Serbien am Scheideweg: Wohin steuert Präsident Vucic?

    Serbien am Scheideweg:Ost oder West: Wohin steuert Präsident Vucic?

    Britta Hilpert
    von Britta Hilpert
    |

    Wie wahrscheinlich ist ein EU-Beitritt Serbiens? Pro-europäische Töne von Präsident Vucic sind "eine Show", so ein Experte. Was die Schaukelpolitik zwischen Ost und West bezweckt.

    Serbiens Präsident Aleksandar Vucic während einer Pressekonferenz.
    Wie aufrichtig ist Serbiens Interesse an einem EU-Beitritt?
    Quelle: AP

    Es starben auch Zivilisten bei dem Luftangriff der Nato vor 24 Jahren - das steht im Zentrum der serbischen Gedenkfeier am Freitagabend in Sombor. Ein Tag der Trauer, aber nicht der Aufarbeitung: Für den serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic ist es der Tag, an dem "definitiv das internationale Recht starb", so sagte er. Und auch, dass der Westen lüge, wenn er sage, er habe aus humanitären Gründen angegriffen.
    Kein Wort über die Gräueltaten serbischer Einheiten, die für die Nato Auslöser ihres Eingreifens waren. Im Gegenteil: "Ihr habt gelogen!", sagt Vucic und meint die Nato. "Ihr habt uns nicht aus humanitären Gründen angegriffen. (…) Ihr wolltet uns was lehren - aber Ihr habt es nicht getan. Das stolze und trotzige Serbien wolltet Ihr brechen, brechen und brechen und Ihr habt es nie gebrochen!" Applaus brandet auf.

    Serbische Bevölkerung steht dem Westen kritisch gegenüber

    "Vucic ist jetzt rund zehn Jahre an der Macht - in seinen frühen Jahren an der Regierungs- oder Staatsspitze wären solche Töne undenkbar gewesen", sagt Florian Bieber vom Zentrum für Südosteuropa-Studien der Universität Graz.

    Damals war die Bevölkerungsmehrheit für einen EU-Beitritt. Aber seitdem hat er die Bevölkerung sehr weit in eine anti-westliche Haltung gezogen.

    Florian Bieber, Zentrum für Südosteuropa-Studien der Universität Graz

    Eine Studie der Henry Jackson Society belegt das: Nur rund 38 Prozent wären heute für einen EU-Beitritt. Noch größer ist die Ablehnung der Nato.
    Wie passt das zusammen mit Vucics erklärtem Ziel, sich der EU wirtschaftlich weiter anzunähern? Wie mit den Bemühungen der EU, eine Normalisierung zwischen Kosovo und Serbien zu erreichen? Eigentlich sollte jetzt, Ende März, dazu ein Abkommen geschlossen sein. Eigentlich ist das die Voraussetzung für Serbien, um auf dem Weg zum EU-Beitritt voranzukommen.

    Karte: Kosovo
    Quelle: ZDF

    Das Kosovo, das heute fast ausschließlich von Albanern bewohnt wird, gehörte früher zu Serbien. Nach einem bewaffneten Aufstand der
    Kosovo-Albaner und massiven Menschenrechtsverletzungen durch die serbischen Sicherheitskräfte hatte die Nato im Frühjahr 1999 mit Bombardierungen im damaligen Rest-Jugoslawien (Serbien und Montenegro) reagiert.

    Von 1999 bis 2008 verwaltete die UN-Administration Unmik das Gebiet. 2008 erklärte sich das Land für unabhängig. Serbien erkennt diesen Schritt bis heute nicht an und reklamiert das Territorium für sich.

    Quelle: dpa

    Schaukelpolitik zwischen Ost und West

    "Wenn Vucic pro-europäisch redet, dann ist es eine Show", meint Florian Bieber: "Er kommt aus dem nationalistischen Milieu." Er sieht es wirklich so, meint Bieber: Serbien sei das Opfer der Nato, deshalb verliert er kein Wort von den Gräueltaten serbischer Einheiten, von Ursache und Wirkung. Es ist ein Narrativ, das auch die größtenteils regierungsnahen Medien in Serbien pflegen.
    Aber die Rede vom Freitag zeigt auch, dass Vucic die Schaukelpolitik zwischen Ost und West betreibt, um seine Macht zu erhalten. "Ich tue mein Bestes, um den Frieden zu erhalten", so erklärt er seine Unersetzbarkeit:

    Es liegt an mir, unser Land durch ein Nadelöhr zu führen in diesen verrückten Zeiten, in denen man nicht mehr rational miteinander sprechen kann.

    Aleksandar Vucic, serbischer Präsident

    Florian Bieber erkennt darin ein Muster, das er schon bei Viktor Orban in Ungarn beobachtet: "Wir können es uns nicht leisten, uns in globale Konflikte zu involvieren, wir müssen das Beste für uns rausholen", so beschreibt Bieber die Vucic-Sichtweise.

    Experte sieht keine Bereitschaft für Kompromisse

    Wie nachhaltig da ein Abkommen mit Kosovo sein kann? "Überhaupt nicht", meint Bieber. Es gäbe keine echte Bereitschaft bei Vucic, Kompromisse umzusetzen. Und wie groß ist die Wahrscheinlichkeit für einen EU-Beitritt Serbiens? Auch nicht groß, so der Südosteuropa-Experte - allein schon, weil so ein Beitritt Vucics Macht ernsthaft einschränken würde.
    Korruption und informelle Machtstrukturen würden durch EU-Regeln mindestens eingeengt werden - das kann nicht im Interesse eines Mannes sein, der als Präsident formell zwar wenig Macht hat, aber von dessen Wort in Serbien alles abhänge.

    Konflikt auf dem Westbalkan
    :Was passiert zwischen Serbien und Kosovo?

    Der Konflikt ist Jahrzehnte alt und galt bis vor Kurzem als weitgehend beigelegt: Was man über die Spannungen zwischen Serbien und Kosovo wissen muss.
    Eine Straßenblockade am 28.12.2022 bei Mitrovica
    FAQ

    Zeichen stehen auf Machterhalt

    "Vucic macht immer nur so viel, wie unbedingt nötig ist. Er profitiert vom Status quo, von den verschiedenen Interessen, die er gegeneinander ausspielen kann."

    Russland-Sanktionen, Kosovo-Einigung, EU-Beitritt, Krieg… je mehr Faktoren es gibt, desto glaubwürdiger sein Drahtseilakt in den Augen der eigenen Bevölkerung.

    Florian Bieber, Zentrum für Südosteuropa-Studien der Universität Graz

    In dieser Situation gebe es für Vucic innenpolitisch "keine glaubwürdige Alternative", so Bieber. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock mag Serbien an einer "Wegscheide" stehen sehen - Präsident Vucic aber ist wohl entschlossen, dort stehen zu bleiben. Denn das erhält ihm seine Macht.

    Russland-Propaganda in Serbien
    :Deutsche Unternehmen werben neben Fake News

    Serbiens TV-Sender verbreiten regelmäßig pro-russische Falschmeldungen. Gleichzeitig werben dort große deutsche Unternehmen - und sehen darin teils kein Problem.
    von Britta Hilpert
    Eine Frau hält ein Bild des russischen Präsidenten Putin während eines Protests gegen die serbischen Behörden, die für die Aussetzung der Mitgliedschaft Russlands im UN-Menschenrechtsrat gestimmt haben.

    Mehr zu Serbien und dem West-Balkan