New Work: Mit "Null-Bock-Tagen" gegen Fachkräftemangel

    New Work:Mit "Null-Bock-Tagen" gegen Fachkräftemangel

    Redakteurin Patricia Schäfer, ZDF-Landesstudio Bayern.
    von Patricia Schäfer
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    Ein Bäcker, der ausschlafen kann? Ein Konzern-Chef ohne eigenes Büro? So viel Urlaub, wie man möchte? Das geht - und ist sogar profitabel, wie diese Beispiele zeigen.

    New Work - die neue Arbeitswelt
    Homeoffice, flexible Arbeitszeiten, unbegrenzter Urlaub: die Arbeitswelt verändert sich.
    Quelle: PR

    In einer Münchner Bäckerei können die Mitarbeiter länger schlafen: Die neue "Spätschicht" beginnt erst morgens um 5 Uhr statt um 3.

    Für mich ist das eine große Erleichterung, später anzufangen.

    Bäckermeister Luca Gabellini

    So könne er abends auch mal ausgehen, sagt der 22-jährige Bäckermeister.
    Möglich wird die "Spätschicht" beim Bäcker durch moderne Technik und neue Mehlsorten: Durch den Klimawandel wachsen Mehlsorten mit weniger Enzymen. Das erlaubt längere Reifezeiten für den Teig - zum Beispiel über Nacht.
    Verkaufstheke in einer Bäckerei
    Der Fachkräftemangel ändert die Arbeitswelt und stellt Arbeitgeber vor Herausforderungen. Bessere Arbeitszeiten sind ein Beispiel, wie das gelingen kann.03.05.2023 | 11:22 min
    Morgens wird er nur noch aus der Kühlung genommen und gebacken.

    Dann müssen weniger Leute in der Nacht aktiv sein. Durch die 'Spätschicht' haben wir es geschafft, mehr junge Leute für den Beruf zu begeistern.

    Sebastian Brücklmaier, Juniorchef

    Thumbnail Am Puls mit Sarah Tacke
    Kellner, Erzieher, Handwerker: Der Personalmangel macht vor keiner Branche halt. ZDF-Moderatorin Sarah Tacke sucht nach Gründen und nach Lösungen für das deutsche Job-Desaster.01.05.2023 | 53:30 min
    Zwei Millionen offene Stellen gibt es in Deutschland - 250.000 allein im Handwerk. Um Beschäftigte zu finden und zu binden, müssen Unternehmen umdenken.

    Wir sehen heute im Arbeitsmarkt eine wichtige Zeitenwende, von einem Arbeitgebermarkt hin zu einem Arbeitnehmermarkt.

    Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

    Fratzscher prophezeit zudem:

    Unternehmen, die ihre Beschäftigten nicht genug motivieren - nicht genug Freiheiten und Mitbestimmung geben, keine guten Löhne, keine guten Arbeitsbedingungen bieten - die werden ihre Beschäftigten eher früher als später verlieren.

    Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung

    Volkswagen - Produktion von Batteriezellen für Elektroautos
    Von heute auf morgen alles anders, alles digital. Wie reagiert die Industrie auf einen externen Schock wie Corona? Wie richtet sie sich aus und was ist ihre Vision für die Zukunft?09.02.2021 | 28:33 min

    Unbegrenzter Urlaub und Mitbestimmung des Gehalts

    Das Startup-Unternehmen Einhorn in Berlin experimentiert damit. Die Firma vertreibt vegane Kondome und Periodenprodukte. Ihre 25 Beschäftigten genießen maximale Freiheiten: Unbegrenzten Urlaub, Mitbestimmung des Gehalts und sogenannte Null-Bock-Tage.
    Ein von einer KI gemaltes Gemälde auf dem eine Staffelei zu sehen ist. Auf der Staffelei ein Android. Neben der Staffelei ein rothaariger Mensch mit Pinsel in der Hand, der malt.
    Die KI-Revolution ist die wohl größte technologische Umwälzung seit der Industrialisierung. Sie verändert die Arbeitswelt der Kreativbranche radikal. Ein Grund zur Sorge?26.08.2023 | 37:00 min
    "Ehrlichkeit ist uns wichtig. Wer morgens keine Lust hat zu arbeiten, kann spontan einen Null-Bock-Tag nehmen", sagt Markus Wörner, bei Einhorn verantwortlich für Personalfragen. Das werde genutzt - aber nicht ausgenutzt.
    "Ich habe bis jetzt nicht wirklich Null-Bock-Tage gebraucht", so die 34-jährige Jenny Tschersich. Seit neun Monaten arbeitet sie in der Logistik-Abteilung.

    Ein "Null-Bock-Tag", der nicht gebraucht wird

    "Ich arbeite nicht jeden Tag von 9 bis 18 Uhr und lasse den Stift fallen, sondern ich mache, was gemacht werden muss und habe dadurch Zeit, mich auch zu erholen oder mal was im Haushalt zu machen. Dadurch erübrigt sich dieser Null-Bock-Tag." Auch beim Urlaub liegt die Firma nicht weit über den üblichen 30 Tagen: 35 sind es im Schnitt.
    Wer Verantwortung abgibt, bekommt auch etwas zurück - im diesem Fall motivierte Mitarbeiter und schwarze Zahlen: "Die ganzen Freiheiten haben sich nicht negativ auf den Umsatz ausgewirkt", sagt Markus Wörner.

    Kürzere Arbeitszeit, gleiches Ergebnis

    Im Sommer wurde die Arbeitszeit sogar reduziert. Von 40 auf 32 Wochenstunden. "Und wir sind trotzdem ein profitables Unternehmen, seit acht Jahren."
    Doch funktioniert, was ein kleiner Handwerksbetrieb und ein Startup in Berlin machen, auch für einen Großbetrieb wie die Münchner S-Bahn?

    Fahrkartenkontrolle in Eigenregie

    Flexibilität heißt dort zum Beispiel, dass die Fahrkartenkontrolleure in Eigenregie arbeiten. "Wir bestimmen selbst, wann wir anfangen, wann wir aufhören. An welchen Tagen wir arbeiten, wann wir Ruhe haben. Wir schreiben unseren Dienstplan komplett selbst", sagt Tom. Das ist einmalig bei der Deutschen Bahn.
    Den Anstoß dazu gab S-Bahn-Chef Heiko Büttner. "Unsere Mitarbeitenden wissen selbst am besten, welche Linien am auffälligsten und zu kontrollieren sind. Das sind alles erwachsene Menschen. Also behandeln wir sie auch so." Er selbst verzichtet auf ein eigenes Büro - auch so kann New Work aussehen.

    Umgewöhnungszeit nötig

    Die Neu-Organisation der Arbeit macht auch Arbeit. Viele müssen erst lernen, sich selbst zu organisieren. Und auch Chefs müssen sich umgewöhnen.
    "Das ist kein Schalter, den man umlegt", sagt S-Bahn-Chef Büttner. "Bewerber und Bewerberinnen fragen heute mehr nach Sinn, nach mehr Individualität. Gleichzeitig erwarten unseren Kunden mehr von uns. Das funktioniert nicht, wenn man alles so weitermacht wie bisher. Deshalb arbeiten wir hier ein bisschen anders."
    Patricia Schäfer ist Korrespondentin im ZDF-Landesstudio Bayern.

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