Die Künstliche Intelligenz ist zentral für die fortschreitende Digitalisierung, doch zum KI-Standort Deutschland gibt es Vorbehalte. Woran liegt das und sind sie berechtigt?
Èric Lluch steht in der Mitte seines Büros. Er trägt eine VR-Brille, bewegt seine Hände von rechts nach links und von oben nach unten. Manchmal scheint er nach etwas zu greifen. Was aussieht wie Pantomime, ist in Wahrheit Wissenschaft auf höchstem Niveau.
Auf einem Bildschirm neben ihm ist ein echtes menschliches Herz zu sehen, ein so genannter digitaler Zwilling. Solche Zwillinge entwickelt Lluch mit Hilfe künstlicher Intelligenz für den Medizintechnik-Konzern Siemens-Healthineers.
Laut einer Studie verlassen rund 40 Prozent der Top-Wissenschaftler Deutschland wieder. Ihre Ziele: Die USA oder die Schweiz. Doch wie kann man die schlauen Köpfe hier halten?
Bewusste Entscheidung für Forschungsstandort Deutschland
"Damit können Sie dein Herz untersuchen, oder Behandlungsmöglichkeiten testen, ohne dass Sie in das Organ eindringen müssen," erklärt Èric Lluch. Der gebürtgie Katalone arbeitet als Wissenschaftler für Siemens Healthineers.
Für Deutschland als Forschungsstandort hat sich er sich ganz bewusst entschieden. "Anfangs habe ich auch über die USA nachgedacht", erinnert sich der Mathematiker, "aber ich wollte eigentlich immer in Europa leben." Und:
ChatGPT erstellt auf der Grundlage von Millionen von Texten neue Texte. Viele Schüler, Studenten aber auch Berufstätige nutzen den Dienst inzwischen in ihrem Alltag.
Künstliche Intelligenz als Chance
Dass sich junge KI-Wissenschaftler wie Èric Lluch entscheiden, hier zu arbeiten und zu forschen, ist enorm wichtig. Denn: Auf künstliche Intelligenz kann ein Industrieland wie Deutschland kaum verzichten.
Sei es in der Automobilindustrie, im Maschinenbau oder im Dienstleistungsbereich: Nach einer Umfrage des Branchenverbands Bitkom, nutzt fast die Hälfte aller Unternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern KI als Schlüsseltechnologie der Digitalisierung. Und was genauso wichtig ist: Viele Unternehmen klagen über einen Mangel an Fachkräften im Bereich KI.
60 Prozent der Doktoranten weltweit kommen zur Forschung nach Deutschland. Aber beliebte Arbeitgeber und Eliteuniversitäten in den USA machen den deutschen Einrichtungen Konkurrenz.
Experte: Deutsche Grundlagenforschung hinkt hinterher
Ein Thema, das auch die Wissenschaft umtreibt. "Die Grundlagenforschung im Bereich KI hinkt in Deutschland noch ziemlich hinterher", konstatiert Pegah Maham von der Stiftung Neue Verantwortung SNV in Berlin.
Die Datenwissenschaftlerin verweist dabei auf eine Studie der SNV: Danach gelingt es Deutschland zwar, junge Wissenschaftler aus aller Welt anzulocken. "Wir sehen aber", so Maham, "dass die Hälfte schon einige Jahre nach Abschluss ihrer Promotion Deutschland wieder verlässt." Die meisten KI-Talente verliert Deutschland dabei an die USA, Großbritannien und die Schweiz.
Kunst und Wissenschaft gemeinsam in einer Uraufführung: Bei einem Konzert in Saarbrücken ist die Musik mit künstlicher Intelligenz entstanden – durch den Pulsschlag und die Emotionen des Publikums.
Einfacher Zugang zu Forschungsgeldern
Angela Dai ist den umgekehrten Weg gegangen. Die Professorin für maschinelles Lernen kam vor zwei Jahren von der US-Elite-Universität Stanford an die Technische Universität nach München. Hier bringt sie Maschinen bei, sich in einem dreidimensionalen Umfeld zu bewegen.
An Deutschland reizte sie vor allem der unkomplizierte Zugang zu Forschungsgeldern. "Ich konnte mir sehr schnell eine eigene Mannschaft aus Wissenschaftlern zusammenstellen", erinnert sich Dai, "und das noch bevor ich Professorin wurde."
Forscherin: Bürokratie hemmt Standort Deutschland
Dies sei in den USA undenkbar, erzählt die gebürtige Amerikanerin. Ein echter Nachteil an Deutschland: Die Bürokratie. "In Kalifornien reden alle von der deutschen Effizienz", so Dai. "Das mag vielleicht für die Eisenbahn gelten, aber ansonsten ist es es nicht so rosig, wie es erzählt wird."
Vor allem sei Deutschland sehr abhängig von "paperwork":
Eine neue KI namens ChatGPT schreibt auf Anforderung Texte, die sich teilweise kaum noch von Texten unterscheidet, die von Menschen geschrieben wurden.
Zustand des deutschen Wissenschaftsstandorts
Auf einen Beitrag zum KI-Standort Deutschland in der ZDF Sendung "Heute in Deutschland" (siehe oben) hat die Wissenschafts-Community ganz unterschiedlich reagiert. So schreibt Michael Schmitt, Professor für Erdbeobachtung an der Universität der Bundeswehr in einem Linkedin-Kommentar:
Neben der Bürokratie sieht der Wissenschaftler allerdings die Bezahlung junger Kollegen als Hemmschuh. Das sperrige Tarifgefüge lasse wenig Raum, Top-Talente angemessen zu entlohnen, stellt Schmitt fest.
Sind aktuelle gesetzliche Regelungen anwendbar, wenn ein autonom fahrendes Auto einen Unfall verursacht? Auch darüber diskutiert der Deutsche Verkehrsgerichtstag in Goslar.
Vorteil Wissenschaftsfreiheit
Patrick Glauner, Professor für künstliche Intelligenz, verweist dagegen auf die Wissenschaftsfreiheit in der Verfassung. "Die gibt uns sehr viel Unabhängigkeit und viele Freiheiten", so Glauner.
Klar ist: Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran. Klar ist auch: Die deutsche Wirtschaft kann sich von dieser Entwicklung nicht lösen. Zwar verbreitet sich neue Technik in den Unternehmen nicht schlagartig und echte Produktivitätsgewinne brauchen ihre Zeit. Umso wichtiger ist aber der Zugang zu "geistigem Kapital", zu jungen Forschenden im Bereich der künstlichen Intelligenz.
Wie kann man Künstliche Intelligenz nutzen, damit eine Transformation in eine lebenswerte Zukunft gelingt? Gert Scobel im Gespräch mit dem Informatiker Kristian Kersting.
Deutschland setzt auch KI-Maßstäbe
Gitta Kutyniok ist Co-Direktorin der Konrad Zuse School für verlässliche künstliche Intelligenz. Sie sucht auf der ganzen Welt nach jungen WissenschaftlerInnen. Als gewichtiges Argument für den Forschungsstandort Deutschland führt sie ihr Fachgebiet, die verlässliche künstliche Intelligenz an.
In der Zertifizierung dieser "sicheren" Form der KI setze Deutschland weltweit Maßstäbe. Und auch das sei für junge Wissenschaftler ein Anreiz. "Es geht nicht nur ums Geld", so Kutyniok.
- ChatGPT besteht Jura-Prüfung in Minnesota
ChatGPT gilt als bahnbrechende Entwicklung im Bereich Künstliche Intelligenz. Nun hat das Software-Programm einen Jura-Test bestanden - aber auch in einem Bereich versagt.