Türkei: "Keine Chancengleichheit im Wahlkampf"

    Interview

    Wahlbeobachter in der Türkei:Link: "Keine Chancengleichheit im Wahlkampf"

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    Stichwahl in der Türkei zwischen Amtsinhaber Erdogan und seinem Herausforderer Kilicdaroglu: Doch wie fair waren die Wahlen bisher? Wahlbeobachter Link gibt Antworten im ZDF.

    SGS mit Michael Link in Ankara
    Sehen Sie hier das Interview mit Michael Link in voller Länge.15.05.2023 | 3:31 min
    Inzwischen steht es fest: Die Präsidentenwahl in der Türkei geht in eine zweite Runde. Am 28. Mai treten in der ersten Stichwahl in der Geschichte des Landes der islamisch-konservative Amtsinhaber Recep Tayyip Erdogan und sein säkularer Herausforderer Kemal Kilicdaroglu gegeneinander an. In der ersten Wahlrunde am Sonntag hatte keiner der beiden Kandidaten die nötige Mehrheit erhalten.
    Im Vorfeld wurden aber auch häufiger Bedenken über die Fairness der Wahlen in der Türkei geäußert. Im ZDF ordnet der Leiter der OSZE-Wahlbeobachterkommission Michael Link den Ablauf der Türkei-Wahlen ein.

    Michael Link war bereits bei mehreren Wahlen Leiter der OSZE-Wahlbeobachtungskommission, zum Beispiel bei...
    • dem Verfassungsreferendum in der Türkei im April 2017
    • der Präsidentschaftswahl in Russland im März 2018
    • den Präsidentschaftswahlen 2020 in den USA
    Er ist außerdem Europapolitischer Sprecher der FDP in der Bundestagsfraktion.

    Unterstützer Erdogans mit Flaggen und Plakaten bei der Türkeiwahl am 15.05.2023 in Ankara
    Amtsinhaber Erdoğan liegt bei der Wahl in der Türkei vor Herausforderer Kılıçdaroğlu. Die Wähler des ausgeschiedenen Kandidaten Oğan könnten die Stichwahl am 28. Mai entscheiden.15.05.2023 | 2:27 min
    Das sagt Michael Link über...

    ... die Fairness der Wahlen in der Türkei:

    Die Beobachtungsmission von Michael Link habe keine Fälschung bei der Auszählung festgestellt, aber:

    Was wir gesehen haben, war ein Wahlkampf, bei dem es in der Tat keine Chancengleichheit gab.

    Michael Link, Leiter der OSZE-Wahlbeobachtungsmission

    Dies sei dadurch bedingt, dass viele Journalisten inhaftiert waren, "vor allem aber auch, dass der Amtsinhaber Präsident Erdogan im öffentlichen Fernsehen Dauergast war, während Kilicdaroglu so gut wie nie zu sehen war – und wenn dann negativ."
    Alle Entwicklungen rund um die Wahlen in der Türkei finden Sie auch in unserem Liveblog:

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    :Erdogan erneut zum Präsidenten gewählt

    Seit 20 Jahren an der Macht: Amtsinhaber Erdogan hat die Stichwahl in der Türkei gewonnen und bleibt weiter Staatspräsident. Alles rund um die Wahl im Liveticker.
    Erdogan hält eine Rede in der Türkei.
    Liveblog

    ... die Frage, wie man sicherstellen könne, dass die Stichwahlen korrekt laufen:

    Instrumente, mit denen man eingreifen könne, habe man nicht, erklärt Link. "Aber unser Bericht und die Stärke unseres Berichts ist eben, dass wir auf die Probleme hinweisen." Dieser Bericht spiele insofern trotzdem eine Rolle, weil für viele Türkinnen und Türken der demokratische Wahlprozess wichtig sei.

    Es gibt hier in der Türkei ein tiefverwurzeltes demokratisches Gefühl, es gibt ein Gefühl, diese Demokratie auch wirklich zu leben.

    Michael Link, Leiter der OSZE-Wahlbeobachtungsmission

    "Und wenn sie das Gefühl haben, dass betrogen wird, wenn sie das Gefühl haben, dass vielleicht nicht falsch ausgezählt, aber es eben keine Chancengleichheit gibt", dann könne das auch dazu führen, dass manche der Wähler sich nochmal anders entscheiden, sagt Link.
    Dieses demokratische Gefühl sei etwas, was die Türkei laut Link auch von anderen Staaten wie beispielsweise Russland oder Belarus unterscheide.
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    Professor Hüseyin Bağcı erklärt: Präsident Erdoğan habe seine Wähler bisher mit seiner Rhetorik und seinem Auftreten beeindruckt. Für ihn sei es nun schwieriger.15.05.2023 | 3:45 min

    ... die Frage, ob demokratische Wahlen jetzt nur noch anerkannt würden, wenn sie für einen persönlich positiv verliefen:

    "Ja, das ist ein Phänomen, was wir zwar nicht neu haben, aber derzeit sehr deutlich haben." Vor allem aber habe man Misstrauen in die Integrität des Wahlsystems. Deshalb sei es besonders wichtig, dass Wahlen transparent sind und da sei die türkischen Wahlkommission "nicht gerade ein Musterbeispiel an Transparenz", sagt Link.
    Das Interview führte ZDF-Moderator Christian Sievers im heute journal.
    Quelle: ZDF, mit Material von AFP

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