Fußball-WM 2022: Erster schwuler Katarer über sein Outing

    Interview

    Erster offen schwuler Katarer:"Ein WM-Boykott macht keinen Sinn"

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    Nas Mohamed aus Katar hat öffentlich gemacht, schwul zu sein. Hier spricht er über die Lage von queeren Menschen im WM-Gastgeberland Katar und was ein WM-Boykott bedeuten würde.

    Nas Mohamed - Erster offene schwule Katarer
    Sein Heimatland Katar musste Nas Mohamed wegen seiner Homosexualität verlassen.
    Quelle: privat

    ZDFheute: Der WM-Botschafter von Katar und frühere Fußball-Nationalspieler Khalid Salman hat in einem ZDF-Interview Homosexualität als "geistigen Schaden" bezeichnet. Wie haben Sie auf die Aussagen reagiert?
    Nas Mohamed: Ich war davon nicht überrascht – die Aussage ist schrecklich. Aber, um ehrlich zu sein, war ich eher etwas enttäuscht von der Reaktion der Menschen. Das Video ist überall viral gegangen. Dabei ist es eine Aussage, die Beweisen entgegensteht, die die Willkürlichkeit von Verhaftungen und Misshandlungen gegenüber Homosexuellen beweisen. Beispielsweise hat sich die Welt auch nicht für den aktuellen Bericht von Human Rights Watch dazu interessiert. Was auch immer Sie während der Weltmeisterschaft sehen, es ist eine Show.

    Nas Mohamed - Erster offene schwule Katarer
    Quelle: privat

    ... hat sich im Mai 2022 öffentlich geoutet - damit ist er der erste Katarer. Der 35-Jährige zog 2011 in die USA und erhielt nach Visumsende 2017 Asyl in San Francisco. Er gründete die erste gemeinnützige LGBT-Organisation in der Golfregion.

    ZDFheute: Sie haben sich im Mai dieses Jahres öffentlich geoutet - als erster Mensch aus Katar. Was hat Sie dazu gebracht, diesen Schritt zu gehen?
    Mohamed: Ich fühlte, dass ich aus der Realität entglitt, jeder weitere Tag hat mich zerfressen. Ich hatte Angst und es gab keinen Weg, die Gesellschaft davon zu überzeugen, dass ich anders bin und in Sicherheit sein muss. Einige meiner Freunde wurden in Online-Chats von getarnten Polizisten hereingelegt – danach verhört. Zeitgleich waren wir besorgt, dass unsere Familien und Freunde etwas herausfinden würden.
    Ich brauchte einen Ausweg. Mein Glück war, dass ich mit 19 Jahren zur medizinischen Fakultät in die USA gehen und einen Job bekommen konnte. Als ich merkte, wie das Leben in Freiheit sein kann, beantragte ich Asyl und lebe nun seit elf Jahren von meiner Familie getrennt.
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    ZDFheute: Wie hat Ihre Familie auf Ihre Entscheidung reagiert?
    Mohamed: Wir haben seither keinen Kontakt mehr. Ich weiß nicht, was mit ihnen passiert ist – auch wenn ich wünschte, ich wüsste, wie es ihnen geht.
    ZDFheute: Denken Sie, dass die WM-Vergabe nach Katar auch einen positiven Effekt darauf haben kann, wie sich die Menschenrechtslage in Ihrer Heimat entwickelt?
    Mohamed: Ich will der WM nicht die Lorbeeren für positive Veränderungen zusprechen. Ich will Menschen auf der ganzen Welt Anerkennung schenken, die sich zusammengetan und gegen die Gräueltaten gekämpft haben. Menschen sind diejenigen, die kämpfen, nicht die Regierung oder die Veranstalter. Ich sehe die WM eher als Startschuss, uns unsere Menschenrechte wieder zu holen.
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    ZDFheute: Von Katars Premier erhielt Bundesinnenministerin Nancy Faeser zuletzt eine "Sicherheitsgarantie" für LGBT-Personen während der WM. Human Rights Watch äußert sich skeptisch und mahnt zu Vorsicht. Was würden Sie Schwulen raten?
    Mohamed: Ich persönlich würde auch davon abraten. Es ist es nicht wert, vielleicht für ein Statement verletzt zu werden. Physische Demonstrationen in einer nicht autorisierten Regierungsstruktur ändern nichts - Katar ist keine Demokratie. Dass du nicht glücklich bist, ist ihnen egal. Sichtbarkeit ist wichtig, ja - unsere Rechte sind weltweite Menschenrechte, die nicht kontrolliert oder außer Kraft gesetzt werden können. Wenn du nur die WM besuchst und nach Hause gehst - dann lass es. Wenn es dich nach der WM noch interessiert, komm bitte.
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    ZDFheute: Die weltweite Fußball-Community streitet sich derweil darüber, ob sie die WM-Spiele boykottieren sollte oder nicht.
    Mohamed: Ich wünschte, diese Debatte wäre vor zwei oder vier Jahren entstanden - so dass die FIFA wirklich Druck bekommen hätte. Ein Boykott hätte zum damaligen Zeitpunkt einen wirtschaftlichen Einfluss gehabt und vielleicht einige Gesetze gelockert. Aber jetzt macht ein WM-Boykott keinen Sinn, da Katar dadurch keinen Schaden davon tragen wird. Den Luxus, einfach wegzuschauen, haben wir als Queer-Community nicht. Wir müssen uns engagieren und Teil der Lösung sein.

    "Ich habe keine Angst mehr."

    Nas Mohamed

    ZDFheute: Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was mit Ihnen passiert wäre, wenn Sie ihre Heimat nie verlassen hätten?
    Mohamed: Das habe ich. Ich kenne auch jemanden, der geblieben ist. Es gibt Vor- und Nachteile zu unseren Entscheidungen. Diese Person ist zu Hause bei ihrer Familie. Ich bin abwesend. Aber ich bin ich und glücklich - und ich habe keine Angst mehr. Ich mache mir manchmal ein wenig Sorgen um meine Sicherheit, aber es ist nicht die gleiche Angst, die ich damals hatte. Ich wäre eine Version, die sich versucht, anzupassen, aber dann wäre ich nicht ich selbst.
    ZDFheute: Fußball-Nationalspieler wie Leon Goretzka haben angekündigt, Zeichen zu setzen. Was wünschen Sie sich von den Spielern?
    Mohamed: Ich hatte gehofft, dass die FIFA, das Team und die Spieler bereits vor dem Event mehr Statements abgeben würden. Mir hat aber wirklich gefallen, was das australische Team gemacht hat. Die Spieler forderten Katar in einer Videobotschaft dazu auf, die gleichgeschlechtliche Ehe zu legalisieren.
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    Ich denke, das war wirklich stark und effektiv. Und es zeigte, was Katar zu vertuschen versucht. Die Wahrheit ist aber auch: Wenn die Nationen das Land wieder verlassen, liegt es an uns, die Aufmerksamkeit weiter aufrecht zu erhalten.
    Das Interview führte Marie-Julie May.
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