Vor der Kadernominierung: Ein Haufen von Luxusproblemen

Natürlich ist alles schon minutiös im Detail geplant: Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) zieht in die Hauptstadt, wenn in der kommenden Woche der Kader der deutschen Nationalmannschaft für die Heim-EM (14. Juni bis 14. Juli) benannt wird. In einer Berliner Lokalität des Automobilpartners, direkt an der Prachtstraße Unter den Linden, lüftet Julian Nagelsmann am nächsten Donnerstag das Geheimnis.

Eigentlich schien nach den März-Länderspielen gegen Frankreich (2:0) und die Niederlande (2:1) klar, dass der Bundestrainer mit seiner Radikalkur der personellen Neuausrichtung richtig liegt. Doch die Champions League hat neue Fragen aufgeworfen: Kann ein Mats Hummels außen vor bleiben, der in den Halbfinals gegen Paris St. Germain nicht nur mitgeholfen hat, dass Wunderstürmer Kylian Mbappé torlos blieb, sondern im Rückspiel selbst das entscheidende Tor zum Finaleinzug köpfte?

Kann dafür Robin Koch im Aufgebot stehen, der bei Eintracht Frankfurt seit Wochen im Formloch hängt und kürzlich einen Elfmeter verursachte, weil er einen Mitspieler aus der Nationalmannschaft mit dem Ellbogen im Gesicht traf (Thomas Müller)? Niemand bestreitet ja, dass Jonathan Tah (Bayer Leverkusen) und Antonio Rüdiger (Real Madrid) in der Abwehrzentrale gesetzt sind, aber es braucht auf dieser neuralgischen Position wegen möglicher Sperren oder Ausfälle einen verlässlichen Backup.

Nagelsmann hat dafür neben Koch auch Waldemar Anton (VfB Stuttgart) auserkoren, der ebenso wie der unsichere Kantonist Koch kaum internationale Erfahrung hat. Im Gegenzug haben Hummels und Nico Schlotterbeck in der Königsklasse beste Eigenwerbung betrieben. Natürlich träumt Weltmeister Hummels von einer EM-Nominierung, aber der 35-Jährige war so klug, bloß über den elf Jahre jüngeren Kollegen Schlotterbeck zu reden: "Wenn er am Ende mitfährt, freue ich mich fast genauso, wie wenn ich mitfahre. Deutschland wird an ihm noch viele Jahre sehr viel Freude haben."

Bei der WM 2022 in Katar war der Aufsteiger mit dem markanten Seitenscheitel und dem großen Selbstbewusstsein indes keine Hilfe, weil der Novize gleich beim WM-Auftaktspiel gegen Japan (1:2) patzte. Über seine Aussetzer hatte Hansi Flick damals zu lange hinweggesehen. Ist Schlotterbeck jetzt gereift? Und würde Hummels wirklich seine Rolle als Ersatzspieler annehmen? Nagelsmann hat die oberste Prämisse so formuliert:

Für den Bundestrainer sind die Erfolge im Europapokal - Champions-League-Endspiel mit Borussia Dortmund gegen Real Madrid (1. Juni in London) und Europa-League-Finale mit Bayer Leverkusen gegen Atalanta Bergamo (22. Mai in Dublin) - Fluch und Segen zugleich. Das erste Trainingslager im Weimarer Land (26. Mai bis 31. Mai) muss ohne Stammspieler wie Toni Kroos und Antonio Rüdiger (Real) oder Niclas Füllkrug (BVB) bestritten werden.

Und Akteure wie der aktuell angeschlagene Florian Wirtz und Robert Andrich werden wegen der Leverkusener Endspielhatz - am 25. Mai folgt als Saisonabschluss noch das DFB-Pokalfinale in Berlin - nicht am ersten Tag in Thüringen auf der Matte stehen. Einerseits ist es natürlich so, dass gewonnene Titel Selbstvertrauen stiften. Aber andererseits ist die mentale Beanspruchung nicht zu unterschätzen.

Nagelsmann hat einen Masterplan ausgeheckt, der feste Unterscheidungen in Stammspieler und Reservisten vorsieht. Deshalb rauschte auch Leon Goretzka bei den letzten Maßnahmen durchs Rüttelsieb. Den zu selten überzeugenden Mittelfeldspieler genau wie den oft verletzten Serge Gnabry nicht zu nominieren, wäre mit Verweis auf die titellose Saison in München noch eher zu verstehen.

Die Europäische Fußball-Union (Uefa) erlaubt nach langem Zögern die Nominierung von 26 Akteuren, wovon der Bundestrainer ("Ich bin generell eher bei 23") eigentlich kein Freund ist. Aber die vielen Unwägbarkeiten werden den 36-Jährigen vielleicht zum Umdenken bewegen. Ausführliche Gedanken wird sich Nagelsmann machen - ein Bundesligaspiel will er am Wochenende angeblich nicht besuchen.