KPMG-Whistleblower: "Blut an den eigenen Händen"

    Interview

    KPMG-Untersuchung zu Sanktionen:Whistleblower: "Blut an den eigenen Händen"

    von Felix Klauser, Nils Metzger, Marta Orosz
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    Ein Ex-Ermittler erhebt schwere Vorwürfe gegen den Wirtschaftsprüfer-Giganten KPMG. Wurde bei Rüstungsdeals und Russland-Sanktionen weggesehen? Hier erzählt er seine Geschichte.

    Porträtaufnahme von Cihan Kuzkaya, ehem. forensischer Ermittler bei KPMG, bei Interview
    "Man muss im Zweifelsfall damit leben, dass Blut an den eigenen Händen klebt"11.07.2023 | 8:06 min
    Brisante Vorwürfe gegen KPMG, einer der weltgrößten Wirtschaftsprüfungsgesellschaften: Der Forensiker Cihan Kuzkaya untersuchte für KPMG mögliche Sanktionsverstöße eines belgischen Rüstungsunternehmens. Doch der 35-Jährige fühlte sich ausgebremst: Seine Ermittlungen zu Geschäftsbeziehungen nach Russland blieben ohne Konsequenzen, Hinweise seien ignoriert worden.

    Gemessen daran, was ich in dieser Untersuchung gesehen habe, ist das Verhalten von KPMG sicherlich katastrophal.

    Cihan Kuzkaya, ehem. forensischer Ermittler bei KPMG Deutschland

    Kuzkaya kündigte seinen Job bei KPMG und gab bei der US-Börsenaufsicht SEC im Oktober 2022 eine Whistleblower-Meldung ab. Gegenüber ZDF frontal spricht er erstmals über seine Erlebnisse.
    KPMG Whistleblower
    Cihan Kuzkaya war forensischer Ermittler bei KPMG. Seine Aufgabe: Wirtschaftskriminalität bei Großunternehmen aufdecken und aufklären.11.07.2023 | 12:40 min

    Was war Cihan Kuzkayas Aufgabe bei KPMG?

    Cihan Kuzkaya: "Ich war bis zuletzt als forensischer Ermittler bei KPMG Forensic tätig und zuletzt habe ich zu einem Thema im Bereich Sanktionsvergehen ermittelt. Und die Untersuchung hat mich letztendlich dazu bewogen, meinen Job zu kündigen. 
    Der Bereich Forensik umfasst im Wesentlichen Beratungsleistungen rund um das Thema Wirtschaftskriminalität. Es gibt Untersuchungen, wo die Anschuldigungen sehr schwer wiegen und letztendlich auch sehr komplex sind, und Situationen herbeirühren, [die] Unternehmen im Zweifelsfall auch ins Wanken bringen könnten oder gar komplett zerstören. Und dort ist es natürlich auch immer eine Abwägungsfrage: die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmens im Zweifelsfall gegen die Interessen der Allgemeinheit."

    Mein Vorwurf gegenüber KPMG ist, dass sie im Rahmen einer Untersuchung zu Sanktionsverstößen letztendlich nicht genug getan haben, um die Wahrheit aufzudecken.

    Cihan Kuzkaya, ehem. forensischer Ermittler bei KPMG Deutschland

    2022 veröffentlichte ZDF frontal die "Kalashnikov-Leaks" über mögliche Sanktionsverstöße europäischer Firmen und Lieferungen an russische Rüstungskonzerne. Dabei ging es auch um New Lachaussée, einen belgischen Hersteller von Anlagen zur Munitionsproduktion. Der New Lachaussée-Mutterkonzern Magtech Europe beauftragte daraufhin KPMG Deutschland, die Vorwürfe zu untersuchen. Cihan Kuzkaya leitete diese Ermittlungen von Mai bis Juli 2022.
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    Cihan Kuzkaya: "Also am Anfang war es für mich ein ganz normaler Auftrag. Wobei man auch dazu sagen muss, dass die Anschuldigungen sicherlich nicht alle Tage hochkommen. (...) Das, was ich dort vorgefunden habe, hat mich dann doch ein wenig erschreckt. Das Unternehmen verkauft letztendlich Produktionsanlagen, womit Munition hergestellt wird. Das heißt, das Unternehmen sollte eigentlich sensibilisiert sein für geltendes Recht. Wo gehen meine Produkte hin? Wie werden sie genutzt? Wo landet meine Munition?

    Ich habe in meiner Untersuchung neben dem bekannten Kostenvoranschlag vier weitere Kostenvoranschläge identifizieren können, die New Lachaussée nach Russland geschickt hat.

