Argentiniens Lionel Messi und der Genussfaktor

    Argentiniens Star vor WM-Finale:Lionel Messi und der Genussfaktor

    von Frank Hellmann
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    Argentinien präsentiert sich im Halbfinale gegen Kroatien in weltmeisterlicher Form. Nie hatte Messi mehr Lust im himmelblauen Trikot als bei dieser WM - seiner wohl letzten.

    Lionel Messi am 13.12.2022
    War wohl nie besser im Trikot der Albiceleste: Lionel Messi.
    Quelle: AP

    Sie bildeten auf dem Rasen eine lange Reihe, die irgendwann einfach dasselbe tat wie die Menschen auf den Rängen. Enthemmt springen und singen. Es war schon weit nach Mitternacht, als der goldene WM-Tempel Lusail sich erneut in einen himmelblauen Schauplatz überbordender Freude verwandelte.
    Nach der 3:0-Gala im WM-Halbfinale gegen Kroatien schmettterte Lionel Messi neben seinen Vertrauten Nicolas Tagliafico und Rodrigo de Paul wieder das von einem Fan erfundene Lied, das bei diesem Turnier alle verbindet und von "Diego y Lionel", also Diego Maradona und Lionel Messi, handelt.

    Trainer Scaloni weint vor Rührung

    Wie die vor zwei Jahren verstorbene Legende 1986 den Goldpokal im Aztekenstadion in Mexiko City küsste, will es ihm die lebende Ikone Messi am Sonntag nachmachen, im Lusail-Stadion von Doha, das mit jedem Auftritt Argentiniens mehr ans legendäre Bombonera-Stadion in Buenos Aires erinnert.
    Als Trainer Lionel Scaloni seinen Weltstar nach dem Sieg gegen Kroatien umarmte, flossen beim 44-Jährigen Tränen der Rührung. Erst dieser Fußballlehrer schafft es, dass die Symbiose mit Messi und dieser Mannschaft goldene Früchte trägt. Der Genius hat sein spätes Glück gefunden.
    Als der 35-Jährige noch im heiligen Trikot mit der Nummer zehn direkt nach seinem 171. Länderspiel (und 96. Tor) aufs Podium der Pressekonferenz kletterte, sagte er, was jeder der fast 89.000 entzückten Augenzeugen gesehen hatte:

    Ich fühle mich sehr gut, ich fühle mich stark für jedes Spiel. Ich bin glücklich, dass ich meiner Mannschaft helfen kann.

    Lionel Messi

    Der Genussfaktor ist es, der den Unterschied macht.

    Der erste Titel, der alles verändert

    Derselbe Messi war bei der WM 2018 nach einer 0:3-Pleite gegen den späteren Vizeweltmeister Kroatien nach dem zweiten Gruppenspiel mit schlaffen Schultern vom Platz geschlurft und die Abgesänge auf einen Einzelgänger, der aus der Zeit gefallen schien, gingen um den Planeten. Wo ist der Zaubertrank, in den der Zauberfuß gefallen ist?
    Viele verorten ihn just in Brasilien, wo mitten in der Corona-Pandemie in einer langen Phase der Isolation ein neuer Geist entstand. Messis ersehnter erster Titel im vergangenen Jahr mit der "Albiceleste" bei der Copa America, als Argentinien Gastgeber und Erzrivale Brasilien im Finale besiegte, hat vieles, wenn nicht alles verändert. Der Sieg im menschenleeren Maracanã war das eine, die Ansprache Messis vor dem Anpfiff gegen die Seleção das andere. Seine leidenschaftlichen Worte im Kreise der Kollegen sind südamerikanische Zeitgeschichte.

    Wohl Messis letzte WM

    Der Anführer erklärte nun erstmals, dass sich mit dieser Weltmeisterschaft ein Kreis schließt – und er im Grunde ausschließt, mit fast 40 noch die WM 2026 in USA, Kanada und Mexiko zu spielen. "Ich bin sehr glücklich, meine Reisen zu WM-Turnieren mit meinem letzten Spiel in einem Finale zu beenden", so Messi:

    Bis zur nächsten WM sind es viele Jahre, und ich glaube nicht, dass ich es bis dahin schaffe. Und es so zu Ende zu bringen, ist das Beste.

    Lionel Messi

    In Katar hat wohl nichts Besseres passieren können, als das Auftaktspiel gegen den Außenseiter Saudi-Arabien (1:2) zu verlieren. Der Schuss vor den Bug schärfte bei allen die Sinne. "Das erste Spiel war ein harter Schlag für uns, so in eine WM zu starten. Aber diese Mannschaft hat bewiesen, wie stark sie ist“, erklärte Kapitän Messi. Man habe danach "fünf Finals" gespielt und gewonnen. "Ich hoffe, dass das im letzten Spiel auch so ist. Wir wissen, wozu wir imstande sind."
    Denn verschmelzen nicht gerade Himmel und Erde, Maradona und Messi miteinander? Maradonas Alleingang zum Jahrhunderttor 1986 gegen England war, weil er in der eigenen Hälfte loslief und selbst vollendete, noch atemberaubender als Messis Solo gegen Kroatien, aber in Anbetracht seines Alters nicht minder sagenhaft. Der überragende Julian Alvarez, der nach Messis Vorlage mit einem famosen Sturmlauf bereits das 2:0 (39.) erzielt hatte, musste nur noch den Fuß zum 3:0 (69.) hinzuhalten.
    Auch der hochtalentierte 22-Jährige scheint von seinem erneut per Elfmeter (34.) erfolgreichen Anführer inspiriert, der im himmelblauen Nationaldress wohl nie besser funktionierte. Messi insgesamt elfter WM-Treffer (mehr als Argentiniens Rekordschütze Gabriel Batistuta) und sein 25. WM-Einsatz (genau so viele wie Rekordspieler Lothar Matthaus) sollen nur weitere Wegmarken einer Mission sein, die am Sonntag auf die Krönung zusteuert. Katars Nationalfeiertag soll Messis Ehrentag werden.
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