Erdoğan oder Kılıçdaroğlu: Zwei Szenarien für die Türkei

    Erdoğan oder Kılıçdaroğlu:Stichwahl: Zwei Szenarien für die Türkei

    Narin Sevin Dogan
    von Narîn Şevîn Doğan, Istanbul
    |

    Bei der Türkei-Wahl konnte bisher kein Kandidat eindeutig mit einer Mehrheit gewinnen. Deshalb sieht es bisher nach einer Stichwahl am 28. Mai aus. Wie würde es danach weitergehen?

    Menschen laufen unter einem Plakat des türkischen Präsidentschaftskandidaten Kilicdaroglu.
    Die Präsidentschaftswahl in der Türkei geht in die zweite Runde: Es wird eine Stichwahl zwischen dem amtierenden Präsidenten Erdogan und seinem Herausforderer Kilicdaroglu geben.15.05.2023 | 1:42 min
    Der neue Präsident der Türkei steht noch nicht endgültig fest. Bisher sieht es nach einer Stichwahl aus. Recep Tayyip Erdoğan ist erneut für die AKP angetreten. Er regiert seit mehr als 20 Jahren und hat das Land in autokratische Strukturen geführt. Sein Herausforderer Kemal Kılıçdaroğlu wollte seine Ära beenden und für die Demokratie in der Türkei kämpfen. Das knappe Rennen konnte aber erstmal keiner der beiden Kandidaten eindeutig für sich entscheiden.
    Beide Seiten hatten relativ schnell den Sieg für sich beansprucht, doch die Zahlen haben das bisher für keine Seite bestätigt.

    Ich möchte es noch einmal betonen: Die Tatsache, dass die Wahlergebnisse noch nicht endgültig feststehen, ändert nichts an der Tatsache, dass die Wahl unserer Nation eindeutig zu unseren Gunsten ausgefallen ist.

    Recep Tayyip Erdoğan

    Wahlen werden nicht auf dem Balkon gewonnen. Die Wahldaten kommen noch immer rein. Wenn sich unser Land für eine Stichwahl entscheidet, dann zu unseren Gunsten. Wir werden diese Wahl auf jeden Fall in der zweiten Runde gewinnen. Das wird jeder sehen.

    Kemal Kılıçdaroğlu

    In den kommenden Tagen werden die endgültigen Zahlen feststehen. Sollten beide Kandidaten weiterhin unter 50 Prozent der Stimmen bleiben, werden in zwei Wochen, am 28. Mai, Stichwahlen abgehalten.
    ZDF-Korrespondent Jörg Brase berichtet über die Wahlen in der Türkei.
    Der amtierende Präsident Erdogan hat die absolute Mehrheit knapp verfehlt. In zwei Wochen wird es zu einer Stichwahl kommen. Eine Einschätzung von ZDF-Korrespondent Jörg Brase.15.05.2023 | 1:32 min

    Kılıçdaroğlu fordert Erdoğan heraus

    Ein Oppositionsbündnis aus sechs Parteien unter der Führung von Kemal Kılıçdaroğlu hat sich formiert mit dem einen Ziel, Erdoğan vom Thron zu stoßen. Denn viele Menschen im Land wollen nach Jahren der Erdogan-Regierung einen neuen Weg einschlagen. Kılıçdaroğlu verspricht, das Land zur Demokratie zu führen. Die Justiz soll unter ihm unabhängig und die Pressefreiheit gewährleistet werden.
    Gleichzeitig hat Erdoğan immer noch viele Anhänger*innen in der Bevölkerung. Die sehen die Schuld der Wirtschaftsprobleme und des fehlerhaften Krisenmanagements des Erdbebens nicht bei ihrem Präsidenten Erdoğan und feiern seine Großprojekte, die er seit Jahren umsetzt. Besonders in konservativen Wahlkreisen ist er beliebt.
    Prof. Ece Göztepe Celebi mit Christian Sivers
    "Laut Berichten gibt es ungefähr bei dreißigtausend Wahlurnen Einsprüche von Seiten der AKP". So erklärt Prof. Ece Göztepe Çelebi die unterschiedlichen Angaben zum Wahlergebnis.14.05.2023 | 2:45 min

