Public Viewing in Katar: Die andere Fanzone

    Public Viewing mit Gastarbeitern:Die andere Fanzone am Rande von Doha

    von Frank Hellmann, Doha
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    Abertausende der Gastarbeiter strömen täglich in ein Cricket-Stadion in Asian Town von Doha, um die WM zu verfolgen. Sie sind abgelenkt vom beschwerlichen Alltag.

    Fans beim Public Viewing in Katar
    WM-Fans beim Public Viewing in Doha
    Quelle: ZDF/Frank Hellmann

    Der Mann mit der Mütze scheint die Blicke in seinem Rücken zu spüren, obwohl er die ganze Zeit vorne auf die große Leinwand schaut. Dort läuft das Achtelfinale Brasilien gegen Südkorea, längst steht es 4:0, und er will eigentlich keinen Moment verpassen. Er fällt ja auf, weil er eine gestreifte Kopfbedeckung trägt. Und ein eigenwilliges Messi-Trikot. Er hält aus Überzeugung zu Argentinien, zu den Erzrivalen von Brasilien. Vielleicht steht er deshalb so verloren da.

    Messi-Fan inmitten von Brasilianern

    Er stellt sich vor. Ahmed, 25 Jahre, aus Pakistan. Einer von rund 1,7 Millionen Gastarbeitern, die in Katar alles am Laufen halten. Männer aus Bangladesch, Nepal, Pakistan, Sri Lanka oder Indien, die in der Fanzone Industrial Area am Rande von Doha fast unter sich sind.
    Fans beim Public Viewing in Katar
    Argentinien-Fan Ahmed beim Public Viewing in Doha
    Quelle: ZDF/Frank Hellmann

    Dieser Sammelpunkt der viel beschriebenen Arbeitsmigranten ist der größtmögliche Gegensatz zur Glitzerwelt, die die meisten WM-Touristen zu sehen bekommen. Ahmed sagt, er sei glücklich, seit drei Jahren in Katar arbeiten zu können. Er arbeite als Fahrer, das meiste von seinem Geld, umgerechnet 500 Euro im Monat, schickt er seiner Familie.

    Public Viewing ohne Luxus

    Etwa 20.000 Menschen beschränken sich auch hier beim Public Viewing in jeder Hinsicht auf das Nötigste. Die meisten hocken auf dem heruntergetrampelten Gras oder blanken Steinen. Viele ziehen ihre heruntergelaufenen Sandalen aus und setzen sich darauf. Es gibt nur wenige Verpflegungsstände.
    Eine Bretterbude steht verloren in der Ecke. Die Fanta oder Cola kostet fünf Riyal, umgerechnet 1,30 Euro, ein Drittel vom Preis in den meisten Restaurants. Die Verkäufer stehen sich trotzdem die Füße in den Bauch, was sie aber nicht ärgert, weil sie so ungestört mitschauen können.

    Das Geld wiegt nicht die Toten auf

    Nach Angaben der Weltbank haben die Überweisungen der Gastarbeiter nach Südostasien 2021 insgesamt rund 150 Milliarden Euro betragen. Das meiste kam aus Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten, aber der Anteil Katars wächst.
    Gert Scobel
    Ist die WM in Katar unmoralisch? Gert Scobel zum Fußball-Turnier im Wüstenstaat.17.11.2022 | 19:13 min
    Natürlich wiegt Geld niemals die Toten auf, über die im Vorlauf viel gesprochen worden ist. Während des Turniers hat der Chef des Organisationskomitees fast nebenbei die Zahl genannt, die auf den WM-Baustellen ums Leben gekommen sind. Zwischen 400 und 500 Personen, sagte Hassan Al-Thawadi, hätten die Schufterei für die bald schon nicht mehr benötigten Stadien bei mitunter unmenschlichen Bedingungen mit dem Leben bezahlt.
    Kurz danach korrigierte ihn das Komitee: Die Aussage von Al-Thawadi beziehe sich auf nationale Statistiken für alle arbeitsbedingten Todesfälle in Katar. 414 seien es für alle Branchen und Nationalitäten im Zeitraum von 2014 bis 2020 gewesen. Auf den Stadion- und anderen WM-Baustellen habe es lediglich drei arbeitsbedingte und 37 nicht arbeitsbedingte Todesfälle gegeben. Wie verlässlich diese Angaben sind, ist fast so unmöglich herauszufinden wie die Gefühle der Arbeitsmigranten beim Fußballgucken zu deuten.

    Genügsamkeit prägt das Bild

    Der englische Ton ist laut. Angeregt oder gar aufgeregt unterhalten sich die wenigsten. Was denken sie? Und wie geht es ihnen? Nachfrage bei einem Trio, die leicht als Brasilien-Fans auszumachen sind. Sie tragen dieselben bunten Perücken und alle ein Neymar-Trikot. Makhan reicht sofort die Hand. Er ist 28 Jahre alt und mit zwei Kumpels da. Er arbeitet seit zwei Jahren als Elektriker. Auf Katar lässt er nichts kommen.

    Es ist viel besser als in Sri Lanka.

    Gastarbeiter Makhan

    Dann zählt er Plätze auf, die ihm gefallen: Corniche, Al Bidda-Park oder Souq Waqif. Und er sagt: "Katar is beautiful." Von ihrer Unterkunft, das ist später herauszuhören, würden sie das vielleicht nicht behaupten, aber das tue jetzt nichts zu Sache. Sie machen gerade keinen unglücklichen Eindruck. Einfache Genügsamkeit scheint vorzuherrschen, dabei sein zu können.

    Die "größte Show auf Erden"

    Eigentlich müsste auch Gianni Infantino sich mal in der puristischen Fanzone blicken lassen. Der FIFA-Präsident müsste wohl nur sein weißes Hemd gegen eines der nachgemachten Trikots von Messi oder Neymar eintauschen, dann würden ihm einige wohl auf die Schulter klopfen. Das hat er doch so gerne bei seiner "biggest show on earth", die in Katar noch bis übernächsten Sonntag läuft.
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