Türkei-Wahl: Weitere Einschränkung der Frauenrechte?

    Schutz vor Gewalt:Türkei-Wahl: Warum Frauenrechtlerinnen bangen

    ZDF-Korrespondentin Anna Feist zugeschaltet aus Istanbul
    von Anna Feist
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    Bei der Wahl am 14. Mai setzt Präsident Erdogan auch auf die Unterstützung einer Partei, die die Abschaffung eines Gesetzes zum Schutz der Frauen fordert. Viele haben nun Angst.

    Eine Frau mich Kopftuch breitet lachend die Arme aus. Im Hintergrung sind im Anschitt 3 Frauen zu sehen. Zwei von ihnen halten ein Schild und eine Fahne in der Hand.
    Vor zwei Jahren ist die Türkei aus der Istanbul Konvention ausgetreten. Der Staat sieht sich demnach nicht verpflichtet, gegen sexualisierte und häusliche Gewalt vorzugehen.10.05.2023 | 1:32 min
    Eine Narbe, zehn Zentimeter lang zieht sie sich oberhalb der rechten Brust bis zu ihrem Dekolleté, eine zweite Narbe, 15 Zentimeter lang, zieht sich von ihrem rechten Ohr bis zur Stirnmitte und eine dritte Narbe, eine Art großes Zickzack, ziert ihr rechtes Handgelenk. Diese drei Narben sind alles, was Melek aus ihrer Ehe geblieben ist.
    Die 25-jährige Türkin konnte der nicht enden wollenden Gewalt in ihrem eigenen Zuhause entfliehen. Dank eines Paragrafen: das Gesetz 6284. Auf dieser Grundlage konnte Melek sofort mit den Kindern ins Frauenhaus, wurde sofort eine einstweilige Verfügung gegen den Ehemann erlassen, konnte sie sofort die Scheidung einreichen.

    Das Gesetz 6284 hilft Frauen - schnell

    Das Gesetz sei das schärfste Schwert, das die Türkei im Kampf gegen Gewalt an Frauen hat, erklärt die Anwältin Ekim Balatas: "Das 6284-Gesetz ist ein schnell greifendes Werkzeug."
    Anwälte, Staatsanwaltschaft und Polizei würden sehr schnell - nämlich innerhalb von 24 Stunden - eine einstweilige Verfügung durch den Richter erhalten.

    Wir müssen keine Beweise für die Gewalt vorlegen.

    Ekim Balatas, Anwältin

    Türkei aus Istanbul-Konvention ausgetreten

    Das könnte sich nun ändern. Im Wahlkampf haben die neuen Verbündeten von Präsident Recep Tayyip Erdogan ihm das Einverständnis abgerungen, den Paragrafen zu verändern. Sollte Erdogan an die Macht kommen, könnte es düster werden um die Frauenrechte im Land, so die Befürchtung von Frauenrechtlerinnen.
    Vor zwei Jahren erst ist die Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz von Frauen vor Gewalt ausgetreten. Nun könnte das Gesetz 6284 kippen, das bisher schnelle Hilfe versprochen hat. Das würde konkret bedeuten, "dass die Frauen vor verschlossenen Türen stehen", erklärt Anwältin Ekim Balatas.
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    Islamistische Partei will Gesetz aufweichen

    Abdulkadir Yilmaz von der islamistischen Yeni-Refah-Partei, die zu Erdogans Wahlbündnis gehört, sieht es anders. Er plädiert dafür, das Gesetz zu verändern.

    Natürlich wollen wir sicherstellen, dass Frauen und Kinder geschützt werden. Aber ohne, dass dabei die Institution Familie beschädigt wird.

    Abdulkadir Yilmaz, islamistische Yeni-Refah-Partei

    Ihm gehe es darum zu verhindern, dass das Gesetz von Frauen missbräuchlich angewendet werde und so Männer aus der Familie entfernt würden, obwohl sie unschuldig seien. "Im Fall einer Meinungsverschiedenheit wird der Mann aus der Wohnung entfernt. Den Vater aus der Familie zu entfernen, von seinen Kindern zu entfernen, von seiner Frau zu entfernen, damit lösen Sie doch die Meinungsverschiedenheit nicht", argumentiert der Anwalt Yilmaz weiter.
    Deshalb wolle seine Partei genau prüfen, was vorliegt: "Vor dem Gesetz gilt doch, dass jeder unschuldig ist, bis die Schuld bewiesen ist. Wenn Sie behaupten, dass ich mir was zuschulden habe kommen lassen, dann müssen Sie mir das beweisen."

    Missbrauchte Frauen haben keine Zeit

    Doch eine solche Überprüfung dauert. Zeit, die Frauen wie Melek nicht haben. Für sie hätte eine Überprüfung den Tod bedeutet: "Ich will nicht erst beweisen müssen, dass ich misshandelt wurde, bevor was getan wird. Ich möchte, dass sie mich als Frau schützen, ich will, dass meine Stimme gehört wird."
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    Auch Ayşe (Namen geändert) aus Istanbul ist genau so etwas passiert. Die 25-Jährige wird von ihrem Cousin gestalkt. Er wolle sie umbringen, wenn sie nicht seine Liebe erwidere, erzählt sie. Als sie zur Polizei ging und Anzeige erstatten wollte, wimmelte sie der Beamte ab.

    Man hat mich gefragt, ob Gewalt im Spiel ist. Worauf ich dann antwortete, ob man erst getötet werden muss, damit Auflagen greifen.

    Ayşe

    An diesem Tag stellte Ayşe keine Anzeige, aber aufgeben wollte sie auch nicht und kam schließlich zu dem Frauenverein, für den Ekim Balatas arbeitet. Die Anwältin will nun für Ayşe auf Basis des Gesetzes 6284 eine einstweilige Verfügung gegen den Stalker erwirken - so schnell wie möglich.

    Zurück zur Istanbul-Konvention oder Einschränkung der Frauenrechte?

    Denn schon am Sonntag wird in der Türkei der neue Präsident gewählt. Für Ayşe geht es deshalb bei der Wahl nicht nur um den Präsidenten, sondern vor allem um ihren persönlichen Schutz:

    Sollte Erdogan gewinnen, haben wir Angst. Denn jede von uns könnte betroffen sein. Wir hoffen auf Kilicdaroglu, darauf, dass er zu uns Frauen steht.

    Ayşe

    Erdogans Herausforderer Kemal Kilicdaroglu, der Vorsitzende der CHP, hatte bereits letztes Jahr angekündigt: Sollte er gewinnen, werde er die Istanbul-Konvention umgehend wieder einführen. Doch bis dahin bangen viele betroffene Frauen um ihren Schutz.

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