    Was passiert, wenn Erdogan gewinnt

    Seine Kritiker*innen fürchten, dass der Präsident nach seiner Wiederwahl noch autoritärer regieren und seine Gegner verfolgen wird. Seine ultra-nationalistischen und islamistischen Bündnispartner hatten das im Wahlkampf angedroht.
    International werden sich bestehende Tendenzen verschärfen. Erdoğan hatte sich mit Angriffen auf die Nato zwar zurückgehalten. Doch die Beziehungen zu den USA verschlechtern sich weiter. Noch kurz vor der Wahl findet Erdoğan klare Worte gegen US-Präsidenten Joe Biden, dem er eine gute Beziehung zum Gegenkandidaten Kemal Kılıçdaroğlu vorwarf. Mit seiner Wiederwahl wird Ankara sich voraussichtlich weiter an Moskau annähern. Bereits jetzt ist Erdoğan einer der wichtigsten Verbündeten von Wladimir Putin.
    Damit er die Wahl erneut gewinnen kann, machte Erdoğan zuletzt teure Wahlversprechen: Er will Renten und Löhne jährlich über das Inflationsniveau anheben. Die Inflationsrate liegt im Moment bei über 50 Prozent, die will er wieder in den einstelligen Bereich absenken.
    Nordrhein-Westfalen, Duisburg: Hunderte Anhänger des amtierenden türkischen Präsidenten Erdogan laufen in Duisburg mit Flaggen über eine Straße.
    Deutsche Türkinnen und Türken durften ihre Stimme bei der Präsidentschaftswahl in der Türkei abgeben. Auch hierzulande fallen die Meinungen über die Kandidaten gemischt aus.15.05.2023 | 1:09 min

    Was passiert, wenn Kılıçdaroğlu Präsident wird

    Kemal Kılıçdaroğlu ist im Wahlkampf als Anti-Erdoğan in Erscheinung getreten. Er hatte mit Verhandlungsgeschick ein Oppositionsbündnis aus sechs Parteien geschmiedet und wurde von der drittstärksten Partei HDP indirekt als Präsidentschaftskandidat unterstützt. Die HDP wird mehrheitlich von Kurdinnen und Kurden gewählt und steckt immer noch in einem Parteiverbotsverfahren.
    Im Wahlkampf gegen Erdoğan versprach er bei seinem Sieg, die Türkei wieder Richtung Demokratie zu bewegen. Das Präsidialsystem, das Erdoğan eingeführt und ihm eine starke Position gesichert hatte, will Kılıçdaroğlu wieder aufheben und stattdessen das Parlament und das Volk stärken:

    Wir alle haben die Demokratie vermisst. So Gott will, wird der Frühling in dieses Land kommen.

    Kemal Kılıçdaroğlu

    Er hat versprochen, politische Gefangene freizulassen und die europäischen Menschenrechtsstandards wieder einzuhalten.
    Wenn Kemal Kılıçdaroğlu bei den Stichwahlen gewinnt, werden westliche Staaten aufatmen. Denn er gilt als Freund der Nato und der EU. Während Erdoğan in den vergangenen Jahren immer mehr als Populist und Autokrat gesehen wurde, versteht sich Kılıçdaroğlu als besonnener Demokrat. Er kündigte im Wahlkampf an, er wolle westliche Sanktionen gegen Russland einhalten, aber gleichzeitig russische Investitionen in der Türkei aufrechterhalten.
    xyz
    Die Wahl könnte knapp ausgehen - droht Manipulation? Ein Wahlbeobachter und die ehemalige politische Gefangene Meşale Tolu über die türkische Schicksalswahl bei ZDFheute live.12.05.2023 | 29:32 min

    Stichwahl am 28. Mai

    Da beim ersten Wahlgang wohl keiner der beiden Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen für sich entscheiden wird, findet in zwei Wochen, am 28. Mai, eine Stichwahl zwischen CHP-Kandidat Kemal Kılıçdaroğlu und AKP-Kandidat Recep Tayyip Erdoğan statt.
    Denn nur die zwei stimmenstärksten Kandidaten treten dann nochmal gegeneinander an und müssen um die fünf Prozent der Wähler*innen kämpfen, die sich im ersten Wahlgang für den dritten Kandidaten Sinan Oğan entschieden haben. Der Kandidat, der eine einfache Mehrheit bekommt, wird der neue Präsident der Türkei.

    Mehr zur Wahl in der Türkei