Nato-Beitritt: Schweden "nicht sicher, was die Türkei will"

    Interview

    Blockierter Nato-Beitritt:Schweden "nicht sicher, was die Türkei will"

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    Schweden wartet weiter auf Ankaras Ja zum Nato-Beitritt: Beide verhandeln erneut. Ein Scheitern wäre für Schweden und die Nato problematisch, sagt Sicherheitsexperte Engelbrekt.

    Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, und Ulf Kristersson, Ministerpräsident von Schweden. (Archivbild)
    Neue Gespräche zwischen Schweden und der Türkei um den Nato-Beitritt der Skandinavier gehen weiter. (Archivbild)
    Quelle: Burhan Ozbilici/AP/dpa

    Kjell Engelbrekt ist Professor für Politikwissenschaft an der Schwedischen Universität für Verteidigung - und einer der renommiertesten Sicherheitsexperten Schwedens. Im Interview mit ZDFheute spricht er darüber, was das fortwährende Nein aus der Türkei für sein Land und für die Nato insgesamt bedeutet. Und ob die Entscheidung der schwedischen Polizei, die Verbrennung eines Korans vor einer Moschee zu erlauben, sinnvoll und hilfreich war.
    ZDFheute: Professor Engelbrekt, seit einem Jahr hat die Türkei den Beitritt Schwedens nicht ratifiziert. Was bedeutet das für die Nato?
    Kjell Engelbrekt: Noch wenig. Aber wenn wir auch nach dem Gipfel von Vilnius kein klares Ja für den Beitritt haben: dann wird das sehr problematisch. Einerseits für die Nato, die sich seit Beginn des russischen Kriegs ja sehr für ihre Einheit rühmt. Und andererseits für die gemeinsame Verteidigungsplanung.

    Schweden hat die größte Küste der Ostsee. Die Nato müsste ihre Verteidigungspläne um Schweden herum anlegen - das wird nicht einfach.

    Kjell Engelbrekt, Schwedische Universität für Verteidigung

    Das Bild zeigt Kjell Engelbrekt, Professor für Politikwissenschaft an der Swedish Defence University
    Quelle: Swedish Defence University

    ... ist Professor für Politikwissenschaft an der Swedish Defence University und Mitglied auf Lebenszeit der Königlich Schwedischen Akademie der Kriegswissenschaften. Engelbrekt forscht unter anderem zu sicherheitpolitischen Aspekten Schwedens und Europas.

    ZDFheute: Was heißt das für die Sicherheitslage in Schweden, wenn das Land weiter nicht Teil der Nato wird?
    Engelbrekt: Schweden hat verschiedene Sicherheitsgarantien bekommen, von den USA, Großbritannien und einigen europäischen Mächten. Deshalb glaube ich nicht, dass das zumindest auf kurze Sicht ein echtes Sicherheitsproblem für Schweden darstellt. Aber natürlich: Auch das kann auf lange Sicht eine Herausforderung sein.
    ZDFheute: Aber muss man nicht festhalten: Die Nato lässt sich hier von zwei autoritär regierenden Staatschefs in den eigenen Reihen - Erdogan aus der Türkei, Orban aus Ungarn - erpressen, und das mitten in einer solchen Sicherheitslage?
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    Engelbrekt: Das ist ja nicht das erste Mal. Und wir wissen, dass die Türkei nicht das einzige Land ist, das manchmal sehr stark an einer Position festhält. Es ist allerdings auch eine türkische Besonderheit - und in der Vergangenheit war diese Politik durchaus effektiv, die Türkei hat manchmal einiges erreicht damit.
    Ich würde aber sagen: Jetzt ist die Zeit, um mit Schweden und anderen Ländern zu verhandeln. Sollte sich das weiter hinauszögern, wird der Unmut gegenüber der Türkei zu groß.
    ZDFheute: Weiß Schweden denn, was die Türkei wirklich erreichen will?
    Engelbrekt: Nein. Wir sind nicht ganz sicher, was die Türkei will. Es gab ein Memorandum vor einem Jahr, das von Schweden, Finnland und der Türkei unterzeichnet wurde. Dieses Memorandum enthält zehn Punkte - und Schweden ist - wie auch die USA und viele andere in der Nato - der Ansicht, dass es all diese Punkte erfüllt hat.
    Aber es scheint weitere Themen zu geben, die der türkische Präsident hier verfolgt. Es könnte darum gehen, dass die EU weitere kurdische Gruppen neben der PKK zu Terrororganisationen erklären soll. Es könnte auch um F-16-Kampfflugzeuge aus den USA gehen. Oder es geht um Exil-Kurden, deren Auslieferung aus Schweden Herr Erdogan verlangt. Das sind alles Hypothesen. Was genau der türkische Präsident denkt, wissen wir nicht.
    ZDFheute: Für großen Unmut hat auch die Verbrennung eines Korans vor einer Moschee in Stockholm gesorgt. War es aus Ihrer Sicht hilfreich, dass die schwedische Polizei dies erlaubt hat?
    Engelbrekt: Das Problem ist: Die Polizei hat eine Gesetzesgrundlage, mit der sie arbeitet. Und die Regierung kann hier nicht wirklich intervenieren. Aber natürlich könnten Regierung und Parlament die gesetzliche Grundlage ändern.

    Sie wissen, dass Schweden eine sehr große Tradition von Meinungsfreiheit hat - sie ist seit 1766 in der Verfassung verankert. Es ist ein fast absoluter Wert in Schweden.

    Kjell Engelbrekt, Schwedische Universität für Verteidigung

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    Aber natürlich ist die Frage berechtigt: Kann die Verbrennung eines Korans wirklich als eine Meinungsäußerung im Rahmen dieser Freiheit gewertet werden? Oder ist es eher ein Versuch, Hass gegen eine Gruppe von Menschen anzustacheln? Das ist auch in Schweden ein schwieriger Balanceakt, und ich bin nicht überzeugt, dass die aktuell gefundene Balance die richtige ist.
    Das Interview führte Florian Neuhann, Korrespondent im ZDF-Studio Brüssel.

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