftler Yascha Mounk.

    Plakat mit der Aufschrift "Wir werden von Idioten regiert" auf Demonstration der AfD in Erfurt
    Mehr Menschen lehnen laut einer aktuellen Studie die Institutionen ab - wie bei dieser Demo der AfD in Erfurt
    Quelle: Imago Images/Karin Hessland

    Aufwind für die AfD bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen, jede zwölfte Person in Deutschland teilt inzwischen ein rechtsextremes Weltbild, das Vertrauen in die Institutionen und das Funktionieren der Demokratie schwindet.
    Ob Europa ein Rechtsruck droht und warum populistische Parteien so erfolgreich sind, darüber sprechen wir mit dem Politologen Yascha Mounk.
    ZDFheute: Wenn Sie auf Europa blicken, was ist dann gerade Ihre größte Sorge?
    Yascha Mounk: Meine größte Sorge sind die populistischen Regierungen, insbesondere in Zentral- und Osteuropa, die ganz klar gezeigt haben, dass sie versuchen, die Macht in ihren Händen zu konzentrieren.
    Ungarn gilt laut Freedom House, einer Menschenrechtsorganisation, nur noch als zum Teil freies Land. Wir haben in Polen am Sonntag Wahlen, die darüber mitentscheiden werden, ob sich das Land noch stärker dem ungarischen Modell annähert.

    In vielen westeuropäischen Ländern werden ähnliche populistische Parteien stärker.

    Yascha Mounk, Politikwissenschaftler

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    ZDFheute: Woran liegt es, dass populistische Parteien gerade so im Aufwind sind?
    Mounk: Dafür gibt es längerfristige, strukturelle Gründe. Gerade in Westeuropa fühlen sich viele Menschen nicht mehr so, als hätten sie Anteil am wirtschaftlichen Fortschritt. Dieser Grundoptimismus, dass es den Kindern einmal besser gehen wird als den Eltern, ist abhanden gekommen.
    Zweitens gibt es große demografische und kulturelle Veränderungen, die Teilen der Bevölkerung - wie man auch diese Woche anhand der Solidaritätsbekundungen zur Hamas gesehen hat - verständlicherweise Sorgen auslösen.
    Drittens hat sich die Grundsituation der Demokratien durch die Erfindung des Internets und der Sozialen Medien gewandelt. Das macht es neuen Parteien einfacher, Stimmen zu bekommen und manchmal auch einfacher, Lügen oder Hass zu verbreiten. Ich würde auch noch einen vierten Grund dazufügen.
    Man in der Menge hebt ein großes Q in die Höhe.
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    Zum Teil fühlen sich die Leute von der Politik nicht repräsentiert, in den Medien nicht adäquat dargestellt.

    Yascha Mounk

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    ZDFheute: Kann man den Parteien der Mitte vorwerfen, dass sie die Interessen der Wählerinnen und Wählern nicht mehr glaubhaft genug vertreten?
    Mounk: Zum Teil glaube ich schon, dass man das den Parteien vorwerfen kann. In gewisser Hinsicht ist dies ja etwas Positives. Denn das heißt, diese Parteien könnten sich reformieren, Fehler wettmachen. Bürgerliche Parteien rechts der Mitte, so wie die CDU und CSU, debattieren gerade darüber, wie sie mit Populisten umgehen sollen. Ein Teil sagt, sie sollten sich voll in die Mitte stellen und so viel Abstand wie möglich zu Rechtspopulisten hegen. Andere sagen, wenn die AfD so erfolgreich ist, sollte man sie vielleicht nachahmen. Bürgerliche Parteien müssten ihr vielleicht nach dem Mund plappern.

    Yascha Mounk
    Quelle: privat

    ... wurde 1982 in München geboren als Sohn jüdischer Eltern, die aus Polen flüchteten. Der Politologe ist Experte für die Krise liberaler Demokratien und den Aufstieg des Rechtspopulismus und Professor an der Johns Hopkins Universität in Washington, D.C. Er besitzt die deutsche und US-amerikanische Staatsbürgerschaft und spricht fünf Sprachen fließend: Deutsch, Polnisch, Englisch, Italienisch und Französisch. Mounk ist Autor mehrerer Bücher und Host eines Podcasts über die Verteidigung einer freien Gesellschaft.

