Braun im Wirecard-Prozess: "Habe den Eisberg nicht gesehen"

    Wirecard-Prozess:Braun: "Ich habe den Eisberg nicht gesehen"

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    von Alexander Poel, München
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    Im Prozess um den Untergang der Wirecard AG sieht Ex-Vorstandschef Markus Braun weiter keine Schuld bei sich. Über Warnungen aus seinem Aufsichtsrat setzte er sich hinweg.

    Ist das der Punkt, an dem Markus Braun weich wird? An dem er selbst die alleinige Verantwortung übernimmt - ohne Wenn und Aber? Ist das der Moment, auf den so viele ehemalige Wirecard-Mitarbeiter und Millionen Privatanleger seit fast drei Jahren warten?
    Richter Markus Födisch hält dem damaligen Vorstandschef eine Aussage aus dessen erster Vernehmung vor. Es geht um eine Börsen-Mitteilung vom Juni 2020, mit der Markus Braun aus Sicht der Staatsanwaltschaft seine Aktionäre in falscher Sicherheit wog. Und Braun schien den Ermittlern damals recht zu geben. Im Protokoll liest sich das so: "(...) Insofern muss ich die mir vorgeworfene Straftat einräumen."

    Braun dementiert Aussage

    Wie steht Braun heute zu seiner Aussage? Das möchte Richter Födisch zu Beginn seiner Befragung von ihm wissen. Markus Braun überlegt, legt den Kopf leicht nach hinten. Den Blick zur Decke gerichtet. Seit er das erste Mal zu den Vorwürfen Stellung nimmt, kann man das oft an ihm beobachten. Dann lehnt er sich nach vorne zum Mikrofon. Das kleine, rote Licht leuchtet auf. "Diesen Satz habe ich so nie gesagt", stellt Braun mit leichtem Wiener Zungenschlag fest. Und das rote Licht geht aus.
    Raunen auf den Zuschauerplätzen, ein älterer Mann lacht kurz und laut auf - verächtlich, verzweifelt. Überrascht scheint er nicht. Brauns Anwalt bittet um das Wort. Alfred Dierlamm. Ein erfahrener Strafverteidiger mit der Präsenz einer römischen Phalanx. Die Aussage seines Mandanten sei "falsch protokolliert worden", so Dierlamm. Und das Protokoll sei damals korrigiert worden.
    "Game Over - Der Wirecard-Skandal und die Folgen": Das Hauptgebäude von Wirecard mit Firmenlogo in Aschheim.
    Kleinanleger verlieren ihr Erspartes, Fondsmanager ihre Reputation, die Finanzaufsicht ihre Glaubwürdigkeit – die Wirecard-Pleite hat ein Beben auf dem Finanzmarkt ausgelöst.14.01.2021 | 59:24 min

    Tausende haben durch Wirecard-Pleite Altersvorsorge verloren

    Wollte der Richter Markus Braun aufs Glatteis führen? Er versucht es ein zweites Mal: "Sie sagten damals, Sie hätten den Eisberg nicht gesehen und: Sie hätten versagt." Diesmal schießt Braun ans Mikrofon: "Das war nicht im Sinne einer strafrechtlichen Würdigung, sondern ein Einblick in meine damalige Emotionalität." Damals.
    Das ist noch gar nicht lange her. Zumindest nicht für jene, die seitdem viel verloren haben: Tausende ihren Arbeitsplatz. Noch mehr ihre Altersvorsorge. Oft: beides. Am 25.6.2020, um 10:36 Uhr meldete die Nachrichtenagentur Reuters: "Wirecard steht vor der Pleite". Fast zwei Milliarden Euro waren aus der Bilanz verschwunden. Sie sind bis heute nicht aufgetaucht. Nicht nur Privatanleger glaubten an die Geschichte des Dax-Aufsteigers aus Aschheim bei München, der die Finanzwelt mit seinen innovativen Bezahlsystemen revolutionieren würde. Auch die Banken glaubten an Markus Braun. So sehr, dass sie Wirecard über drei Milliarden Euro liehen. Futsch.

    Ich bin überzeugt: Das Geschäft hat existiert.

    Markus Braun

    Staatsanwaltschaft: Braun hat Wirecard-Geschäfte erfunden

    Auf diesen Kredit hat es Richter Markus Födisch nun abgesehen. "Würden Sie denn sagen, dass Wirecard falsche Angaben gegenüber den Kreditgebern gemacht hat?" Lange Pause. Braun überlegt. Blick nach oben. Rotes Licht: "Objektiv ist das so", sagt Braun. Pause. Und bevor Richter Födisch das vertiefen kann, drängt es den Ex-Wirecard-Chef erneut ans Mikro. "Aber ich wusste nichts davon."
    Für die Staatsanwaltschaft steht dagegen fest: Markus Braun hat weite Teile des Wirecard-Geschäfts frei erfunden und Bilanzen manipuliert hat, um das Unternehmen besser dastehen zu lassen. Für den Controlling-Experten Professor Gunther Friedl von der Münchner Ludiwg-Maximilians-Universität ist jedenfalls klar: Nichts zu wissen, darauf kann sich ein Vorstandschef nicht berufen. "Er muss ein System errichten, das Risiken identifiziert, und überprüft, dass sich jeder an die Regeln hält", so Friedl. Ein Vorstand, der das nicht tue, verletze seine Pflichten.

    Wirtschaftsprüfer unzureichend informiert

    Und wenn es zwar ein solches System gab, es aber nicht funktionierte? Und Markus Braun es ignorierte? Es ist die Geschichte eben jener Börsen-Mitteilung, mit der am Donnerstag die Befragung Brauns durch den Richter begann. Am 22.04.2020 gab der damalige Wirecard-Chef Braun also persönlich eine Meldung heraus. Die Botschaft: Wirtschaftsprüfer hätten bei Wirecard "keine Hinweise auf manipulierte Bilanzen" gefunden. Diese Meldung sollte die Aktionäre beruhigen, doch aus heutiger Sicht ist sie - vorsichtig formuliert - unvollständig.
    Dass die Prüfer nicht fündig wurden, lag nämlich daran, dass sie von Wirecard nur unvollständige Daten zur Verfügung gestellt bekamen. "Man sei sich im Klaren gewesen", so Braun, "dass die Dokumentationsschwächen, die es hier gab, eines Dax-Konzerns nicht würdig waren." Dies hätten ihm sowohl die Prüfer von KPMG, als auch sein eigener Aufsichtsrat gesagt, so Braun.

    Brauns letzter Versuch

    Wie konnte er aber dann eine solche Börsenmeldung herausgeben? Sowohl Prüfer als auch der Aufsichtsrat hätten ihm damals gesagt, der Inhalt dieser Meldung liege "im Ermessensspielraum des Vorstands". Braun hatte also grünes Licht von denen bekommen, die ihm die rote Karte hätten zeigen müssen.
    Und so unternahm er einen letzten verzweifelten Versuch, die Wirecard AG, seine Vision eines deutschen "Fin-Techs" zu retten. Und wog seine Aktionäre (und seine Mitarbeiter) damit in einer Sicherheit, die es längst nicht mehr gab. Der Rest ist traurige Geschichte.

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