Sudan: Haben EU, USA und Russland den Konflikt begünstigt?

    FAQ

    Brutaler Machtkampf der Generäle:Sudan: Welche Fehler auch die EU gemacht hat

    von Kevin Schubert
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    Zwei Generäle kämpfen im Sudan um die alleinige Macht. Wurde der Konflikt durch Akteure der EU, USA und Russland begünstigt?

    Rapid Support Forces im Sudan
    Die Rapid Support Forces im Sudan: Auch von EU-Akteuren und Russland gefördert. 
    Quelle: imago

    Seit zwei Wochen kämpfen zwei Generäle um die Macht im Sudan: Abdel Fattah al-Burhan, De-Facto-Präsident und Befehlshaber der Streitkräfte – und Mohammed Daglo, genannt Hemedti, der die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) kommandiert. Die Kämpfe halten trotz der vereinbarten Waffenruhe an und fokussieren sich derzeit vor allem offenbar auf die Hauptstadt Khartum und die Region Darfur, können aber auch jederzeit auf andere Landesteile übergreifen.

    Mindestens 512 Menschen sind nach Angaben der Vereinten Nationen bereits getötet worden. Es gibt mehr als 4.000 Verletzte. Die Lage vieler Menschen im Sudan hat sich dramatisch verschlechtert. Der Zugang zu Nahrungsmitteln, Wasser und Gesundheitsversorgung ist stark eingeschränkt, die Preise – auch für Benzin – sind explodiert. Es soll zu Übergriffen, Plünderungen und Vergewaltigungen durch die militärischen Konflikte kommen. Viele Menschen versuchen, das Land zu verlassen und in benachbarte Staaten zu flüchten.

    Seit fünf Jahren demonstrieren die Menschen im Sudan gewaltfrei für eine zivile Regierung. Rückschläge gab es viele, etwa den Militärputsch 2021. Die Menschen gingen trotzdem weiter für ihre Ziele auf die Straße, demonstrierten friedlich, streikten, hielten den demokratischen Prozess am Leben - und wiesen die internationalen Akteure immer wieder darauf hin, dass sie weder dem Militär unter General Abdel Fattah al-Burhan noch den Rapid Support Forces (RSF) unter General Mohammad Daglo vertrauen.
    Nun eskalierte der Machtkampf: Seit dem 15. April zwingen die Generäle ihren Konflikt den fast 46 Millionen Menschen im Sudan auf. Zwar liegt es nahe, die Verantwortung dafür bei den Generälen zu suchen. Doch es gibt auch Vorwürfe gegen internationale Akteure, in den vergangenen Jahren erhebliche Fehler begangen zu haben.
    Ein Überblick in Fragen und Antworten.
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    Welche Rolle spielt die Europäische Union beim Sudan-Konflikt?

    Seit Jahren gibt es Vorwürfe, dass die Europäische Union zumindest indirekt einen Anteil am Erstarken der Rapid Support Forces (RSF) hat - der paramilitärischen Miliz unter dem Kommando von General Daglo.
    Das liegt in der Flüchtlingspolitik der EU begründet. Der Sudan spielt eine wichtige Rolle als Transitland für Geflüchtete, etwa aus Somalia, Eritrea, Äthiopien oder dem Südsudan. Die EU hat den Sudan deshalb ab April 2016 mit mindestens 100 Millionen Euro unterstützt, um Fluchtursachen zu bekämpfen.
    Zwar sollten die Gelder nach EU-Angaben dazu dienen, die Bedingungen für Geflüchtete im Sudan zu verbessern und Menschenhandel sowie -schmuggel zu unterbinden. Doch unter anderem "The New Humanitarian" legte bereits 2018 in einem Investigativ-Report nahe, dass die EU-Gelder auch bei korrupten Regierungsmitgliedern landen - und die RSF von der EU-Politik profitieren. Die Milizen wurden 2015 vom damaligen Machthaber, Diktator Umar al-Baschir, als Grenzpolizei installiert.

    Was sagt die EU zu den Vorwürfen, die RSF mitfinanziert zu haben?