    Cihan Kuzkaya, ehem. forensischer Ermittler bei KPMG Deutschland

    Und die zugrunde liegende Kommunikation war meines Erachtens nach ganz klar darauf ausgerichtet, dass die Gesellschaft hier den Abschluss des Geschäfts gesucht hat, hier auch tatsächlich Produkte nach Russland zu verkaufen." 
    New Lachaussée schreibt auf Frontal-Nachfrage, es habe seit 2014 zu keiner Zeit "irgendeine Geschäftsbeziehung mit irgendeinem Rüstungsunternehmen in Russland" gehabt. "Wie der Bericht von KPMG bestätigt, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass New Lachaussée direkt oder indirekt zur Lieferung von Ausrüstung für militärische Zwecke an Russland beigetragen hat", schreibt das Unternehmen. "New Lachaussée hält sich gewissenhaft an alle geltenden nationalen und interationalen Vorschriften (...)."
    Die deutsche Muttergesellschaft Magtech Europe antwortet per Rechtsanwalt: Die KPMG-Prüfung habe "keine Nachweise für Rechtsverletzungen durch New Lachaussée ergeben." Und weiter: "Auch die Lieferungen an serbische Geschäftspartner (…) stellen insbesondere keine Umgehung von Sanktionen dar." KPMG selbst will die Vorwürfe nicht kommentieren; verweist auf Verschwiegenheitspflichten.
    Cihan Kuzkaya: "Wir waren an einem Punkt angekommen, wo enorm viel Belastendes ans Tageslicht gekommen ist, und der Kunde hat sich letztendlich dagegen entschieden, die Untersuchung auszuweiten. Die Ausweitung hätte eine sogenannte E-Discovery beinhaltet, das heißt, wir hätten Daten gesichert, die die Gesellschaft uns so zunächst freiwillig nicht in die Hände gegeben hätte. (...) Dazu ist es nicht gekommen. Als ich in der Untersuchung diese Punkte identifiziert habe und sie an meinen Vorgesetzten herangetragen habe, dann gab es im Prinzip keine richtige Reaktion."
    Kostenvoranschläge von New Lachaussée an die russische Munitionsfabrik in Tula
    Auf diese zuvor unbekannten Kostenvoranschläge an die Munitionsfabrik in Tula stieß Cihan Kuzkaya bei seiner KPMG-Ermittlung.
    Quelle: ZDF

    Warum macht Kuzkaya seine Vorwürfe nun in dieser Art öffentlich?

    Cihan Kuzkaya: "Wir reden hier nicht mehr davon, dass irgendeine Gesellschaft Verluste einfährt oder von irgendwelchen gekränkten Persönlichkeiten, sondern hier geht es im Zweifelsfall gerade bei diesen schweren Anschuldigungen darum, dass Regierungen, aber auch Unternehmen in Europa unschuldige Opfer billigend in Kauf nehmen. Und natürlich hätte ich mir gewünscht, dass KPMG den Sachverhalt ordnungsgemäß aufklärt und im Zweifelsfall auch hier auf Ermittlungsbehörden zugeht und versucht, die Wahrheit ans Licht zu bringen.
    Es ist nicht das erste Mal, dass ich so etwas erlebe. Insofern bin ich nicht zwingend überrascht. Das ist ein systematisches Problem. Das Problem, dass sich die Leute aus der Verantwortung ziehen, dass man hier letztendlich nicht das Richtige tut." 

    Irgendwo musste ich auch einen Schlussstrich beziehungsweise eine Grenze setzen und die ist hier überschritten. Ganz klar. Man muss im Zweifelsfall damit leben, dass auch an den eigenen Händen Blut klebt.

    Cihan Kuzkaya, ehem. forensischer Ermittler bei KPMG Deutschland

    KPMG Whistleblower
    Der KPMG-Whistleblower Cihan Kuzkaya wollte Hinweisen auf mögliche Sanktionsverstöße weiter nachgehen.
    Quelle: ZDF

    Cihan Kuzkaya: "Also natürlich fällt es mir sehr schwer, an die Öffentlichkeit zu gehen mit diesem Sachverhalt. Aber letzten Endes hat sich dann im Laufe der Zeit gezeigt, dass, wenn ich nichts dazu sage, der Sachverhalt vielleicht nie mehr ans Tageslicht kommt."
    Kuzkayas Gang an die Öffentlichkeit sorgt für erste Konsequenzen. Die belgische Regionalregierung von Wallonien - zu 20 Prozent Eigentümer von New Lachaussée - erfuhr erst durch gemeinsame Anfragen von ZDF frontal und dem belgischen Rundfunk RTBF von Kuzkayas Untersuchungsergebnissen.
    Ministerpräsident Elio di Rupo nannte die Funde "beunruhigend" und forderte eine "vollständige Aufklärung", ob Russland-Sanktionen eingehalten wurden. Mehrere von Wallonien erteilte Exportlizenzen für New Lachaussée würden "mit sofortiger Wirkung" widerrufen. New Lachaussée kündigte am Dienstag gegenüber der belgischen Nachrichtenagentur Belga an, mit der Untersuchung kooperieren zu wollen.
    Update vom 01.08.2023: Die wallonische Regionalregierung hat eine Pressemeldung zum Untersuchungsergebnis veröffentlicht. Darin heißt es:
    "Nichts deutet darauf hin, dass es eine Umgehung der EU-Sanktionen oder des Waffenembargos gegen Russland gegeben hätte. Die Maschinen von New Lachaussée befinden sich in Serbien. Die serbischen Behörden haben alle Fragen der Delegationsmitglieder nach dem Endverbleib der Munition transparent beantwortet."
    Wallonien hat die Exportlizenzen von New Lachaussée nach Serbien wieder in Kraft gesetzt. Wohin die in Serbien produzierte Munition genau geliefert wurde bzw. geliefert werden soll, geht nicht aus der Pressemitteilung hervor. Zu den anderen Vorwürfen über Kostenvoranschläge an ein russisches Rüstungsunternehmen hat sich die wallonische Regionalregierung bislang nicht geäußert.

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