    ZDFheute: Was glauben Sie?
    Mounk: Ich glaube, das sind beides Fehler. Wenn man der AfD nach dem Mund redet, gehen die Leute lieber zum Original. Aber wenn sich bürgerliche Parteien so sehr auf die Mitte konzentrieren, dass sie rechts ein riesiges Feld den Populisten überlassen, dann versuchen sie nicht einmal, diese Wähler im demokratischen Gefilde beizubehalten. Eine erfolgreiche konservative Partei würde konservative Werte forsch zum Ausdruck bringen - ohne die Populisten nachzuahmen.
    ZDFheute: Ein Kernthema der Populisten ist die Migration. Es gibt wieder vermehrt Fluchtbewegungen nach Europa. Wird das für einen weiteren Rechtsruck sorgen?
    Mounk: Das Thema Migration ist immer etwas, was Populisten ausnutzen können - insbesondere wenn moderatere Parteien dafür den Nährboden bieten. Der amerikanische Schriftsteller David Frum hat einmal geschrieben: 'Wenn wir nicht die Kontrolle über die Grenzen herstellen, dann werden es anstatt unser die Faschisten tun.' Da ist etwas dran.
    Die meisten Menschen haben durchaus Sympathie zu denjenigen, die aufgrund echter Gefahr oder Not ins Land kommen wollen. Gleichzeitig verlangen sie verständlicherweise auch, dass wir über unsere Grenzen die Kontrolle gewinnen.

    Härte und Willkommenskultur scheinen mir nicht so weit auseinanerzuklaffen, wie manchmal angenommen wird.

    Yascha Mounk

    Wir brauchen eine Politik, die uns mehr Kontrolle darüber gibt, wer unter welchen Umständen zu uns kommt - aber gleichzeitig das Grundrecht auf Asyl für diejenigen, die tatsächlich politisch verfolgt werden, aufrechterhält.
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    ZDFheute: Blicken wir auf die Europawahlen im nächsten Jahr. Wird der Rechtsruck weitergehen?
    Mounk: Tatsächlich ist das gerade ein Moment mit ökonomischer Krise und Inflation, dem Krieg in der Ukraine und Migrationsbewegungen, die den Rechtspopulisten einiges an Nährboden bieten. Die Umfragen scheinen zu suggerieren, dass Rechtspopulisten wieder einmal eine sehr erfolgreiche Europawahl haben werden. Insofern würde mich ein solcher Ausgang sicherlich nicht überraschen.
    ZDFheute: Was macht denn den Populismus so attraktiv und was macht es denn so schwierig für andere Parteien, gegen Populismus anzukämpfen?
    Mounk: Was es schwierig macht, ist, dass etablierte Parteien immer an der Realität gemessen werden. Und die Realität oft negativ erscheint. Wenn ich mir aus amerikanischer Perspektive die momentane Lage Deutschlands anschaue - die wirtschaftliche Leistung, das Bildungssystem, die öffentliche Ordnung, der gesellschaftliche Zusammenhalt - muss ich sagen, das Land steht gar nicht so schlecht da.
    Aber natürlich ärgern sich die Menschen über die Baustelle, die nicht vorankommt, über den Zug, der mal wieder zu spät kommt, über die Heizungskosten, die immer höher werden. Und das macht es Populisten sehr einfach zu behaupten, die altetablierten Parteien seien an allem schuld was schlecht läuft - während sie das, was gut funktioniert, natürlich geflissentlich ignorieren.
    Gleichzeitig wissen wir aus vielen Studien, dass normalerweise nichts besser wird, wenn Populisten an die Macht kommen. Länder werden korrupter und ärmer. Aber wenn sie einmal an der Macht sind und an Popularität verlieren, können sie die Opposition verteufeln - oder es sitzt ein neuer Populist in den Startlöchern, der sie ablöst.
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    ZDFheute: Anfangs hatte ich Sie gefragt, was Ihnen Sorgen macht. Was gibt Ihnen Hoffnung?
    Mounk: Mir gibt Hoffnung, dass die meisten Menschen eine tolerante Grundeinstellung haben - und trotz allem tagtäglichen Nörgeln und Jammern sehr viele positive Qualitäten an ihrem eigenen Land sehen.
    Ich bin überzeugter Demokrat. Nicht nur, weil ich aus der Geschichte die Erfahrungen gemacht habe, dass demokratische Institutionen viel besser für Frieden und Wohlstand sorgen als die vermeintlichen Alternativen. Sondern auch, weil ich ein Grundvertrauen in die Intelligenz und die guten Absichten des durchschnittlichen Bürgers habe.
    Wenn moderate Parteien ein bisschen weniger Angst und ein bisschen mehr Respekt vor diesen Bürgern zu Tage stellen, dann wird unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gegen sie letztlich Bestand haben.
    Das Interview führte Alexandra Hawlin, Reporterin im ZDF-Landesstudio Bayern.

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