    Ein EU-Sprecher weist die Kritik gegenüber ZDFheute zurück. Sie habe weder die RSF noch die sudanesischen Streitkräfte oder Machthaber al-Baschir finanziert. "Bereits vor dem Staatstreich im Oktober 2021 wurden Entwicklungsprogramme über zivilgesellschaftliche Organisationen, Nichtregierungsorganisationen, EU-Mitgliedsstaaten und die UN-Familie durchgeführt, die ausschließlich und unmittelbar der bedürftigen Bevölkerung zugute kamen."
    Die Frage ist allerdings: Ist es überhaupt möglich, in einer Diktatur zu verhindern, dass Hilfsgelder zweckentfremdet werden? Noch dazu in einem Land, in dem offizielle Streitkräfte und Milizen wie die RSF einen derart großen Einfluss haben? Der EU-Sprecher sagt dazu nur: "Die Durchführung der Maßnahmen und damit die Verwendung der EU-Mittel wurde von den genannten Durchführungspartnern und der EU-Delegation im Sudan überwacht."
    Für den Friedens- und Konfliktforscher Gerrit Kurtz, Sudan-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik, spielt zudem nicht nur der finanzielle Aspekt eine Rolle. "Die RSF haben politisch an Einfluss gewonnen durch die EU und ihre Politik der Migrationsabwehr", sagt Kurtz. Zumal die Milizen Migration zwar teilweise verhindert, mit Menschenschmuggel aber zusätzlich Geld verdient hätten.

    Friedens- und Konfliktforscher Gerritz Kurtz sieht vor allem drei Gründe für das Erstarken der Miliz:

    1. Die Rolle der Miliz als Grenzpolizei, die durch die europäische Bekämpfung von Migrationsbewegungen nach 2015 enorm an Bedeutung gewonnen hat.
    2. Die Kontrolle der sudanesischen Goldminen durch die RSF. Gold ist eines der wichtigsten Exportgüter des Sudan.
    3. Der Einsatz von RSF-Einheiten im Ausland – etwa als Söldner für die Vereinigten Arabischen Emirate im Jemen, was sowohl für RSF-Kämpfer als auch RSF-Führung eine lukrative Einnahmequelle war.

    "Die RSF haben in den vergangenen Jahren immer stärker ein wirtschaftliches Netz aufbauen können, das mittlerweile nach Schätzungen die Hälfte der sudanesischen Wirtschaftsleistung ausmacht", sagt Kurtz.

    Im Zusammenhang mit der RSF gibt es auch Vorwürfe gegen Italien und Russland. Worum geht es?

    Ein Bericht von "Africa ExPress" wirft Italien vor, noch 2022 RSF-Kämpfer ausgebildet zu haben. Der Bericht bezieht sich auf ein Video, das RSF-Führer Daglo zeigen soll. Die Ausbildung durch italienische Kräfte habe sehr geholfen, "denn sie ist auf die Bekämpfung von Terrorismus und illegaler Einwanderung spezialisiert", sagt Daglo demnach. "Dank an die Europäische Union und die Europäer im Allgemeinen - wir engagieren uns für sie und im Namen der Welt."
    Ein "CNN"-Bericht soll zudem beweisen, dass die russische Wagner-Gruppe die RSF im aktuellen Konflikt militärisch unterstützt. Der Sudan unterhält bereits seit Längerem Beziehungen zu Russland. General Daglo soll der Wagner-Gruppe die Ausbeutung von Goldminen im Norden des Landes gestattet haben. Und Russland wäre einer der wenigen Akteure, die ein Interesse an einem instabilen Sudan haben könnten - etwa wenn verstärkte Fluchtbewegungen Europa unter Druck setzen.
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    Welche Fehler haben EU und USA insgesamt gemacht?

