Während der Pandemie erlebten sie einen Einstellungs-Boom - nun müssen Tech-Riesen in den USA Tausende Arbeitnehmer entlassen. Droht Ähnliches auch in Deutschland? Ein Einblick.
Der schwedische Musikstreaming-Marktführer Spotify will mehrere hundert Mitarbeiter entlassen, rund sechs Prozent der Belegschaft. Dax-Konzern SAP, mit Sitz im baden-württembergischen Walldorf, streicht tausende Stellen.
Spätestens jetzt ist die große Kündigungswelle in Europa angekommen - in den USA wütet sie seit Monaten.
Mark Zuckerberg schreibt, Kündigungen seien "traurig"
"Das ist ein trauriger Moment", schrieb etwa Facebook-Gründer und Meta-CEO Mark Zuckerberg am 9. November in einem Brief an seine Mitarbeiter. Er habe entschieden, 11.000 Angestellte "gehen zu lassen".
Allein ist Zuckerberg damit nicht, wie die Entlassungszahlen bei anderen Tech-Giganten zeigen:
- 18.000 Stellen bei Amazon
- 12.000 beim Google-Konzern Alphabet
- 10.000 bei Microsoft
Twitter, Amazon, Meta - große Namen der Tech-Industrie. Sie entlassen derzeit zehntausende Mitarbeiter.
Tech-Wachstum stockt nach Corona-Pandemie
Die Tech-Branche ist im Umbruch, Zehntausende müssen ihre Schreibtische räumen. Hohe Inflation und Rezessionssorgen treffen auf eine Branche, die in der Pandemie rasant gewachsen war und jetzt erkennen muss, dass das Wachstum sich nicht unbegrenzt fortsetzt. Kosten müssen eingespart werden, durch Entlassungen geht das schnell.
Wie viele andere Führungskräfte habe Ek gehofft, den starken Rückenwind durch die Pandemie aufrecht erhalten zu können. Dies sei nicht gelungen.
Erfinder und Ingenieure, Genies und Risiko-Investoren aus dem Silicon Valley verändern unsere Welt grundsätzlich in atemberaubendem Tempo und Umfang.
SAP will sich strategisch verändern
Im baden-württembergischen Walldorf klingt das ganz anders.
Grund für den Stellenabbau beim Software-Riesen seien strategische Veränderungen. Man wolle sich wieder mehr auf das Kerngeschäft konzentrieren. 3.000 Stellen - 200 davon in Deutschland - sollen bei der Umstrukturierung wegfallen, die jährlich 350 Millionen Euro an Kosten einsparen soll.
Mitarbeiter bei SAP sind besorgt
"Es ist bedauerlich, dass diese Stellen abgebaut werden sollen", findet der SAP-Betriebsratsvorsitzende Eberhard Schick. Die Kommunikation sei bisher nicht transparent genug, die Umstrukturierung komme wie ein Sparpaket daher.
"Die Mitarbeiter in den betroffenen Bereichen sind gerade natürlich sehr sorgenvoll." Während es in Deutschland nicht zu betriebsbedingten Kündigungen kommen soll, werden im Ausland SAP-Mitarbeiter das Unternehmen verlassen müssen. Der Jobabbau trifft also Angestellte im Ausland deutlich härter.
Unterm Strich Mitarbeiterzuwachs trotz Entlassungen
Der Blick auf Spotify und SAP zeigt: Die Entlassungen sind keine amerikanische Entwicklung.
"Davon haben wir in Deutschland schlicht nicht so viele." Die hohen Entlassungszahlen wirkten zwar dramatisch, es sei aber wichtig den Kontext zu berücksichtigen: "In den Pandemie-Jahren wurden meist deutlich mehr Mitarbeitende eingestellt, als jetzt entlassen werden. Im Vergleich zu vor drei Jahren gibt es also immer noch einen Mitarbeiterzuwachs."
Steigende Zinsen machen es auch Start-ups schwer
Anders sei die Situation in der deutschen Start-up-Szene: Auch hier kommt es seit Wochen immer wieder zu größeren Entlassungen - zum Beispiel beim Gewächshaus-Start-up Infarm, dem E-Mobilitäts-Anbieter Tier oder dem Versicherungsvermittler wefox.
Angesichts steigender Zinsen und einer allgemeinen Unsicherheit halten sich Investoren zurück - nach Rekordjahren fließt jetzt weniger Risikokapital in Start-ups.
"Die Geschäftsmodelle der Start-ups, die jetzt Mitarbeitende entlassen, standen eigentlich schon vorher unter Druck." Für andere könne die aktuelle Entwicklung eine Chance sein, auch weil wieder mehr qualifizierte Mitarbeiter auf dem Markt sind, sagt Hölzner.
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Fachkräftemangel hilft Entlassenen
Denn: Es herrscht Fachkräftemangel, allein im IT-Bereich sind etwa 137.000 Stellen nicht besetzt. Manch ein deutsches Unternehmen hofft jetzt auf amerikanische Tech-Talente. Auch die bayrische Staatsministerin für Digitales, Judith Gerlach, wirbt auf LinkedIn:
"Packt die Koffer und zieht nach Bayern!" IT-Fachkräfte aus den USA für Deutschland zu begeistern, sei aber extrem schwierig, erklärt Lydia Erdmann vom Branchenverband Bitkom: "Die US-Unternehmen haben selbst großen Bedarf an IT-Know-how, die Betroffenen im eigenen Land haben deshalb meist sehr gute Perspektiven."
Eine Lösung für den Fachkräftemangel in Deutschland sind die Massenkündigungen also nicht. Ebenso wenig wie ein Vorbote für den Untergang der Tech-Branche.
Anna Gürth ist Reporterin im ZDF-Landesstudio Baden-Württemberg.