    Für Gerrit Kurtz spielt vor allem die Reaktion auf den Militärputsch 2021 eine entscheidende Rolle - beziehungsweise "die ausbleibende Reaktion". Zwar hätten EU und USA Hilfen umgelenkt oder eingestellt, die direkt von der Militärregierung kontrolliert worden wären. Doch es sei versäumt worden, andere Sanktionen zu verhängen und direkt Druck auf al-Burhan und Daglo auszuüben.
    "Das fing bereits 2019 an", sagt Kurtz, "nach der Niederschlagung des Protest-Camps in Khartum mit mehr als 120 Toten durch die Sicherheitskräfte." Auch da sei nicht genug Druck ausgeübt worden. "Das mag bei den Militärs zu einem Gefühl beigetragen haben, dass sie damit durchkommen."
    "Sowohl die Streitkräfte als auch die RSF kontrollieren weite Teile der sudanesischen Wirtschaft, haben da auch international finanzielle Verbindungen - da hätte noch viel mehr passieren können und das ist etwas, was man EU und USA vorwerfen kann", sagt Kurtz.
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    Vor Ausbruch der Gewalt hatten die Generäle mit internationalen Vermittlern über eine Eingliederung der RSF in die Armee gesprochen - eine Maßnahme, die den demokratischen Prozess voranbringen sollte. Cameron Hudson, der während der Abspaltung des Südsudan und des Völkermordes in Darfur als Stabschef verschiedener US-Sondergesandter für den Sudan gedient hat, wirft den internationalen Vermittlern bei "CNN" Blauäugigkeit vor. Wer geglaubt habe, dass die Generäle kurz vor einer Einigung gestanden hätten, habe einen schweren Fehler begangen.
    "Die Tatsache, dass [al-Burhan und Daglo] bereit waren, sich so schnell in ein derartiges Ausmaß an Gewalt zu stürzen, sollte niemanden überraschen", sagt Hudson. "Vor allem diejenigen von uns, die schon einmal mit den sudanesischen Streitkräften oder der RSF verhandelt haben, wissen, dass diese Leute schon lange das eine sagen und das andere tun."
    Auch Kholood Khair, Gründungsdirektorin der sudanesischen Denkfabrik Confluence Advisory, kritisiert auf Twitter den Ansatz etwa der USA bei den Vermittlungen. Die Vereinigten Staaten hätten den demokratischen Prozess stillschweigend beendet, indem sie militärische Lösungen unterstützt hätten. Die unabhängige, pro-demokratische Bewegung sei "rundheraus ignoriert" worden.

    Wie können westliche Akteure im aktuellen Konflikt agieren?

    Für Sudan-Experte Kurtz geht es im Kern darum, die zivilen Kräfte im Land zu stärken - und den Generälen Grenzen aufzuzeigen. "Wenn es um Friedensverhandlungen geht, dann dürfen die Vermittler nicht nur mit den Generälen sprechen", sagt Kurtz. Die EU und Deutschland müssten zivile Partner stärken - und von vornherein klar machen: "Die militärischen Kräfte dürfen nicht mehr in der Lage sein, dominierend zu definieren, wie ihre zukünftige Rolle im Sudan sein wird."
    Auch die politische Analystin Kholood Khair betont gegenüber "The Nation": "Dieser Konflikt hat eindeutig gezeigt, dass die Demokratiebewegung die ganze Zeit Recht hatte: Man kann den Generälen nicht trauen - nicht, wenn es darum geht, einen stabilen oder demokratischen Sudan zu schaffen." Die Zivilbewegung werde nicht zulassen, dass einer der Generäle den Sudan unter seine Kontrolle bringen werde. "Vielleicht wird die Welt dieses Mal auf sie hören."

    Sowohl Rapid Support Forces als auch die sudanesischen Streitkräfte haben im Falle eines dauerhaften Friedens mit einer zivilen Regierung zahlreiche "Privilegien" zu verlieren, sagt Sudan-Experte Gerrit Kurtz. "Eine zivile Regierung würde die Kontrolle über den Sicherheitssektor erlangen wollen und sich für eine Entflechtung des Sicherheitssektors von der Wirtschaft einsetzen."

    Für Kurtz kommt es deshalb darauf an, Anreize für RSF und Militär zu setzen, schrittweise auf ihre Privilegien zu verzichten. "Man muss auch sagen, dass die Militärregierung, die es seit 2021 gab, nicht funktioniert hat. Die Generäle hätten dafür zivile Partner gebraucht, aber die haben sie nicht gefunden."

    Sie seien weiter auf Streiks und Demonstrationen gestoßen. Durch den aktuellen Krieg gingen zudem wichtige Partner verloren. "Deswegen bleibt kein anderer Ausweg, als sich zähneknirschend darauf einzulassen, zumindest einen Teil der Macht abzugeben."

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